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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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ich das Päckchen aus einander faltete, da war's
ihr güldner Pathenpfennig, so sie mir oft ge¬
zeiget hatte; ein Zettlein lag dabei, das las ich
nun beim Schein des Abendrothes. "Damit Du
nicht in Noth gerathest," stund darauf geschrie¬
ben. -- Da streckt' ich meine Arme in die leere
Luft: "Ade, Katharina, ade, ade!" wol hundert
Mal rief ich es in den stillen Wald hinein; --
und erst mit sinkender Nacht erreichte ich die Stadt.

-- -- Seitdem waren fast fünf Jahre dahin¬
gegangen. -- Wie würd' ich heute Alles wieder¬
finden?

Und schon stund ich am Thorhaus, und sah
drunten im Hof die alten Linden, hinter deren
lichtgrünem Laub die beiden Zackengiebel des
Herrenhauses itzt verborgen lagen. Als ich aber
durch den Thorweg gehen wollte, jagten vom
Hofe her zwei fahlgraue Bullenbeißer mit Stachel¬
halsbändern gar wild gegen mich heran; sie er¬
huben ein erschreckliches Geheul und der eine
sprang auf mich und fletschete seine weißen Zähne
dicht vor meinem Antlitz. Solch' einen Will¬

ich das Päckchen aus einander faltete, da war's
ihr güldner Pathenpfennig, ſo ſie mir oft ge¬
zeiget hatte; ein Zettlein lag dabei, das las ich
nun beim Schein des Abendrothes. „Damit Du
nicht in Noth geratheſt,“ ſtund darauf geſchrie¬
ben. — Da ſtreckt' ich meine Arme in die leere
Luft: „Ade, Katharina, ade, ade!“ wol hundert
Mal rief ich es in den ſtillen Wald hinein; —
und erſt mit ſinkender Nacht erreichte ich die Stadt.

— — Seitdem waren faſt fünf Jahre dahin¬
gegangen. — Wie würd' ich heute Alles wieder¬
finden?

Und ſchon ſtund ich am Thorhaus, und ſah
drunten im Hof die alten Linden, hinter deren
lichtgrünem Laub die beiden Zackengiebel des
Herrenhauſes itzt verborgen lagen. Als ich aber
durch den Thorweg gehen wollte, jagten vom
Hofe her zwei fahlgraue Bullenbeißer mit Stachel¬
halsbändern gar wild gegen mich heran; ſie er¬
huben ein erſchreckliches Geheul und der eine
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[31/0045] ich das Päckchen aus einander faltete, da war's ihr güldner Pathenpfennig, ſo ſie mir oft ge¬ zeiget hatte; ein Zettlein lag dabei, das las ich nun beim Schein des Abendrothes. „Damit Du nicht in Noth geratheſt,“ ſtund darauf geſchrie¬ ben. — Da ſtreckt' ich meine Arme in die leere Luft: „Ade, Katharina, ade, ade!“ wol hundert Mal rief ich es in den ſtillen Wald hinein; — und erſt mit ſinkender Nacht erreichte ich die Stadt. — — Seitdem waren faſt fünf Jahre dahin¬ gegangen. — Wie würd' ich heute Alles wieder¬ finden? Und ſchon ſtund ich am Thorhaus, und ſah drunten im Hof die alten Linden, hinter deren lichtgrünem Laub die beiden Zackengiebel des Herrenhauſes itzt verborgen lagen. Als ich aber durch den Thorweg gehen wollte, jagten vom Hofe her zwei fahlgraue Bullenbeißer mit Stachel¬ halsbändern gar wild gegen mich heran; ſie er¬ huben ein erſchreckliches Geheul und der eine ſprang auf mich und fletſchete ſeine weißen Zähne dicht vor meinem Antlitz. Solch' einen Will¬

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/45>, abgerufen am 28.03.2024.