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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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an, und man wird erfahren, wie dieser Sittliche eben auch ein
Glaubensheld ist, trotz einem Krummacher, trotz einem Phi¬
lipp II. Diese fechten für den Kirchenglauben, er für den
Staatsglauben, oder die sittlichen Gesetze des Staates; für
Glaubensartikel verdammen beide denjenigen, der anders han¬
delt, als ihr Glaube es gestatten will. Das Brandmal
des "Verbrechens" wird ihm aufgedrückt, und schmachten mag
er in Sittenverbesserungshäusern, in Kerkern. Der sittliche
Glaube ist so fanatisch als der religiöse! Das heißt dann
"Glaubensfreiheit", wenn Geschwister um eines Verhältnisses
willen, das sie vor ihrem "Gewissen" auszumachen hätten, ins
Gefängniß geworfen werden. "Aber sie gaben ein verderbliches
Beispiel"! Ja freilich, es könnten Andere auch darauf ver¬
fallen, daß der Staat sich nicht in ihr Verhältniß zu mischen
habe, und darüber ginge die "Sittenreinheit" zu Grunde. So
eifern denn die religiösen Glaubenshelden für den "heiligen
Gott", die sittlichen für das "heilige Gute".

Die Eiferer für etwas Heiliges sehen einander oft gar
wenig ähnlich. Wie differiren die strengen Orthodoxen oder
Altgläubigen von den Kämpfern für "Wahrheit, Licht und
Recht", von den Philalethen, Lichtfreunden, Aufgeklärten
u. s. w. Und doch wie gar nichts Wesentliches enthält die
Differenz. Rüttelt man an einzelnen althergebrachten Wahr¬
heiten (z. B. Wunder, unumschränkte Fürstengewalt u. s. w.),
so rütteln die Aufgeklärten mit, und nur die Altgläubigen
jammern. Rüttelt man aber an der Wahrheit selbst, so hat
man gleich beide als Gläubige zu Gegnern. So mit Sitt¬
lichkeiten: die Strenggläubigen sind unnachsichtig, die helleren
Köpfe sind toleranter. Aber wer die Sittlichkeit selbst angreift, der
bekommt's mit beiden zu thun. "Wahrheit, Sittlichkeit, Recht,

an, und man wird erfahren, wie dieſer Sittliche eben auch ein
Glaubensheld iſt, trotz einem Krummacher, trotz einem Phi¬
lipp II. Dieſe fechten für den Kirchenglauben, er für den
Staatsglauben, oder die ſittlichen Geſetze des Staates; für
Glaubensartikel verdammen beide denjenigen, der anders han¬
delt, als ihr Glaube es geſtatten will. Das Brandmal
des „Verbrechens“ wird ihm aufgedrückt, und ſchmachten mag
er in Sittenverbeſſerungshäuſern, in Kerkern. Der ſittliche
Glaube iſt ſo fanatiſch als der religiöſe! Das heißt dann
„Glaubensfreiheit“, wenn Geſchwiſter um eines Verhältniſſes
willen, das ſie vor ihrem „Gewiſſen“ auszumachen hätten, ins
Gefängniß geworfen werden. „Aber ſie gaben ein verderbliches
Beiſpiel“! Ja freilich, es könnten Andere auch darauf ver¬
fallen, daß der Staat ſich nicht in ihr Verhältniß zu miſchen
habe, und darüber ginge die „Sittenreinheit“ zu Grunde. So
eifern denn die religiöſen Glaubenshelden für den „heiligen
Gott“, die ſittlichen für das „heilige Gute“.

Die Eiferer für etwas Heiliges ſehen einander oft gar
wenig ähnlich. Wie differiren die ſtrengen Orthodoxen oder
Altgläubigen von den Kämpfern für „Wahrheit, Licht und
Recht“, von den Philalethen, Lichtfreunden, Aufgeklärten
u. ſ. w. Und doch wie gar nichts Weſentliches enthält die
Differenz. Rüttelt man an einzelnen althergebrachten Wahr¬
heiten (z. B. Wunder, unumſchränkte Fürſtengewalt u. ſ. w.),
ſo rütteln die Aufgeklärten mit, und nur die Altgläubigen
jammern. Rüttelt man aber an der Wahrheit ſelbſt, ſo hat
man gleich beide als Gläubige zu Gegnern. So mit Sitt¬
lichkeiten: die Strenggläubigen ſind unnachſichtig, die helleren
Köpfe ſind toleranter. Aber wer die Sittlichkeit ſelbſt angreift, der
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[61/0069] an, und man wird erfahren, wie dieſer Sittliche eben auch ein Glaubensheld iſt, trotz einem Krummacher, trotz einem Phi¬ lipp II. Dieſe fechten für den Kirchenglauben, er für den Staatsglauben, oder die ſittlichen Geſetze des Staates; für Glaubensartikel verdammen beide denjenigen, der anders han¬ delt, als ihr Glaube es geſtatten will. Das Brandmal des „Verbrechens“ wird ihm aufgedrückt, und ſchmachten mag er in Sittenverbeſſerungshäuſern, in Kerkern. Der ſittliche Glaube iſt ſo fanatiſch als der religiöſe! Das heißt dann „Glaubensfreiheit“, wenn Geſchwiſter um eines Verhältniſſes willen, das ſie vor ihrem „Gewiſſen“ auszumachen hätten, ins Gefängniß geworfen werden. „Aber ſie gaben ein verderbliches Beiſpiel“! Ja freilich, es könnten Andere auch darauf ver¬ fallen, daß der Staat ſich nicht in ihr Verhältniß zu miſchen habe, und darüber ginge die „Sittenreinheit“ zu Grunde. So eifern denn die religiöſen Glaubenshelden für den „heiligen Gott“, die ſittlichen für das „heilige Gute“. Die Eiferer für etwas Heiliges ſehen einander oft gar wenig ähnlich. Wie differiren die ſtrengen Orthodoxen oder Altgläubigen von den Kämpfern für „Wahrheit, Licht und Recht“, von den Philalethen, Lichtfreunden, Aufgeklärten u. ſ. w. Und doch wie gar nichts Weſentliches enthält die Differenz. Rüttelt man an einzelnen althergebrachten Wahr¬ heiten (z. B. Wunder, unumſchränkte Fürſtengewalt u. ſ. w.), ſo rütteln die Aufgeklärten mit, und nur die Altgläubigen jammern. Rüttelt man aber an der Wahrheit ſelbſt, ſo hat man gleich beide als Gläubige zu Gegnern. So mit Sitt¬ lichkeiten: die Strenggläubigen ſind unnachſichtig, die helleren Köpfe ſind toleranter. Aber wer die Sittlichkeit ſelbſt angreift, der bekommt's mit beiden zu thun. „Wahrheit, Sittlichkeit, Recht,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/69>, abgerufen am 29.03.2024.