Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich weiß nicht, was für ein bang' Gefühl
mich plötzlich überkam, ohn' alle Ursach', wie ich
derzeit dachte; denn es war eitel Sonnenschein
umher, und vom Himmel herab klang ein gar
herzlich und ermunternd Lerchensingen. Und siehe,
dort auf der Koppel, wo der Hofmann seinen
Immenhof hat, stand ja auch noch der alte Holz¬
birnenbaum und flüsterte mit seinen jungen
Blättern in der blauen Luft.

"Grüß dich Gott!" sagte ich leis, gedachte
dabei aber weniger des Baumes, als vielmehr
des holden Gottesgeschöpfes, in dem, wie es sich
nachmals fügen mußte, all' Glück und Leid, und
auch all' nagende Buße meines Lebens beschlossen
sein sollte, für jetzt und alle Zeit. Das war des
edlen Herrn Gerhardus Töchterlein, des Junkers
Wulfen einzig Geschwister.

Item, es war bald nach meinem lieben Vaters
Tode, als ich zum ersten Mal die ganze Vacanz
hier verbrachte; sie war derzeit ein neunjährig
Dirnlein, die ihre braunen Zöpfe lustig fliegen
ließ; ich zählte um ein paar Jahre weiter. So

Ich weiß nicht, was für ein bang' Gefühl
mich plötzlich überkam, ohn' alle Urſach', wie ich
derzeit dachte; denn es war eitel Sonnenſchein
umher, und vom Himmel herab klang ein gar
herzlich und ermunternd Lerchenſingen. Und ſiehe,
dort auf der Koppel, wo der Hofmann ſeinen
Immenhof hat, ſtand ja auch noch der alte Holz¬
birnenbaum und flüſterte mit ſeinen jungen
Blättern in der blauen Luft.

„Grüß dich Gott!“ ſagte ich leis, gedachte
dabei aber weniger des Baumes, als vielmehr
des holden Gottesgeſchöpfes, in dem, wie es ſich
nachmals fügen mußte, all' Glück und Leid, und
auch all' nagende Buße meines Lebens beſchloſſen
ſein ſollte, für jetzt und alle Zeit. Das war des
edlen Herrn Gerhardus Töchterlein, des Junkers
Wulfen einzig Geſchwiſter.

Item, es war bald nach meinem lieben Vaters
Tode, als ich zum erſten Mal die ganze Vacanz
hier verbrachte; ſie war derzeit ein neunjährig
Dirnlein, die ihre braunen Zöpfe luſtig fliegen
ließ; ich zählte um ein paar Jahre weiter. So

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0036" n="22"/>
      <p>Ich weiß nicht, was für ein bang' Gefühl<lb/>
mich plötzlich überkam, ohn' alle Ur&#x017F;ach', wie ich<lb/>
derzeit dachte; denn es war eitel Sonnen&#x017F;chein<lb/>
umher, und vom Himmel herab klang ein gar<lb/>
herzlich und ermunternd Lerchen&#x017F;ingen. Und &#x017F;iehe,<lb/>
dort auf der Koppel, wo der Hofmann &#x017F;einen<lb/>
Immenhof hat, &#x017F;tand ja auch noch der alte Holz¬<lb/>
birnenbaum und flü&#x017F;terte mit &#x017F;einen jungen<lb/>
Blättern in der blauen Luft.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Grüß dich Gott!&#x201C; &#x017F;agte ich leis, gedachte<lb/>
dabei aber weniger des Baumes, als vielmehr<lb/>
des holden Gottesge&#x017F;chöpfes, in dem, wie es &#x017F;ich<lb/>
nachmals fügen mußte, all' Glück und Leid, und<lb/>
auch all' nagende Buße meines Lebens be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;ollte, für jetzt und alle Zeit. Das war des<lb/>
edlen Herrn Gerhardus Töchterlein, des Junkers<lb/>
Wulfen einzig Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter.</p><lb/>
      <p><hi rendition="#aq">Item</hi>, es war bald nach meinem lieben Vaters<lb/>
Tode, als ich zum er&#x017F;ten Mal die ganze Vacanz<lb/>
hier verbrachte; &#x017F;ie war derzeit ein neunjährig<lb/>
Dirnlein, die ihre braunen Zöpfe lu&#x017F;tig fliegen<lb/>
ließ; ich zählte um ein paar Jahre weiter. So<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0036] Ich weiß nicht, was für ein bang' Gefühl mich plötzlich überkam, ohn' alle Urſach', wie ich derzeit dachte; denn es war eitel Sonnenſchein umher, und vom Himmel herab klang ein gar herzlich und ermunternd Lerchenſingen. Und ſiehe, dort auf der Koppel, wo der Hofmann ſeinen Immenhof hat, ſtand ja auch noch der alte Holz¬ birnenbaum und flüſterte mit ſeinen jungen Blättern in der blauen Luft. „Grüß dich Gott!“ ſagte ich leis, gedachte dabei aber weniger des Baumes, als vielmehr des holden Gottesgeſchöpfes, in dem, wie es ſich nachmals fügen mußte, all' Glück und Leid, und auch all' nagende Buße meines Lebens beſchloſſen ſein ſollte, für jetzt und alle Zeit. Das war des edlen Herrn Gerhardus Töchterlein, des Junkers Wulfen einzig Geſchwiſter. Item, es war bald nach meinem lieben Vaters Tode, als ich zum erſten Mal die ganze Vacanz hier verbrachte; ſie war derzeit ein neunjährig Dirnlein, die ihre braunen Zöpfe luſtig fliegen ließ; ich zählte um ein paar Jahre weiter. So

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/36
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/36>, abgerufen am 29.03.2024.