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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Was in dem Weltall spukt und sein mysteriöses, "unbe¬
greifliches" Wesen treibt, das ist eben der geheimnißvolle Spuk,
den Wir höchstes Wesen nennen. Und diesem Spuk auf den
Grund zu kommen, ihn zu begreifen, in ihm die Wirk¬
lichkeit
zu entdecken (das "Dasein Gottes" zu beweisen), --
diese Aufgabe setzten sich Jahrtausende die Menschen; mit der
gräßlichen Unmöglichkeit, der endlosen Danaidenarbeit, den
Spuk in einen Nicht-Spuk, das Unwirkliche in ein Wirk¬
liches, den Geist in eine ganze und leibhaftige Person zu
verwandeln, -- damit quälten sie sich ab. Hinter der daseien¬
den Welt suchten sie das "Ding an sich", das Wesen, sie such¬
ten hinter dem Ding das Unding.

Wenn man einer Sache auf den Grund schaut, d. h.
ihrem Wesen nachgeht, so entdeckt man oft etwas ganz an¬
deres, als das, was sie zu sein scheint: eine honigsüße Rede
und ein lügnerisches Herz, pomphafte Worte und armselige
Gedanken u. s. w. Man setzt dadurch, daß man das Wesen
hervorhebt, die bisher verkannte Erscheinung zu einem bloßen
Scheine, zu einer Täuschung herab. Das Wesen der so
anziehenden, herrlichen Welt ist für den, der ihr auf den Grund
sieht, die -- Eitelkeit: die Eitelkeit ist -- Weltwesen (Welt¬
treiben). Wer nun religiös ist, der befaßt sich nicht mit dem
trügerischen Schein, nicht mit den eitlen Erscheinungen, son¬
dern schaut das Wesen an, und hat in dem Wesen die --
Wahrheit.

Die Wesen, welche aus den einen Erscheinungen sich er¬
geben, sind die bösen Wesen, und umgekehrt aus andern die
guten. Das Wesen des menschlichen Gemüthes z. B. ist die
Liebe, das Wesen des menschlichen Willens ist das Gute, das
seines Denkens das Wahre u. s. w.

Was in dem Weltall ſpukt und ſein myſteriöſes, „unbe¬
greifliches“ Weſen treibt, das iſt eben der geheimnißvolle Spuk,
den Wir höchſtes Weſen nennen. Und dieſem Spuk auf den
Grund zu kommen, ihn zu begreifen, in ihm die Wirk¬
lichkeit
zu entdecken (das „Daſein Gottes“ zu beweiſen), —
dieſe Aufgabe ſetzten ſich Jahrtauſende die Menſchen; mit der
gräßlichen Unmöglichkeit, der endloſen Danaidenarbeit, den
Spuk in einen Nicht-Spuk, das Unwirkliche in ein Wirk¬
liches, den Geiſt in eine ganze und leibhaftige Perſon zu
verwandeln, — damit quälten ſie ſich ab. Hinter der daſeien¬
den Welt ſuchten ſie das „Ding an ſich“, das Weſen, ſie ſuch¬
ten hinter dem Ding das Unding.

Wenn man einer Sache auf den Grund ſchaut, d. h.
ihrem Weſen nachgeht, ſo entdeckt man oft etwas ganz an¬
deres, als das, was ſie zu ſein ſcheint: eine honigſüße Rede
und ein lügneriſches Herz, pomphafte Worte und armſelige
Gedanken u. ſ. w. Man ſetzt dadurch, daß man das Weſen
hervorhebt, die bisher verkannte Erſcheinung zu einem bloßen
Scheine, zu einer Täuſchung herab. Das Weſen der ſo
anziehenden, herrlichen Welt iſt für den, der ihr auf den Grund
ſieht, die — Eitelkeit: die Eitelkeit iſt — Weltweſen (Welt¬
treiben). Wer nun religiös iſt, der befaßt ſich nicht mit dem
trügeriſchen Schein, nicht mit den eitlen Erſcheinungen, ſon¬
dern ſchaut das Weſen an, und hat in dem Weſen die —
Wahrheit.

Die Weſen, welche aus den einen Erſcheinungen ſich er¬
geben, ſind die böſen Weſen, und umgekehrt aus andern die
guten. Das Weſen des menſchlichen Gemüthes z. B. iſt die
Liebe, das Weſen des menſchlichen Willens iſt das Gute, das
ſeines Denkens das Wahre u. ſ. w.

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[53/0061] Was in dem Weltall ſpukt und ſein myſteriöſes, „unbe¬ greifliches“ Weſen treibt, das iſt eben der geheimnißvolle Spuk, den Wir höchſtes Weſen nennen. Und dieſem Spuk auf den Grund zu kommen, ihn zu begreifen, in ihm die Wirk¬ lichkeit zu entdecken (das „Daſein Gottes“ zu beweiſen), — dieſe Aufgabe ſetzten ſich Jahrtauſende die Menſchen; mit der gräßlichen Unmöglichkeit, der endloſen Danaidenarbeit, den Spuk in einen Nicht-Spuk, das Unwirkliche in ein Wirk¬ liches, den Geiſt in eine ganze und leibhaftige Perſon zu verwandeln, — damit quälten ſie ſich ab. Hinter der daſeien¬ den Welt ſuchten ſie das „Ding an ſich“, das Weſen, ſie ſuch¬ ten hinter dem Ding das Unding. Wenn man einer Sache auf den Grund ſchaut, d. h. ihrem Weſen nachgeht, ſo entdeckt man oft etwas ganz an¬ deres, als das, was ſie zu ſein ſcheint: eine honigſüße Rede und ein lügneriſches Herz, pomphafte Worte und armſelige Gedanken u. ſ. w. Man ſetzt dadurch, daß man das Weſen hervorhebt, die bisher verkannte Erſcheinung zu einem bloßen Scheine, zu einer Täuſchung herab. Das Weſen der ſo anziehenden, herrlichen Welt iſt für den, der ihr auf den Grund ſieht, die — Eitelkeit: die Eitelkeit iſt — Weltweſen (Welt¬ treiben). Wer nun religiös iſt, der befaßt ſich nicht mit dem trügeriſchen Schein, nicht mit den eitlen Erſcheinungen, ſon¬ dern ſchaut das Weſen an, und hat in dem Weſen die — Wahrheit. Die Weſen, welche aus den einen Erſcheinungen ſich er¬ geben, ſind die böſen Weſen, und umgekehrt aus andern die guten. Das Weſen des menſchlichen Gemüthes z. B. iſt die Liebe, das Weſen des menſchlichen Willens iſt das Gute, das ſeines Denkens das Wahre u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/61>, abgerufen am 28.03.2024.