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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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"Halt' mich!" schrie sie; "halt' mich, Hauke!"
Dann sank die Stimme; es klang, als ob sie weine:
"In See, ins Haf hinaus? O, lieber Gott, ich
seh' ihn nimmer wieder!"

Da wandte er sich und schob die Wärterin
von ihrem Bette; er fiel auf seine Kniee, umfaßte
sein Weib und riß sie an sich: "Elke! Elke, so
kenn' mich doch, ich bin ja bei Dir!"

Aber sie öffnete nur die fieberglühenden Augen
weit und sah wie rettungslos verloren um sich.

Er legte sie zurück auf ihre Kissen; dann
krampfte er die Hände in einander: "Herr, mein
Gott," schrie er; "nimm sie mir nicht! Du weißt,
ich kann sie nicht entbehren!" Dann war's, als
ob er sich besinne, und leiser setzte er hinzu: "Ich
weiß ja wohl, Du kannst nicht allezeit, wie Du
willst, auch Du nicht; Du bist allweise; Du mußt
nach Deiner Weisheit thun -- o, Herr, sprich nur
durch einen Hauch zu mir!"

Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetreten
sei; er hörte nur ein leises Athmen; als er sich zum
Bette kehrte, lag sein Weib in ruhigem Schlaf; nur
die Wärterin sah mit entsetzten Augen auf ihn. Er
hörte die Thür gehen: "Wer war das?" frug er.

„Halt' mich!” ſchrie ſie; „halt' mich, Hauke!”
Dann ſank die Stimme; es klang, als ob ſie weine:
„In See, ins Haf hinaus? O, lieber Gott, ich
ſeh' ihn nimmer wieder!”

Da wandte er ſich und ſchob die Wärterin
von ihrem Bette; er fiel auf ſeine Kniee, umfaßte
ſein Weib und riß ſie an ſich: „Elke! Elke, ſo
kenn' mich doch, ich bin ja bei Dir!”

Aber ſie öffnete nur die fieberglühenden Augen
weit und ſah wie rettungslos verloren um ſich.

Er legte ſie zurück auf ihre Kiſſen; dann
krampfte er die Hände in einander: „Herr, mein
Gott,” ſchrie er; „nimm ſie mir nicht! Du weißt,
ich kann ſie nicht entbehren!” Dann war's, als
ob er ſich beſinne, und leiſer ſetzte er hinzu: „Ich
weiß ja wohl, Du kannſt nicht allezeit, wie Du
willſt, auch Du nicht; Du biſt allweiſe; Du mußt
nach Deiner Weisheit thun — o, Herr, ſprich nur
durch einen Hauch zu mir!”

Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetreten
ſei; er hörte nur ein leiſes Athmen; als er ſich zum
Bette kehrte, lag ſein Weib in ruhigem Schlaf; nur
die Wärterin ſah mit entſetzten Augen auf ihn. Er
hörte die Thür gehen: „Wer war das?” frug er.

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[149/0161] „Halt' mich!” ſchrie ſie; „halt' mich, Hauke!” Dann ſank die Stimme; es klang, als ob ſie weine: „In See, ins Haf hinaus? O, lieber Gott, ich ſeh' ihn nimmer wieder!” Da wandte er ſich und ſchob die Wärterin von ihrem Bette; er fiel auf ſeine Kniee, umfaßte ſein Weib und riß ſie an ſich: „Elke! Elke, ſo kenn' mich doch, ich bin ja bei Dir!” Aber ſie öffnete nur die fieberglühenden Augen weit und ſah wie rettungslos verloren um ſich. Er legte ſie zurück auf ihre Kiſſen; dann krampfte er die Hände in einander: „Herr, mein Gott,” ſchrie er; „nimm ſie mir nicht! Du weißt, ich kann ſie nicht entbehren!” Dann war's, als ob er ſich beſinne, und leiſer ſetzte er hinzu: „Ich weiß ja wohl, Du kannſt nicht allezeit, wie Du willſt, auch Du nicht; Du biſt allweiſe; Du mußt nach Deiner Weisheit thun — o, Herr, ſprich nur durch einen Hauch zu mir!” Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetreten ſei; er hörte nur ein leiſes Athmen; als er ſich zum Bette kehrte, lag ſein Weib in ruhigem Schlaf; nur die Wärterin ſah mit entſetzten Augen auf ihn. Er hörte die Thür gehen: „Wer war das?” frug er.

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/161>, abgerufen am 28.03.2024.