Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

aber der Geist der Dinge, die Hauptsache an allen Dingen,
ihr Innerstes, ihre -- Idee. -- Was Du denkst, ist mithin
nicht bloß Dein Gedanke?-- -- Im Gegentheil, es ist das Wirk¬
lichste, das eigentlich Wahre an der Welt: es ist die Wahrheit
selber; wenn Ich nur wahrhaft denke, so denke Ich die Wahr¬
heit. Ich kann Mich zwar über die Wahrheit täuschen und
sie verkennen; wenn Ich aber wahrhaft erkenne, so ist der
Gegenstand Meiner Erkenntniß die Wahrheit. -- So trachtest
Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen? -- Die Wahr¬
heit ist Mir heilig. Es kann wohl kommen, daß Ich eine
Wahrheit unvollkommen finde und durch eine bessere ersetze,
aber die Wahrheit kann Ich nicht abschaffen. An die Wahr¬
heit glaube Ich, darum forsche Ich in ihr; über sie geht's
nicht hinaus, sie ist ewig.

Heilig, ewig ist die Wahrheit, sie ist das Heilige, das
Ewige. Du aber, der Du von diesem Heiligen Dich erfüllen
und leiten lässest, wirst selbst geheiligt. Auch ist das Heilige
nicht für Deine Sinne, und niemals entdeckst Du als ein
Sinnlicher seine Spur, sondern für Deinen Glauben oder be¬
stimmter noch für Deinen Geist: denn es ist ja selbst ein
Geistiges, ein Geist, ist Geist für den Geist.

Das Heilige läßt sich keineswegs so leicht beseitigen, als
gegenwärtig Manche behaupten, die dieß "ungehörige" Wort
nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in Einer
Beziehung noch "Egoist" gescholten, so bleibt der Gedanke an
ein Anderes übrig, dem Ich mehr dienen sollte als Mir, und das
Mir wichtiger sein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worin Ich
Mein wahres Heil zu suchen hätte, ein -- "Heiliges". Mag dieß
Heilige auch noch so menschlich aussehen, mag es das Mensch¬
liche selber sein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, sondern

aber der Geiſt der Dinge, die Hauptſache an allen Dingen,
ihr Innerſtes, ihre — Idee. — Was Du denkſt, iſt mithin
nicht bloß Dein Gedanke?— — Im Gegentheil, es iſt das Wirk¬
lichſte, das eigentlich Wahre an der Welt: es iſt die Wahrheit
ſelber; wenn Ich nur wahrhaft denke, ſo denke Ich die Wahr¬
heit. Ich kann Mich zwar über die Wahrheit täuſchen und
ſie verkennen; wenn Ich aber wahrhaft erkenne, ſo iſt der
Gegenſtand Meiner Erkenntniß die Wahrheit. — So trachteſt
Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen? — Die Wahr¬
heit iſt Mir heilig. Es kann wohl kommen, daß Ich eine
Wahrheit unvollkommen finde und durch eine beſſere erſetze,
aber die Wahrheit kann Ich nicht abſchaffen. An die Wahr¬
heit glaube Ich, darum forſche Ich in ihr; über ſie geht's
nicht hinaus, ſie iſt ewig.

Heilig, ewig iſt die Wahrheit, ſie iſt das Heilige, das
Ewige. Du aber, der Du von dieſem Heiligen Dich erfüllen
und leiten läſſeſt, wirſt ſelbſt geheiligt. Auch iſt das Heilige
nicht für Deine Sinne, und niemals entdeckſt Du als ein
Sinnlicher ſeine Spur, ſondern für Deinen Glauben oder be¬
ſtimmter noch für Deinen Geiſt: denn es iſt ja ſelbſt ein
Geiſtiges, ein Geiſt, iſt Geiſt für den Geiſt.

Das Heilige läßt ſich keineswegs ſo leicht beſeitigen, als
gegenwärtig Manche behaupten, die dieß „ungehörige“ Wort
nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in Einer
Beziehung noch „Egoiſt“ geſcholten, ſo bleibt der Gedanke an
ein Anderes übrig, dem Ich mehr dienen ſollte als Mir, und das
Mir wichtiger ſein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worin Ich
Mein wahres Heil zu ſuchen hätte, ein — „Heiliges“. Mag dieß
Heilige auch noch ſo menſchlich ausſehen, mag es das Menſch¬
liche ſelber ſein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, ſondern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0056" n="48"/>
aber der Gei&#x017F;t der Dinge, die Haupt&#x017F;ache an allen Dingen,<lb/>
ihr Inner&#x017F;tes, ihre &#x2014; Idee. &#x2014; Was Du denk&#x017F;t, i&#x017F;t mithin<lb/>
nicht bloß Dein Gedanke?&#x2014; &#x2014; Im Gegentheil, es i&#x017F;t das Wirk¬<lb/>
lich&#x017F;te, das eigentlich Wahre an der Welt: es i&#x017F;t die Wahrheit<lb/>
&#x017F;elber; wenn Ich nur wahrhaft denke, &#x017F;o denke Ich die Wahr¬<lb/>
heit. Ich kann Mich zwar über die Wahrheit täu&#x017F;chen und<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#g">verkennen</hi>; wenn Ich aber wahrhaft <hi rendition="#g">erkenne</hi>, &#x017F;o i&#x017F;t der<lb/>
Gegen&#x017F;tand Meiner Erkenntniß die Wahrheit. &#x2014; So trachte&#x017F;t<lb/>
Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen? &#x2014; Die Wahr¬<lb/>
heit i&#x017F;t Mir heilig. Es kann wohl kommen, daß Ich eine<lb/>
Wahrheit unvollkommen finde und durch eine be&#x017F;&#x017F;ere er&#x017F;etze,<lb/>
aber die Wahrheit kann Ich nicht ab&#x017F;chaffen. An die Wahr¬<lb/>
heit <hi rendition="#g">glaube</hi> Ich, darum for&#x017F;che Ich in ihr; über &#x017F;ie geht's<lb/>
nicht hinaus, &#x017F;ie i&#x017F;t ewig.</p><lb/>
              <p>Heilig, ewig i&#x017F;t die Wahrheit, &#x017F;ie i&#x017F;t das Heilige, das<lb/>
Ewige. Du aber, der Du von die&#x017F;em Heiligen Dich erfüllen<lb/>
und leiten lä&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, wir&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t geheiligt. Auch i&#x017F;t das Heilige<lb/>
nicht für Deine Sinne, und niemals entdeck&#x017F;t Du als ein<lb/>
Sinnlicher &#x017F;eine Spur, &#x017F;ondern für Deinen Glauben oder be¬<lb/>
&#x017F;timmter noch für Deinen <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t</hi>: denn es i&#x017F;t ja &#x017F;elb&#x017F;t ein<lb/>
Gei&#x017F;tiges, ein Gei&#x017F;t, i&#x017F;t Gei&#x017F;t für den Gei&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Das Heilige läßt &#x017F;ich keineswegs &#x017F;o leicht be&#x017F;eitigen, als<lb/>
gegenwärtig Manche behaupten, die dieß &#x201E;ungehörige&#x201C; Wort<lb/>
nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in Einer<lb/>
Beziehung noch &#x201E;Egoi&#x017F;t&#x201C; <hi rendition="#g">ge&#x017F;cholten</hi>, &#x017F;o bleibt der Gedanke an<lb/>
ein Anderes übrig, dem Ich mehr dienen &#x017F;ollte als Mir, und das<lb/>
Mir wichtiger &#x017F;ein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worin Ich<lb/>
Mein wahres Heil zu &#x017F;uchen hätte, ein &#x2014; &#x201E;Heiliges&#x201C;. Mag dieß<lb/>
Heilige auch noch &#x017F;o men&#x017F;chlich aus&#x017F;ehen, mag es das Men&#x017F;ch¬<lb/>
liche &#x017F;elber &#x017F;ein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, &#x017F;ondern<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0056] aber der Geiſt der Dinge, die Hauptſache an allen Dingen, ihr Innerſtes, ihre — Idee. — Was Du denkſt, iſt mithin nicht bloß Dein Gedanke?— — Im Gegentheil, es iſt das Wirk¬ lichſte, das eigentlich Wahre an der Welt: es iſt die Wahrheit ſelber; wenn Ich nur wahrhaft denke, ſo denke Ich die Wahr¬ heit. Ich kann Mich zwar über die Wahrheit täuſchen und ſie verkennen; wenn Ich aber wahrhaft erkenne, ſo iſt der Gegenſtand Meiner Erkenntniß die Wahrheit. — So trachteſt Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen? — Die Wahr¬ heit iſt Mir heilig. Es kann wohl kommen, daß Ich eine Wahrheit unvollkommen finde und durch eine beſſere erſetze, aber die Wahrheit kann Ich nicht abſchaffen. An die Wahr¬ heit glaube Ich, darum forſche Ich in ihr; über ſie geht's nicht hinaus, ſie iſt ewig. Heilig, ewig iſt die Wahrheit, ſie iſt das Heilige, das Ewige. Du aber, der Du von dieſem Heiligen Dich erfüllen und leiten läſſeſt, wirſt ſelbſt geheiligt. Auch iſt das Heilige nicht für Deine Sinne, und niemals entdeckſt Du als ein Sinnlicher ſeine Spur, ſondern für Deinen Glauben oder be¬ ſtimmter noch für Deinen Geiſt: denn es iſt ja ſelbſt ein Geiſtiges, ein Geiſt, iſt Geiſt für den Geiſt. Das Heilige läßt ſich keineswegs ſo leicht beſeitigen, als gegenwärtig Manche behaupten, die dieß „ungehörige“ Wort nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in Einer Beziehung noch „Egoiſt“ geſcholten, ſo bleibt der Gedanke an ein Anderes übrig, dem Ich mehr dienen ſollte als Mir, und das Mir wichtiger ſein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worin Ich Mein wahres Heil zu ſuchen hätte, ein — „Heiliges“. Mag dieß Heilige auch noch ſo menſchlich ausſehen, mag es das Menſch¬ liche ſelber ſein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, ſondern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/56
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/56>, abgerufen am 20.04.2024.