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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Einleitung. §. 6.
Gesetze in Vollzug zu setzen. So findet der Verf. an den
Patriarchen und den ihnen angeblich zu Theil geworde-
nen göttlichen Mittheilungen, wie der an Abraham ergan-
genen Aufforderung, seinen Sohn zu opfern, Vieles auszu-
setzen; ganz besonders aber sucht er in einem langen Ab-
schnitte den Moses mit aller Schmach eines Betrügers zu
beladen, der die schändlichsten Mittel nicht gescheut ha-
be, um sich zum despotischen Beherrscher eines freien
Volkes zu machen. Zur Einleitung dieses Plans habe er
Gotteserscheinungen erdichtet, und göttliche Befehle zu
Massregeln vorgegeben, welche, wie die Entwendung der
Geräthe aus Ägypten und die Ausrottung der Bewohner
Kanaans, sonst als Betrug, Strassenraub, unmenschliche
Grausamkeit gebrandmarkt werden würden, nun aber durch
das Hinzukommen der paar Worte: Gott hat es gesagt --
plötzlich zu gotteswürdigen Handlungen gestempelt werden
sollen. Ebensowenig vermag der Fragmentist in der neu-
testamentlichen Geschichte eine göttliche zu finden. Der
Plan Jesu ist ihm ein politischer; sein Verhältniss zum
Täufer ein abgeredeter Handel, dass der Eine den Andern
dem Volk empfehlen solle; Jesu Tod ist eine von ihm kei-
neswegs vorausgesehene Vereitelung seiner Absichten, ein
Schlag, den seine Jünger nur durch das betrügerische
Vorgeben seiner Auferstehung und eine schlaue Änderung
ihres Lehrsystems wieder gut zu machen wussten.

§. 6.
Die natürliche Erklärungsart der Rationalisten. Eichhorn. Paulus.

Während gegen die englischen Deisten von den dortigen
zahlreichen Apologeten, und gegen den Wolfenbüttelschen Un-
genannten von der grossen Mehrheit deutscher Theologen die
Realität der biblischen Offenbarung und das Göttliche in der
israelitischen und urchristlichen Geschichte im supranaturali-
stischen Sinne festgehalten wurde: ergriff eine andere Klasse
von Theologen in Deutschland einen neuen Ausweg. Wie

Einleitung. §. 6.
Gesetze in Vollzug zu setzen. So findet der Verf. an den
Patriarchen und den ihnen angeblich zu Theil geworde-
nen göttlichen Mittheilungen, wie der an Abraham ergan-
genen Aufforderung, seinen Sohn zu opfern, Vieles auszu-
setzen; ganz besonders aber sucht er in einem langen Ab-
schnitte den Moses mit aller Schmach eines Betrügers zu
beladen, der die schändlichsten Mittel nicht gescheut ha-
be, um sich zum despotischen Beherrscher eines freien
Volkes zu machen. Zur Einleitung dieses Plans habe er
Gotteserscheinungen erdichtet, und göttliche Befehle zu
Maſsregeln vorgegeben, welche, wie die Entwendung der
Geräthe aus Ägypten und die Ausrottung der Bewohner
Kanaans, sonst als Betrug, Strassenraub, unmenschliche
Grausamkeit gebrandmarkt werden würden, nun aber durch
das Hinzukommen der paar Worte: Gott hat es gesagt —
plötzlich zu gotteswürdigen Handlungen gestempelt werden
sollen. Ebensowenig vermag der Fragmentist in der neu-
testamentlichen Geschichte eine göttliche zu finden. Der
Plan Jesu ist ihm ein politischer; sein Verhältniſs zum
Täufer ein abgeredeter Handel, daſs der Eine den Andern
dem Volk empfehlen solle; Jesu Tod ist eine von ihm kei-
neswegs vorausgesehene Vereitelung seiner Absichten, ein
Schlag, den seine Jünger nur durch das betrügerische
Vorgeben seiner Auferstehung und eine schlaue Änderung
ihres Lehrsystems wieder gut zu machen wuſsten.

§. 6.
Die natürliche Erklärungsart der Rationalisten. Eichhorn. Paulus.

Während gegen die englischen Deisten von den dortigen
zahlreichen Apologeten, und gegen den Wolfenbüttelschen Un-
genannten von der groſsen Mehrheit deutscher Theologen die
Realität der biblischen Offenbarung und das Göttliche in der
israelitischen und urchristlichen Geschichte im supranaturali-
stischen Sinne festgehalten wurde: ergriff eine andere Klasse
von Theologen in Deutschland einen neuen Ausweg. Wie

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[15/0039] Einleitung. §. 6. Gesetze in Vollzug zu setzen. So findet der Verf. an den Patriarchen und den ihnen angeblich zu Theil geworde- nen göttlichen Mittheilungen, wie der an Abraham ergan- genen Aufforderung, seinen Sohn zu opfern, Vieles auszu- setzen; ganz besonders aber sucht er in einem langen Ab- schnitte den Moses mit aller Schmach eines Betrügers zu beladen, der die schändlichsten Mittel nicht gescheut ha- be, um sich zum despotischen Beherrscher eines freien Volkes zu machen. Zur Einleitung dieses Plans habe er Gotteserscheinungen erdichtet, und göttliche Befehle zu Maſsregeln vorgegeben, welche, wie die Entwendung der Geräthe aus Ägypten und die Ausrottung der Bewohner Kanaans, sonst als Betrug, Strassenraub, unmenschliche Grausamkeit gebrandmarkt werden würden, nun aber durch das Hinzukommen der paar Worte: Gott hat es gesagt — plötzlich zu gotteswürdigen Handlungen gestempelt werden sollen. Ebensowenig vermag der Fragmentist in der neu- testamentlichen Geschichte eine göttliche zu finden. Der Plan Jesu ist ihm ein politischer; sein Verhältniſs zum Täufer ein abgeredeter Handel, daſs der Eine den Andern dem Volk empfehlen solle; Jesu Tod ist eine von ihm kei- neswegs vorausgesehene Vereitelung seiner Absichten, ein Schlag, den seine Jünger nur durch das betrügerische Vorgeben seiner Auferstehung und eine schlaue Änderung ihres Lehrsystems wieder gut zu machen wuſsten. §. 6. Die natürliche Erklärungsart der Rationalisten. Eichhorn. Paulus. Während gegen die englischen Deisten von den dortigen zahlreichen Apologeten, und gegen den Wolfenbüttelschen Un- genannten von der groſsen Mehrheit deutscher Theologen die Realität der biblischen Offenbarung und das Göttliche in der israelitischen und urchristlichen Geschichte im supranaturali- stischen Sinne festgehalten wurde: ergriff eine andere Klasse von Theologen in Deutschland einen neuen Ausweg. Wie

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/39>, abgerufen am 19.04.2024.