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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Kün
von Verstand und rechtschaffenen Gesinnungen ge-
geben hat. (+) Es muß dem Gesetzgeber eine wich-
tige Angelegenheit seyn, daß nicht nur öffentliche
Denkmäler und Gebäude, sondern jeder sichtbare
Gegenstand selbst aller mechanischen Künste das Ge-
präge des guten Geschmaks trage; so wie man da-
für sorget, daß nicht nur das Geld, sondern auch
die metallenen Geräthschaften, das Gepräge der
ächten Haltung bekommen. Ein weiser Regent sor-
get nicht blos dafür, daß öffentliche Feste und Feyer-
lichkeiten und öffentliche Gebräuche, sondern selbst
jedes häusliche Fest, jeder Privatgebrauch, durch
den Einfluß der schönen Künste kräftiger und vor-
theilhafter auf die Gemüther der Bürger würke.

Vornehmlich aber verdienet das allgemeineste
und wichtigste Jnstrument unsrer vornehmsten Ver-
richtungen, die Sprache, eine besondere Aufmerk-
samkeit derer, denen die Besorgung der Wohlfahrt
der Bürger anvertrauet ist. Es ist einer ganzen
Nation höchst nachtheilig, wenn ihre Sprache bar-
barisch, ungelenkig, zum Ausdruke feinerer Em-
pfindungen und scharfsinniger Gedanken ungeschikt
ist. Wächst nicht Vernunft und guter Geschmak,
und wird nicht ihr Gebrauch gerad in dem Maaße
erleichtert, nach welchem die Vollkommenheit der
Sprache gemessen wird? Denn im Grunde ist sie
nichts anders, als Vernunft und guter Geschmak
in körperliche Zeichen verwandelt. Warum sollte
denn eine so gar wichtige Sache dem Zufall über-
lassen oder gar der Verpfuschung jedes wahnwitzigen
Kopfes Preis gegeben werden. Wenn es wahr ist,
daß die so berühmte Academie der Vierziger in Paris,
blos darum gestiftet worden, daß durch die Verbes-
serung der Sprache der Ruhm der französischen
Nation sollte ausgebreitet werden, so hat der Stif-
ter die Sache in dem schwächesten Lichte gesehen.
Hier war mehr als Ruhm und Schimmer zu gewin-
nen. Ausbreitung und Vermehrung der Vernunft
und des guten Geschmaks für die ganze Nation. (++)
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Kün
Fast alle Künste vereinigen ihre Würkung in den
Schauspielen, daraus allein könnte das fürtreflichste
aller Mittel, den Menschen zu erhöhen, gemacht
werden, und doch ist es an den meisten Orten ge-
rade das, was Geschmak und Sitten am meisten
verderbt. Sollten nicht gegen die Verfälschung
der Kunst Strafgesetze gemacht seyn, wie gegen die
Verfälschung des Geldes? Wie können die schönen
Künste ihre wahre Nutzbarkeit erreichen, wenn je-
dem Thoren erlaubt ist, sie zu mißbrauchen.

Wenn sie, so wie sie in ihrer Natur sind, als
Mittel zur Beförderung der menschlichen Glückselig-
keit sollen gebraucht werden, so muß nothwendig
ihre Ausbreitung bis in die niedrigen Hütten der
gemeinesten Bürger dringen, und ihre Anwendung,
als ein wesentlicher Theil in das politische System
der Regierung aufgenommen werden, und ihnen
gehört ein Antheil an den Schätzen, die durch die
Arbeitsamkeit des Volks, zu Bestreitung des öf-
fentlichen Aufwandes jährlich zusammen getragen
werden.

Dieses wird freylich manchen vermeinten Staats-
weisen wenig einleuchten, und Philosophen selbst
werden solche Vorschläge für Hirngespinste halten.
Jn der That sind sie es, so lange wir den gegen-
wärtigen Geist der meisten politischen Verfassungen,
als etwas in seinen Grundsätzen unveränderliches
voraussetzen. Wo äußere Macht, baarer Reich-
thum, und das, was beyde befördert, für die erste
Angelegenheit des Staates gehalten werden, so ra-
then wir die schönen Künste zu verbannen, und ru-
fen denen, die die Geschäfte des Staates verwal-
ten, mit dem römischen Dichter zu:

O! Cives cives, quaerenda pecunia primum est
Virtus post nummos.

Es kann von einigem Nutzen seyn, wenn wir
eine kurze Abbildung des Schiksals der schönen
Künste, und ihres gegenwärtigen Zustandes machen,

und
(+) Einlge besondere hieher gehörige Anmerkungen fin-
den sich in dem Artikel Künstler.
(++) [Spaltenumbruch]
Die Nachläßigkeit der deutschen Regenten in die-
sem Stüke, ist unglaublich. Das wichtigste aller Mittel,
die Menschen über das Thier empor zu heben, wird ge-
rade, als gar nichts geachtet. Man läßt jeden unsinnigen
Kopf, dem es einsällt, dergleichen zu thun, in Zeitungen,
[Spaltenumbruch] Calendern, Wochenblättern, Büchern, Predigten, mit
dem ganzen Volke in einer Sprache schwatzen, die voll
Unsinn und Barbarey ist. Selbst der Majestät der Mo-
narchen, wenn sie in Mandaten und Verordnungen, mit
dem ganzen Volke, dessen Väter und Führer sie sind, spre-
chen, legt man nicht seiten eine Sprache in den Mund,
die voll Ungeschiklichkeit ist, und wo auch die kleinste Spur
des guten Geschmaks und der Ueberlegung vermißt wird.

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Kuͤn
von Verſtand und rechtſchaffenen Geſinnungen ge-
geben hat. (†) Es muß dem Geſetzgeber eine wich-
tige Angelegenheit ſeyn, daß nicht nur oͤffentliche
Denkmaͤler und Gebaͤude, ſondern jeder ſichtbare
Gegenſtand ſelbſt aller mechaniſchen Kuͤnſte das Ge-
praͤge des guten Geſchmaks trage; ſo wie man da-
fuͤr ſorget, daß nicht nur das Geld, ſondern auch
die metallenen Geraͤthſchaften, das Gepraͤge der
aͤchten Haltung bekommen. Ein weiſer Regent ſor-
get nicht blos dafuͤr, daß oͤffentliche Feſte und Feyer-
lichkeiten und oͤffentliche Gebraͤuche, ſondern ſelbſt
jedes haͤusliche Feſt, jeder Privatgebrauch, durch
den Einfluß der ſchoͤnen Kuͤnſte kraͤftiger und vor-
theilhafter auf die Gemuͤther der Buͤrger wuͤrke.

Vornehmlich aber verdienet das allgemeineſte
und wichtigſte Jnſtrument unſrer vornehmſten Ver-
richtungen, die Sprache, eine beſondere Aufmerk-
ſamkeit derer, denen die Beſorgung der Wohlfahrt
der Buͤrger anvertrauet iſt. Es iſt einer ganzen
Nation hoͤchſt nachtheilig, wenn ihre Sprache bar-
bariſch, ungelenkig, zum Ausdruke feinerer Em-
pfindungen und ſcharfſinniger Gedanken ungeſchikt
iſt. Waͤchſt nicht Vernunft und guter Geſchmak,
und wird nicht ihr Gebrauch gerad in dem Maaße
erleichtert, nach welchem die Vollkommenheit der
Sprache gemeſſen wird? Denn im Grunde iſt ſie
nichts anders, als Vernunft und guter Geſchmak
in koͤrperliche Zeichen verwandelt. Warum ſollte
denn eine ſo gar wichtige Sache dem Zufall uͤber-
laſſen oder gar der Verpfuſchung jedes wahnwitzigen
Kopfes Preis gegeben werden. Wenn es wahr iſt,
daß die ſo beruͤhmte Academie der Vierziger in Paris,
blos darum geſtiftet worden, daß durch die Verbeſ-
ſerung der Sprache der Ruhm der franzoͤſiſchen
Nation ſollte ausgebreitet werden, ſo hat der Stif-
ter die Sache in dem ſchwaͤcheſten Lichte geſehen.
Hier war mehr als Ruhm und Schimmer zu gewin-
nen. Ausbreitung und Vermehrung der Vernunft
und des guten Geſchmaks fuͤr die ganze Nation. (††)
[Spaltenumbruch]

Kuͤn
Faſt alle Kuͤnſte vereinigen ihre Wuͤrkung in den
Schauſpielen, daraus allein koͤnnte das fuͤrtreflichſte
aller Mittel, den Menſchen zu erhoͤhen, gemacht
werden, und doch iſt es an den meiſten Orten ge-
rade das, was Geſchmak und Sitten am meiſten
verderbt. Sollten nicht gegen die Verfaͤlſchung
der Kunſt Strafgeſetze gemacht ſeyn, wie gegen die
Verfaͤlſchung des Geldes? Wie koͤnnen die ſchoͤnen
Kuͤnſte ihre wahre Nutzbarkeit erreichen, wenn je-
dem Thoren erlaubt iſt, ſie zu mißbrauchen.

Wenn ſie, ſo wie ſie in ihrer Natur ſind, als
Mittel zur Befoͤrderung der menſchlichen Gluͤckſelig-
keit ſollen gebraucht werden, ſo muß nothwendig
ihre Ausbreitung bis in die niedrigen Huͤtten der
gemeineſten Buͤrger dringen, und ihre Anwendung,
als ein weſentlicher Theil in das politiſche Syſtem
der Regierung aufgenommen werden, und ihnen
gehoͤrt ein Antheil an den Schaͤtzen, die durch die
Arbeitſamkeit des Volks, zu Beſtreitung des oͤf-
fentlichen Aufwandes jaͤhrlich zuſammen getragen
werden.

Dieſes wird freylich manchen vermeinten Staats-
weiſen wenig einleuchten, und Philoſophen ſelbſt
werden ſolche Vorſchlaͤge fuͤr Hirngeſpinſte halten.
Jn der That ſind ſie es, ſo lange wir den gegen-
waͤrtigen Geiſt der meiſten politiſchen Verfaſſungen,
als etwas in ſeinen Grundſaͤtzen unveraͤnderliches
vorausſetzen. Wo aͤußere Macht, baarer Reich-
thum, und das, was beyde befoͤrdert, fuͤr die erſte
Angelegenheit des Staates gehalten werden, ſo ra-
then wir die ſchoͤnen Kuͤnſte zu verbannen, und ru-
fen denen, die die Geſchaͤfte des Staates verwal-
ten, mit dem roͤmiſchen Dichter zu:

O! Cives cives, quaerenda pecunia primum eſt
Virtus poſt nummos.

Es kann von einigem Nutzen ſeyn, wenn wir
eine kurze Abbildung des Schikſals der ſchoͤnen
Kuͤnſte, und ihres gegenwaͤrtigen Zuſtandes machen,

und
(†) Einlge beſondere hieher gehoͤrige Anmerkungen fin-
den ſich in dem Artikel Kuͤnſtler.
(††) [Spaltenumbruch]
Die Nachlaͤßigkeit der deutſchen Regenten in die-
ſem Stuͤke, iſt unglaublich. Das wichtigſte aller Mittel,
die Menſchen uͤber das Thier empor zu heben, wird ge-
rade, als gar nichts geachtet. Man laͤßt jeden unſinnigen
Kopf, dem es einſaͤllt, dergleichen zu thun, in Zeitungen,
[Spaltenumbruch] Calendern, Wochenblaͤttern, Buͤchern, Predigten, mit
dem ganzen Volke in einer Sprache ſchwatzen, die voll
Unſinn und Barbarey iſt. Selbſt der Majeſtaͤt der Mo-
narchen, wenn ſie in Mandaten und Verordnungen, mit
dem ganzen Volke, deſſen Vaͤter und Fuͤhrer ſie ſind, ſpre-
chen, legt man nicht ſeiten eine Sprache in den Mund,
die voll Ungeſchiklichkeit iſt, und wo auch die kleinſte Spur
des guten Geſchmaks und der Ueberlegung vermißt wird.
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[615/0050] Kuͤn Kuͤn von Verſtand und rechtſchaffenen Geſinnungen ge- geben hat. (†) Es muß dem Geſetzgeber eine wich- tige Angelegenheit ſeyn, daß nicht nur oͤffentliche Denkmaͤler und Gebaͤude, ſondern jeder ſichtbare Gegenſtand ſelbſt aller mechaniſchen Kuͤnſte das Ge- praͤge des guten Geſchmaks trage; ſo wie man da- fuͤr ſorget, daß nicht nur das Geld, ſondern auch die metallenen Geraͤthſchaften, das Gepraͤge der aͤchten Haltung bekommen. Ein weiſer Regent ſor- get nicht blos dafuͤr, daß oͤffentliche Feſte und Feyer- lichkeiten und oͤffentliche Gebraͤuche, ſondern ſelbſt jedes haͤusliche Feſt, jeder Privatgebrauch, durch den Einfluß der ſchoͤnen Kuͤnſte kraͤftiger und vor- theilhafter auf die Gemuͤther der Buͤrger wuͤrke. Vornehmlich aber verdienet das allgemeineſte und wichtigſte Jnſtrument unſrer vornehmſten Ver- richtungen, die Sprache, eine beſondere Aufmerk- ſamkeit derer, denen die Beſorgung der Wohlfahrt der Buͤrger anvertrauet iſt. Es iſt einer ganzen Nation hoͤchſt nachtheilig, wenn ihre Sprache bar- bariſch, ungelenkig, zum Ausdruke feinerer Em- pfindungen und ſcharfſinniger Gedanken ungeſchikt iſt. Waͤchſt nicht Vernunft und guter Geſchmak, und wird nicht ihr Gebrauch gerad in dem Maaße erleichtert, nach welchem die Vollkommenheit der Sprache gemeſſen wird? Denn im Grunde iſt ſie nichts anders, als Vernunft und guter Geſchmak in koͤrperliche Zeichen verwandelt. Warum ſollte denn eine ſo gar wichtige Sache dem Zufall uͤber- laſſen oder gar der Verpfuſchung jedes wahnwitzigen Kopfes Preis gegeben werden. Wenn es wahr iſt, daß die ſo beruͤhmte Academie der Vierziger in Paris, blos darum geſtiftet worden, daß durch die Verbeſ- ſerung der Sprache der Ruhm der franzoͤſiſchen Nation ſollte ausgebreitet werden, ſo hat der Stif- ter die Sache in dem ſchwaͤcheſten Lichte geſehen. Hier war mehr als Ruhm und Schimmer zu gewin- nen. Ausbreitung und Vermehrung der Vernunft und des guten Geſchmaks fuͤr die ganze Nation. (††) Faſt alle Kuͤnſte vereinigen ihre Wuͤrkung in den Schauſpielen, daraus allein koͤnnte das fuͤrtreflichſte aller Mittel, den Menſchen zu erhoͤhen, gemacht werden, und doch iſt es an den meiſten Orten ge- rade das, was Geſchmak und Sitten am meiſten verderbt. Sollten nicht gegen die Verfaͤlſchung der Kunſt Strafgeſetze gemacht ſeyn, wie gegen die Verfaͤlſchung des Geldes? Wie koͤnnen die ſchoͤnen Kuͤnſte ihre wahre Nutzbarkeit erreichen, wenn je- dem Thoren erlaubt iſt, ſie zu mißbrauchen. Wenn ſie, ſo wie ſie in ihrer Natur ſind, als Mittel zur Befoͤrderung der menſchlichen Gluͤckſelig- keit ſollen gebraucht werden, ſo muß nothwendig ihre Ausbreitung bis in die niedrigen Huͤtten der gemeineſten Buͤrger dringen, und ihre Anwendung, als ein weſentlicher Theil in das politiſche Syſtem der Regierung aufgenommen werden, und ihnen gehoͤrt ein Antheil an den Schaͤtzen, die durch die Arbeitſamkeit des Volks, zu Beſtreitung des oͤf- fentlichen Aufwandes jaͤhrlich zuſammen getragen werden. Dieſes wird freylich manchen vermeinten Staats- weiſen wenig einleuchten, und Philoſophen ſelbſt werden ſolche Vorſchlaͤge fuͤr Hirngeſpinſte halten. Jn der That ſind ſie es, ſo lange wir den gegen- waͤrtigen Geiſt der meiſten politiſchen Verfaſſungen, als etwas in ſeinen Grundſaͤtzen unveraͤnderliches vorausſetzen. Wo aͤußere Macht, baarer Reich- thum, und das, was beyde befoͤrdert, fuͤr die erſte Angelegenheit des Staates gehalten werden, ſo ra- then wir die ſchoͤnen Kuͤnſte zu verbannen, und ru- fen denen, die die Geſchaͤfte des Staates verwal- ten, mit dem roͤmiſchen Dichter zu: O! Cives cives, quaerenda pecunia primum eſt Virtus poſt nummos. Es kann von einigem Nutzen ſeyn, wenn wir eine kurze Abbildung des Schikſals der ſchoͤnen Kuͤnſte, und ihres gegenwaͤrtigen Zuſtandes machen, und (†) Einlge beſondere hieher gehoͤrige Anmerkungen fin- den ſich in dem Artikel Kuͤnſtler. (††) Die Nachlaͤßigkeit der deutſchen Regenten in die- ſem Stuͤke, iſt unglaublich. Das wichtigſte aller Mittel, die Menſchen uͤber das Thier empor zu heben, wird ge- rade, als gar nichts geachtet. Man laͤßt jeden unſinnigen Kopf, dem es einſaͤllt, dergleichen zu thun, in Zeitungen, Calendern, Wochenblaͤttern, Buͤchern, Predigten, mit dem ganzen Volke in einer Sprache ſchwatzen, die voll Unſinn und Barbarey iſt. Selbſt der Majeſtaͤt der Mo- narchen, wenn ſie in Mandaten und Verordnungen, mit dem ganzen Volke, deſſen Vaͤter und Fuͤhrer ſie ſind, ſpre- chen, legt man nicht ſeiten eine Sprache in den Mund, die voll Ungeſchiklichkeit iſt, und wo auch die kleinſte Spur des guten Geſchmaks und der Ueberlegung vermißt wird.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/50>, abgerufen am 19.04.2024.