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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 87.
die Juden ein legitimirendes semeion von ihm verlangten
(Joh. 2, 18.), und das Volk in der Synagoge von Kaper-
naum, als er Glauben an sich als den von Gott gesandten
forderte, zur Bedingung dieses Glaubens machte, dass er
ihm ein semeion zeigen sollte (Joh. 6, 30.).

Den neutestamentlichen Nachrichten zufolge hat Je-
sus dieser Anforderung, welche seine Zeitgenossen an den
Messias machten, mehr als genug gethan. Nicht nur be-
steht ein beträchtlicher Theil der evangelischen Erzählun-
gen aus Beschreibungen seiner Wunderthaten; nicht nur
riefen nach seinem Tode seine Anhänger vor Allem auch
die von ihm verrichteten dunameis, semeia und terata den
Juden in das Gedächtniss zurück (A. G. 2, 22.): sondern
das Volk selbst war schon zu seinen Lebzeiten nach die-
ser Seite so durch ihn befriedigt, dass viele desswegen an
ihn glaubten (Joh. 2, 23. vgl. 6, 2.), dass man ihn dem
Täufer, der kein semeion gethan hatte, entgegenstellte (Joh.
10, 41.), und selbst vom künftigen Messias nicht glaubte,
dass er ihn in dieser Hinsicht werde überbieten können
(Joh. 7, 31.). Dass es Jesus an Wundern hätte fehlen las-
sen, scheinen jene Zeichenforderungen um so weniger zu
beweisen, da mehrere derselben unmittelbar nach bedeuten-
den Wunderakten gemacht wurden, so Matth. 12, 38. nach
der Heilung eines Dämonischen, Joh. 6, 30. nach der
Speisung der Fünftausend. Freilich ist eben diese Stellung
schwierig; denn wie die Juden die zwei genannten nicht
als rechte semeia gelten gelassen haben sollten, ist nicht
wohl zu begreifen, da namentlich die Dämonenaustreibun-
gen sehr hoch gehalten wurden (Luc. 10, 17.); es müsste
denn das in jenen beiden Stellen geforderte Zeichen aus
Luc. 11, 16. (vgl. Matth. 16, 1. Marc. 8, 11.) als semeion
ex ouranou näher bestimmt, und dabei an das specifisch-mes-
sianische semeion tou uiou tou anthropou en to ourano (Matth.
24, 30.) gedacht werden. Will man aber lieber die Ver-
bindung jener Zeichenforderungen mit vorhergegangenen

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Neuntes Kapitel. §. 87.
die Juden ein legitimirendes σημεῖον von ihm verlangten
(Joh. 2, 18.), und das Volk in der Synagoge von Kaper-
naum, als er Glauben an sich als den von Gott gesandten
forderte, zur Bedingung dieses Glaubens machte, daſs er
ihm ein σημεῖον zeigen sollte (Joh. 6, 30.).

Den neutestamentlichen Nachrichten zufolge hat Je-
sus dieser Anforderung, welche seine Zeitgenossen an den
Messias machten, mehr als genug gethan. Nicht nur be-
steht ein beträchtlicher Theil der evangelischen Erzählun-
gen aus Beschreibungen seiner Wunderthaten; nicht nur
riefen nach seinem Tode seine Anhänger vor Allem auch
die von ihm verrichteten δυνάμεις, σημεῖα und τέρατα den
Juden in das Gedächtniſs zurück (A. G. 2, 22.): sondern
das Volk selbst war schon zu seinen Lebzeiten nach die-
ser Seite so durch ihn befriedigt, daſs viele deſswegen an
ihn glaubten (Joh. 2, 23. vgl. 6, 2.), daſs man ihn dem
Täufer, der kein σημεῖον gethan hatte, entgegenstellte (Joh.
10, 41.), und selbst vom künftigen Messias nicht glaubte,
daſs er ihn in dieser Hinsicht werde überbieten können
(Joh. 7, 31.). Daſs es Jesus an Wundern hätte fehlen las-
sen, scheinen jene Zeichenforderungen um so weniger zu
beweisen, da mehrere derselben unmittelbar nach bedeuten-
den Wunderakten gemacht wurden, so Matth. 12, 38. nach
der Heilung eines Dämonischen, Joh. 6, 30. nach der
Speisung der Fünftausend. Freilich ist eben diese Stellung
schwierig; denn wie die Juden die zwei genannten nicht
als rechte σημεῖα gelten gelassen haben sollten, ist nicht
wohl zu begreifen, da namentlich die Dämonenaustreibun-
gen sehr hoch gehalten wurden (Luc. 10, 17.); es müſste
denn das in jenen beiden Stellen geforderte Zeichen aus
Luc. 11, 16. (vgl. Matth. 16, 1. Marc. 8, 11.) als σημεῖον
ἐξ οὐρανοῦ näher bestimmt, und dabei an das specifisch-mes-
sianische σημεῖον τοῦ υιοῦ τοῦ ἀνϑρώπου ἐν τῷ οὐρανῷ (Matth.
24, 30.) gedacht werden. Will man aber lieber die Ver-
bindung jener Zeichenforderungen mit vorhergegangenen

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[3/0022] Neuntes Kapitel. §. 87. die Juden ein legitimirendes σημεῖον von ihm verlangten (Joh. 2, 18.), und das Volk in der Synagoge von Kaper- naum, als er Glauben an sich als den von Gott gesandten forderte, zur Bedingung dieses Glaubens machte, daſs er ihm ein σημεῖον zeigen sollte (Joh. 6, 30.). Den neutestamentlichen Nachrichten zufolge hat Je- sus dieser Anforderung, welche seine Zeitgenossen an den Messias machten, mehr als genug gethan. Nicht nur be- steht ein beträchtlicher Theil der evangelischen Erzählun- gen aus Beschreibungen seiner Wunderthaten; nicht nur riefen nach seinem Tode seine Anhänger vor Allem auch die von ihm verrichteten δυνάμεις, σημεῖα und τέρατα den Juden in das Gedächtniſs zurück (A. G. 2, 22.): sondern das Volk selbst war schon zu seinen Lebzeiten nach die- ser Seite so durch ihn befriedigt, daſs viele deſswegen an ihn glaubten (Joh. 2, 23. vgl. 6, 2.), daſs man ihn dem Täufer, der kein σημεῖον gethan hatte, entgegenstellte (Joh. 10, 41.), und selbst vom künftigen Messias nicht glaubte, daſs er ihn in dieser Hinsicht werde überbieten können (Joh. 7, 31.). Daſs es Jesus an Wundern hätte fehlen las- sen, scheinen jene Zeichenforderungen um so weniger zu beweisen, da mehrere derselben unmittelbar nach bedeuten- den Wunderakten gemacht wurden, so Matth. 12, 38. nach der Heilung eines Dämonischen, Joh. 6, 30. nach der Speisung der Fünftausend. Freilich ist eben diese Stellung schwierig; denn wie die Juden die zwei genannten nicht als rechte σημεῖα gelten gelassen haben sollten, ist nicht wohl zu begreifen, da namentlich die Dämonenaustreibun- gen sehr hoch gehalten wurden (Luc. 10, 17.); es müſste denn das in jenen beiden Stellen geforderte Zeichen aus Luc. 11, 16. (vgl. Matth. 16, 1. Marc. 8, 11.) als σημεῖον ἐξ οὐρανοῦ näher bestimmt, und dabei an das specifisch-mes- sianische σημεῖον τοῦ υιοῦ τοῦ ἀνϑρώπου ἐν τῷ οὐρανῷ (Matth. 24, 30.) gedacht werden. Will man aber lieber die Ver- bindung jener Zeichenforderungen mit vorhergegangenen 1 *

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/22>, abgerufen am 25.04.2024.