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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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brandmarkt das Andenken der -- Kindesmörderin. Wer weiß,
wie viel dieß Kind, wenn es am Leben blieb, "der Welt hätte
nützen" können! Die Mutter ermordete es, weil sie befrie¬
digt
und beruhigt sterben wollte. Dieser Fall sagt eurer
Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Wei¬
teres aus ihm herauszulesen. Es sei; Ich Meinerseits ge¬
brauche ihn als Beispiel dafür, daß meine Befriedigung über
mein Verhältniß zu den Menschen entscheidet, und daß Ich
auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung
von Demuth entsage.

Was überhaupt die "Socialpflichten" anlangt, so giebt
Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, also weder
Gott noch die Menschlichkeit schreibt Mir meine Beziehung
zu den Menschen vor, sondern Ich gebe Mir diese Stellung.
Sprechender ist dieß damit gesagt: Ich habe gegen Andere
keine Pflicht, wie Ich auch nur so lange gegen Mich eine
Pflicht habe (z. B. die der Selbsterhaltung, also nicht Selbst¬
mord), als Ich Mich von Mir unterscheide (meine unsterb¬
liche Seele von meinem Erdendasein u. s. w.).

Ich demüthige Mich vor keiner Macht mehr und er¬
kenne, daß alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich so¬
gleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder
über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins
meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund
unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getödtet wird,
wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherr¬
schen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen
sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu
schaffen, so sind sie nicht mehr; "höhere Mächte" sind nur
dadurch, daß Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle.

brandmarkt das Andenken der — Kindesmörderin. Wer weiß,
wie viel dieß Kind, wenn es am Leben blieb, „der Welt hätte
nützen“ können! Die Mutter ermordete es, weil ſie befrie¬
digt
und beruhigt ſterben wollte. Dieſer Fall ſagt eurer
Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Wei¬
teres aus ihm herauszuleſen. Es ſei; Ich Meinerſeits ge¬
brauche ihn als Beiſpiel dafür, daß meine Befriedigung über
mein Verhältniß zu den Menſchen entſcheidet, und daß Ich
auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung
von Demuth entſage.

Was überhaupt die „Socialpflichten“ anlangt, ſo giebt
Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, alſo weder
Gott noch die Menſchlichkeit ſchreibt Mir meine Beziehung
zu den Menſchen vor, ſondern Ich gebe Mir dieſe Stellung.
Sprechender iſt dieß damit geſagt: Ich habe gegen Andere
keine Pflicht, wie Ich auch nur ſo lange gegen Mich eine
Pflicht habe (z. B. die der Selbſterhaltung, alſo nicht Selbſt¬
mord), als Ich Mich von Mir unterſcheide (meine unſterb¬
liche Seele von meinem Erdendaſein u. ſ. w.).

Ich demüthige Mich vor keiner Macht mehr und er¬
kenne, daß alle Mächte nur meine Macht ſind, die Ich ſo¬
gleich zu unterwerfen habe, wenn ſie eine Macht gegen oder
über Mich zu werden drohen; jede derſelben darf nur eins
meiner Mittel ſein, Mich durchzuſetzen, wie ein Jagdhund
unſere Macht gegen das Wild iſt, aber von Uns getödtet wird,
wenn er Uns ſelbſt anfiele. Alle Mächte, die Mich beherr¬
ſchen, ſetze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen
ſind durch Mich: Ich brauche ſie nur nicht von neuem zu
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[425/0433] brandmarkt das Andenken der — Kindesmörderin. Wer weiß, wie viel dieß Kind, wenn es am Leben blieb, „der Welt hätte nützen“ können! Die Mutter ermordete es, weil ſie befrie¬ digt und beruhigt ſterben wollte. Dieſer Fall ſagt eurer Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Wei¬ teres aus ihm herauszuleſen. Es ſei; Ich Meinerſeits ge¬ brauche ihn als Beiſpiel dafür, daß meine Befriedigung über mein Verhältniß zu den Menſchen entſcheidet, und daß Ich auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung von Demuth entſage. Was überhaupt die „Socialpflichten“ anlangt, ſo giebt Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, alſo weder Gott noch die Menſchlichkeit ſchreibt Mir meine Beziehung zu den Menſchen vor, ſondern Ich gebe Mir dieſe Stellung. Sprechender iſt dieß damit geſagt: Ich habe gegen Andere keine Pflicht, wie Ich auch nur ſo lange gegen Mich eine Pflicht habe (z. B. die der Selbſterhaltung, alſo nicht Selbſt¬ mord), als Ich Mich von Mir unterſcheide (meine unſterb¬ liche Seele von meinem Erdendaſein u. ſ. w.). Ich demüthige Mich vor keiner Macht mehr und er¬ kenne, daß alle Mächte nur meine Macht ſind, die Ich ſo¬ gleich zu unterwerfen habe, wenn ſie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derſelben darf nur eins meiner Mittel ſein, Mich durchzuſetzen, wie ein Jagdhund unſere Macht gegen das Wild iſt, aber von Uns getödtet wird, wenn er Uns ſelbſt anfiele. Alle Mächte, die Mich beherr¬ ſchen, ſetze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen ſind durch Mich: Ich brauche ſie nur nicht von neuem zu ſchaffen, ſo ſind ſie nicht mehr; „höhere Mächte“ ſind nur dadurch, daß Ich ſie erhöhe und Mich niedriger ſtelle.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/433>, abgerufen am 19.04.2024.