Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

deren Ehre (in maiorem humanitatis gloriam) der Einzelne
sich hingeben und seinen "unsterblichen Ruhm" darin finden
muß, für den "Menschheitsgeist" etwas gethan zu haben.

So herrschen die Denkenden in der Welt, so lange die
Pfaffen- oder Schulmeister-Zeit dauert, und was sie sich den¬
ken, das ist möglich, was aber möglich ist, das muß verwirk¬
licht werden. Sie denken sich ein Menschen-Ideal, das
einstweilen nur in ihren Gedanken wirklich ist; aber sie denken
sich auch die Möglichkeit seiner Ausführung, und es ist nicht
zu streiten, die Ausführung ist wirklich -- denkbar, sie ist eine
-- Idee.

Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute sein, von
denen sich ein Krummacher denken kann, daß Wir noch gute
Christen werden könnten; wenn er Uns indeß "bearbeiten"
wollte, so würden Wir ihm bald fühlbar machen, daß unsere
Christlichkeit nur denkbar, sonst aber unmöglich ist: er
würde, grinzte er Uns fort und fort mit seinen zudringlichen
Gedanken, seinem "guten Glauben", an, erfahren müssen,
daß Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht
werden mögen.

Und so geht es fort, weit über die Frömmsten und From¬
men hinaus. "Wenn alle Menschen vernünftig wären, wenn
Alle das Rechte thäten, wenn Alle von Menschenliebe geleitet
würden u. s. w."! Vernunft, Recht, Menschenliebe u. s. w.
wird als der Menschen Beruf, als Ziel ihres Trachtens ihnen
vor Augen gestellt. Und was heißt vernünftig sein? Sich
selbst vernehmen? Nein, die Vernunft ist ein Buch voll Ge¬
setze, die alle gegen den Egoismus gegeben sind.

Die bisherige Geschichte ist die Geschichte des geistigen
Menschen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die

deren Ehre (in maiorem humanitatis gloriam) der Einzelne
ſich hingeben und ſeinen „unſterblichen Ruhm“ darin finden
muß, für den „Menſchheitsgeiſt“ etwas gethan zu haben.

So herrſchen die Denkenden in der Welt, ſo lange die
Pfaffen- oder Schulmeiſter-Zeit dauert, und was ſie ſich den¬
ken, das iſt möglich, was aber möglich iſt, das muß verwirk¬
licht werden. Sie denken ſich ein Menſchen-Ideal, das
einſtweilen nur in ihren Gedanken wirklich iſt; aber ſie denken
ſich auch die Möglichkeit ſeiner Ausführung, und es iſt nicht
zu ſtreiten, die Ausführung iſt wirklich — denkbar, ſie iſt eine
— Idee.

Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute ſein, von
denen ſich ein Krummacher denken kann, daß Wir noch gute
Chriſten werden könnten; wenn er Uns indeß „bearbeiten“
wollte, ſo würden Wir ihm bald fühlbar machen, daß unſere
Chriſtlichkeit nur denkbar, ſonſt aber unmöglich iſt: er
würde, grinzte er Uns fort und fort mit ſeinen zudringlichen
Gedanken, ſeinem „guten Glauben“, an, erfahren müſſen,
daß Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht
werden mögen.

Und ſo geht es fort, weit über die Frömmſten und From¬
men hinaus. „Wenn alle Menſchen vernünftig wären, wenn
Alle das Rechte thäten, wenn Alle von Menſchenliebe geleitet
würden u. ſ. w.“! Vernunft, Recht, Menſchenliebe u. ſ. w.
wird als der Menſchen Beruf, als Ziel ihres Trachtens ihnen
vor Augen geſtellt. Und was heißt vernünftig ſein? Sich
ſelbſt vernehmen? Nein, die Vernunft iſt ein Buch voll Ge¬
ſetze, die alle gegen den Egoismus gegeben ſind.

Die bisherige Geſchichte iſt die Geſchichte des geiſtigen
Menſchen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0450" n="442"/>
deren Ehre (<hi rendition="#aq">in maiorem humanitatis gloriam</hi>) der Einzelne<lb/>
&#x017F;ich hingeben und &#x017F;einen &#x201E;un&#x017F;terblichen Ruhm&#x201C; darin finden<lb/>
muß, für den &#x201E;Men&#x017F;chheitsgei&#x017F;t&#x201C; etwas gethan zu haben.</p><lb/>
            <p>So herr&#x017F;chen die <hi rendition="#g">Denkenden</hi> in der Welt, &#x017F;o lange die<lb/>
Pfaffen- oder Schulmei&#x017F;ter-Zeit dauert, und was &#x017F;ie &#x017F;ich den¬<lb/>
ken, das i&#x017F;t möglich, was aber möglich i&#x017F;t, das muß verwirk¬<lb/>
licht werden. Sie <hi rendition="#g">denken</hi> &#x017F;ich ein Men&#x017F;chen-Ideal, das<lb/>
ein&#x017F;tweilen nur in ihren Gedanken wirklich i&#x017F;t; aber &#x017F;ie denken<lb/>
&#x017F;ich auch die Möglichkeit &#x017F;einer Ausführung, und es i&#x017F;t nicht<lb/>
zu &#x017F;treiten, die Ausführung i&#x017F;t wirklich &#x2014; denkbar, &#x017F;ie i&#x017F;t eine<lb/>
&#x2014; Idee.</p><lb/>
            <p>Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute &#x017F;ein, von<lb/>
denen &#x017F;ich ein Krummacher <hi rendition="#g">denken</hi> kann, daß Wir noch gute<lb/>
Chri&#x017F;ten werden könnten; wenn er Uns indeß &#x201E;bearbeiten&#x201C;<lb/>
wollte, &#x017F;o würden Wir ihm bald fühlbar machen, daß un&#x017F;ere<lb/>
Chri&#x017F;tlichkeit nur <hi rendition="#g">denkbar</hi>, &#x017F;on&#x017F;t aber <hi rendition="#g">unmöglich</hi> i&#x017F;t: er<lb/>
würde, grinzte er Uns fort und fort mit &#x017F;einen zudringlichen<lb/><hi rendition="#g">Gedanken</hi>, &#x017F;einem &#x201E;guten Glauben&#x201C;, an, erfahren mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß Wir gar nicht zu werden <hi rendition="#g">brauchen</hi>, was Wir nicht<lb/>
werden mögen.</p><lb/>
            <p>Und &#x017F;o geht es fort, weit über die Frömm&#x017F;ten und From¬<lb/>
men hinaus. &#x201E;Wenn alle Men&#x017F;chen vernünftig wären, wenn<lb/>
Alle das Rechte thäten, wenn Alle von Men&#x017F;chenliebe geleitet<lb/>
würden u. &#x017F;. w.&#x201C;! Vernunft, Recht, Men&#x017F;chenliebe u. &#x017F;. w.<lb/>
wird als der Men&#x017F;chen Beruf, als Ziel ihres Trachtens ihnen<lb/>
vor Augen ge&#x017F;tellt. Und was heißt vernünftig &#x017F;ein? Sich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vernehmen? Nein, die Vernunft i&#x017F;t ein Buch voll Ge¬<lb/>
&#x017F;etze, die alle gegen den Egoismus gegeben &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Die bisherige Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte des <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen</hi><lb/>
Men&#x017F;chen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0450] deren Ehre (in maiorem humanitatis gloriam) der Einzelne ſich hingeben und ſeinen „unſterblichen Ruhm“ darin finden muß, für den „Menſchheitsgeiſt“ etwas gethan zu haben. So herrſchen die Denkenden in der Welt, ſo lange die Pfaffen- oder Schulmeiſter-Zeit dauert, und was ſie ſich den¬ ken, das iſt möglich, was aber möglich iſt, das muß verwirk¬ licht werden. Sie denken ſich ein Menſchen-Ideal, das einſtweilen nur in ihren Gedanken wirklich iſt; aber ſie denken ſich auch die Möglichkeit ſeiner Ausführung, und es iſt nicht zu ſtreiten, die Ausführung iſt wirklich — denkbar, ſie iſt eine — Idee. Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute ſein, von denen ſich ein Krummacher denken kann, daß Wir noch gute Chriſten werden könnten; wenn er Uns indeß „bearbeiten“ wollte, ſo würden Wir ihm bald fühlbar machen, daß unſere Chriſtlichkeit nur denkbar, ſonſt aber unmöglich iſt: er würde, grinzte er Uns fort und fort mit ſeinen zudringlichen Gedanken, ſeinem „guten Glauben“, an, erfahren müſſen, daß Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht werden mögen. Und ſo geht es fort, weit über die Frömmſten und From¬ men hinaus. „Wenn alle Menſchen vernünftig wären, wenn Alle das Rechte thäten, wenn Alle von Menſchenliebe geleitet würden u. ſ. w.“! Vernunft, Recht, Menſchenliebe u. ſ. w. wird als der Menſchen Beruf, als Ziel ihres Trachtens ihnen vor Augen geſtellt. Und was heißt vernünftig ſein? Sich ſelbſt vernehmen? Nein, die Vernunft iſt ein Buch voll Ge¬ ſetze, die alle gegen den Egoismus gegeben ſind. Die bisherige Geſchichte iſt die Geſchichte des geiſtigen Menſchen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/450
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/450>, abgerufen am 28.03.2024.