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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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als sähe sie erschrocken in einen Abgrund. Es war
vielleicht nur so; der Vater blickte lange auf sie
hin, er bückte sich und sah in ihr Gesichtlein;
aber keine Regung der verschlossenen Seele wurde
darin kund. Er hob sie auf den Arm und steckte
ihre verklommenen Händchen in einen seiner dicken
Wollhandschuhe: "So, mein Wienke," -- und das
Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger
Innigkeit in seinen Worten --, "so, wärm' Dich
bei mir! Du bist doch unser Kind, unser einziges.
Du hast uns lieb! .." Die Stimme brach dem
Manne; aber die Kleine drückte zärtlich ihr
Köpfchen in seinen rauhen Bart.

So gingen sie friedlich heimwärts.


Nach Neujahr war wieder einmal die Sorge
in das Haus getreten; ein Marschfieber hatte den
Deichgrafen ergriffen; auch mit ihm ging es nah'
am Rand der Grube her, und als er unter Frau
Elke's Pfleg' und Sorge wieder erstanden war,
schien er kaum derselbe Mann. Die Mattigkeit
des Körpers lag auch auf seinem Geiste, und Elke
sah mit Besorgniß, wie er allzeit leicht zufrieden
war. Dennoch, gegen Ende des März, drängte

als ſähe ſie erſchrocken in einen Abgrund. Es war
vielleicht nur ſo; der Vater blickte lange auf ſie
hin, er bückte ſich und ſah in ihr Geſichtlein;
aber keine Regung der verſchloſſenen Seele wurde
darin kund. Er hob ſie auf den Arm und ſteckte
ihre verklommenen Händchen in einen ſeiner dicken
Wollhandſchuhe: „So, mein Wienke,” — und das
Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger
Innigkeit in ſeinen Worten —, „ſo, wärm' Dich
bei mir! Du biſt doch unſer Kind, unſer einziges.
Du haſt uns lieb! ..” Die Stimme brach dem
Manne; aber die Kleine drückte zärtlich ihr
Köpfchen in ſeinen rauhen Bart.

So gingen ſie friedlich heimwärts.


Nach Neujahr war wieder einmal die Sorge
in das Haus getreten; ein Marſchfieber hatte den
Deichgrafen ergriffen; auch mit ihm ging es nah'
am Rand der Grube her, und als er unter Frau
Elke's Pfleg' und Sorge wieder erſtanden war,
ſchien er kaum derſelbe Mann. Die Mattigkeit
des Körpers lag auch auf ſeinem Geiſte, und Elke
ſah mit Beſorgniß, wie er allzeit leicht zufrieden
war. Dennoch, gegen Ende des März, drängte

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[185/0197] als ſähe ſie erſchrocken in einen Abgrund. Es war vielleicht nur ſo; der Vater blickte lange auf ſie hin, er bückte ſich und ſah in ihr Geſichtlein; aber keine Regung der verſchloſſenen Seele wurde darin kund. Er hob ſie auf den Arm und ſteckte ihre verklommenen Händchen in einen ſeiner dicken Wollhandſchuhe: „So, mein Wienke,” — und das Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger Innigkeit in ſeinen Worten —, „ſo, wärm' Dich bei mir! Du biſt doch unſer Kind, unſer einziges. Du haſt uns lieb! ..” Die Stimme brach dem Manne; aber die Kleine drückte zärtlich ihr Köpfchen in ſeinen rauhen Bart. So gingen ſie friedlich heimwärts. Nach Neujahr war wieder einmal die Sorge in das Haus getreten; ein Marſchfieber hatte den Deichgrafen ergriffen; auch mit ihm ging es nah' am Rand der Grube her, und als er unter Frau Elke's Pfleg' und Sorge wieder erſtanden war, ſchien er kaum derſelbe Mann. Die Mattigkeit des Körpers lag auch auf ſeinem Geiſte, und Elke ſah mit Beſorgniß, wie er allzeit leicht zufrieden war. Dennoch, gegen Ende des März, drängte

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/197>, abgerufen am 16.04.2024.