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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Der Sittliche ist nothwendig darin bornirt, daß er keinen
andern Feind kennt, als den "Unsittlichen". "Wer nicht sitt¬
lich ist der ist unsittlich!", mithin verworfen, verächtlich u. s. w.
Darum kann der Sittliche niemals den Egoisten verstehen.
Ist nicht unehelicher Beischlaf eine Unsittlichkeit? Der Sitt¬
liche mag sich drehen, wie er will, er wird bei diesem Ausspruch
bleiben müssen; Emilia Galotti ließ für diese sittliche Wahr¬
heit ihr Leben. Und es ist wahr, es ist eine Unsittlichkeit.
Ein tugendhaftes Mädchen mag eine alte Jungfer werden;
ein tugendhafter Mann mag die Zeit damit hinbringen, sich
mit seinen Naturtrieben herumzuschlagen, bis er sie vielleicht
verdumpft hat, er mag sich um der Tugend willen verschneiden,
wie der heilige Origenes um des Himmels willen: er ehrt
die heilige Ehe, die heilige Keuschheit dadurch als unverletzlich,
es ist -- sittlich. Unkeuschheit kann nie zu einer sittlichen
That werden. Mag der Sittliche den, der sie beging, auch
noch so nachsichtig beurtheilen und entschuldigen, ein Vergehen,
eine Sünde wider ein sittliches Gebot bleibt sie, es haftet
daran ein unauslöschlicher Makel. Wie die Keuschheit einst
zum Ordensgelübde, so gehört sie zu sittlichem Wandel. Keusch¬
heit ist ein -- Gut. -- Dagegen für den Egoisten ist eben
auch Keuschheit kein Gut, darohne er nicht auskommen könnte:
es ist ihm nichts daran gelegen. Was folgt nun für das
Urtheil des Sittlichen hieraus? Dieß, daß er den Egoisten
in die einzige Klasse von Menschen wirft, die er außer den
sittlichen Menschen kennt, in die der -- Unsittlichen. Er kann
nicht anders, er muß den Egoisten in allem, worin dieser die
Sittlichkeit nicht achtet, unsittlich finden. Fände er ihn nicht
so, so wäre er eben schon der Sittlichkeit abtrünnig geworden,
ohne sich's zu gestehen, er wäre schon kein wahrhaft sittlicher

Der Sittliche iſt nothwendig darin bornirt, daß er keinen
andern Feind kennt, als den „Unſittlichen“. „Wer nicht ſitt¬
lich iſt der iſt unſittlich!“, mithin verworfen, verächtlich u. ſ. w.
Darum kann der Sittliche niemals den Egoiſten verſtehen.
Iſt nicht unehelicher Beiſchlaf eine Unſittlichkeit? Der Sitt¬
liche mag ſich drehen, wie er will, er wird bei dieſem Ausſpruch
bleiben müſſen; Emilia Galotti ließ für dieſe ſittliche Wahr¬
heit ihr Leben. Und es iſt wahr, es iſt eine Unſittlichkeit.
Ein tugendhaftes Mädchen mag eine alte Jungfer werden;
ein tugendhafter Mann mag die Zeit damit hinbringen, ſich
mit ſeinen Naturtrieben herumzuſchlagen, bis er ſie vielleicht
verdumpft hat, er mag ſich um der Tugend willen verſchneiden,
wie der heilige Origenes um des Himmels willen: er ehrt
die heilige Ehe, die heilige Keuſchheit dadurch als unverletzlich,
es iſt — ſittlich. Unkeuſchheit kann nie zu einer ſittlichen
That werden. Mag der Sittliche den, der ſie beging, auch
noch ſo nachſichtig beurtheilen und entſchuldigen, ein Vergehen,
eine Sünde wider ein ſittliches Gebot bleibt ſie, es haftet
daran ein unauslöſchlicher Makel. Wie die Keuſchheit einſt
zum Ordensgelübde, ſo gehört ſie zu ſittlichem Wandel. Keuſch¬
heit iſt ein — Gut. — Dagegen für den Egoiſten iſt eben
auch Keuſchheit kein Gut, darohne er nicht auskommen könnte:
es iſt ihm nichts daran gelegen. Was folgt nun für das
Urtheil des Sittlichen hieraus? Dieß, daß er den Egoiſten
in die einzige Klaſſe von Menſchen wirft, die er außer den
ſittlichen Menſchen kennt, in die der — Unſittlichen. Er kann
nicht anders, er muß den Egoiſten in allem, worin dieſer die
Sittlichkeit nicht achtet, unſittlich finden. Fände er ihn nicht
ſo, ſo wäre er eben ſchon der Sittlichkeit abtrünnig geworden,
ohne ſich's zu geſtehen, er wäre ſchon kein wahrhaft ſittlicher

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[73/0081] Der Sittliche iſt nothwendig darin bornirt, daß er keinen andern Feind kennt, als den „Unſittlichen“. „Wer nicht ſitt¬ lich iſt der iſt unſittlich!“, mithin verworfen, verächtlich u. ſ. w. Darum kann der Sittliche niemals den Egoiſten verſtehen. Iſt nicht unehelicher Beiſchlaf eine Unſittlichkeit? Der Sitt¬ liche mag ſich drehen, wie er will, er wird bei dieſem Ausſpruch bleiben müſſen; Emilia Galotti ließ für dieſe ſittliche Wahr¬ heit ihr Leben. Und es iſt wahr, es iſt eine Unſittlichkeit. Ein tugendhaftes Mädchen mag eine alte Jungfer werden; ein tugendhafter Mann mag die Zeit damit hinbringen, ſich mit ſeinen Naturtrieben herumzuſchlagen, bis er ſie vielleicht verdumpft hat, er mag ſich um der Tugend willen verſchneiden, wie der heilige Origenes um des Himmels willen: er ehrt die heilige Ehe, die heilige Keuſchheit dadurch als unverletzlich, es iſt — ſittlich. Unkeuſchheit kann nie zu einer ſittlichen That werden. Mag der Sittliche den, der ſie beging, auch noch ſo nachſichtig beurtheilen und entſchuldigen, ein Vergehen, eine Sünde wider ein ſittliches Gebot bleibt ſie, es haftet daran ein unauslöſchlicher Makel. Wie die Keuſchheit einſt zum Ordensgelübde, ſo gehört ſie zu ſittlichem Wandel. Keuſch¬ heit iſt ein — Gut. — Dagegen für den Egoiſten iſt eben auch Keuſchheit kein Gut, darohne er nicht auskommen könnte: es iſt ihm nichts daran gelegen. Was folgt nun für das Urtheil des Sittlichen hieraus? Dieß, daß er den Egoiſten in die einzige Klaſſe von Menſchen wirft, die er außer den ſittlichen Menſchen kennt, in die der — Unſittlichen. Er kann nicht anders, er muß den Egoiſten in allem, worin dieſer die Sittlichkeit nicht achtet, unſittlich finden. Fände er ihn nicht ſo, ſo wäre er eben ſchon der Sittlichkeit abtrünnig geworden, ohne ſich's zu geſtehen, er wäre ſchon kein wahrhaft ſittlicher

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/81>, abgerufen am 19.04.2024.