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Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

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"Wenn ein Mensch zu viel' Tugenden hat" - so begann er sein Gespinnst, indem er mir eins der dampfenden Gläser zuschob - "dann ist der Teufel allemal dahinter. "

Ich mochte wohl gelacht haben. "Nein, Nachbar," fuhr er fort, "das ist die simple Wahrheit; es ist gegen die Natur des unvollkommenen Menschen, den unser Herrgott nun einmal so geschaffen hat; denn irgendwo in unsrem Blute sitzt er doch, und je dicker er mit Tugenden zugedeckt wird, desto eifriger bemüht er sich, die Hörner in die Höh' zu kriegen. Ich hatte so einen Freund, Rick Geyers hieß der Junge, und wir fuhren auf einem Schiff; glaubt nicht, daß er ein Duckmäuser war; nein, im Gegentheil ein wilder Kerl; aber dabei ein wahres Nest von Tugend; seine halbe Heuer, so lange sie noch lebte, schickte er an seine Mutter, und saß und schrieb an sie, während wir an den festen Wall gingen und unsern Thalern Flügeln machten. Hatte ein armer Teufel Unheil angerichtet, Rick wollte an Allem Schuld sein; aber man glaubte ihm zuletzt nicht mehr; denn er verstand fast ohne Wind zu segeln, unser großmäuliger Capitän ging selbst bei ihm zu Rathhaus; und dabei war er ein halb Dutzend Jahre kürzer aus der Welt als ich. Vor

„Wenn ein Mensch zu viel’ Tugenden hat“ – so begann er sein Gespinnst, indem er mir eins der dampfenden Gläser zuschob – „dann ist der Teufel allemal dahinter. “

Ich mochte wohl gelacht haben. „Nein, Nachbar,“ fuhr er fort, „das ist die simple Wahrheit; es ist gegen die Natur des unvollkommenen Menschen, den unser Herrgott nun einmal so geschaffen hat; denn irgendwo in unsrem Blute sitzt er doch, und je dicker er mit Tugenden zugedeckt wird, desto eifriger bemüht er sich, die Hörner in die Höh’ zu kriegen. Ich hatte so einen Freund, Rick Geyers hieß der Junge, und wir fuhren auf einem Schiff; glaubt nicht, daß er ein Duckmäuser war; nein, im Gegentheil ein wilder Kerl; aber dabei ein wahres Nest von Tugend; seine halbe Heuer, so lange sie noch lebte, schickte er an seine Mutter, und saß und schrieb an sie, während wir an den festen Wall gingen und unsern Thalern Flügeln machten. Hatte ein armer Teufel Unheil angerichtet, Rick wollte an Allem Schuld sein; aber man glaubte ihm zuletzt nicht mehr; denn er verstand fast ohne Wind zu segeln, unser großmäuliger Capitän ging selbst bei ihm zu Rathhaus; und dabei war er ein halb Dutzend Jahre kürzer aus der Welt als ich. Vor

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[24/0028] „Wenn ein Mensch zu viel’ Tugenden hat“ – so begann er sein Gespinnst, indem er mir eins der dampfenden Gläser zuschob – „dann ist der Teufel allemal dahinter. “ Ich mochte wohl gelacht haben. „Nein, Nachbar,“ fuhr er fort, „das ist die simple Wahrheit; es ist gegen die Natur des unvollkommenen Menschen, den unser Herrgott nun einmal so geschaffen hat; denn irgendwo in unsrem Blute sitzt er doch, und je dicker er mit Tugenden zugedeckt wird, desto eifriger bemüht er sich, die Hörner in die Höh’ zu kriegen. Ich hatte so einen Freund, Rick Geyers hieß der Junge, und wir fuhren auf einem Schiff; glaubt nicht, daß er ein Duckmäuser war; nein, im Gegentheil ein wilder Kerl; aber dabei ein wahres Nest von Tugend; seine halbe Heuer, so lange sie noch lebte, schickte er an seine Mutter, und saß und schrieb an sie, während wir an den festen Wall gingen und unsern Thalern Flügeln machten. Hatte ein armer Teufel Unheil angerichtet, Rick wollte an Allem Schuld sein; aber man glaubte ihm zuletzt nicht mehr; denn er verstand fast ohne Wind zu segeln, unser großmäuliger Capitän ging selbst bei ihm zu Rathhaus; und dabei war er ein halb Dutzend Jahre kürzer aus der Welt als ich. Vor

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Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/28>, abgerufen am 29.03.2024.