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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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gestorben und inhaltsleer geworden ist. Es giebt nun keinen
Inhalt mehr, gegen welchen das Herz sich nicht auflehnte, es
sei denn, daß es unbewußt oder ohne "Selbstbewußtsein" von
ihm beschlichen würde. Das Herz kritisirt alles, was sich
eindrängen will, mit schonungsloser Unbarmherzigkeit zu
Tode, und ist keiner Freundschaft, keiner Liebe (außer eben un¬
bewußt oder überrumpelt) fähig. Was gäbe es auch an den
Menschen zu lieben, da sie allesammt "Egoisten" sind, keiner
der Mensch als solcher, d. h. keiner nur Geist. Der Christ
liebt nur den Geist; wo wäre aber Einer, der wirklich nichts
als Geist wäre?

Den leibhaftigen Menschen mit Haut und Haaren lieb
zu haben, das wäre ja keine "geistige" Herzlichkeit mehr, wäre
ein Verrath an der "reinen" Herzlichkeit, dem "theoretischen
Interesse". Denn man stelle sich die reine Herzlichkeit nur
nicht vor wie jene Gemüthlichkeit, die Jedermann freundlich
die Hand drückt; im Gegentheil, die reine Herzlichkeit ist gegen
Niemand herzlich, sie ist nur theoretische Theilnahme, Antheil
am Menschen als Menschen, nicht als Person. Die Person
ist ihr widerlich, weil sie "egoistisch", weil sie nicht der Mensch,
diese Idee, ist. Nur für die Idee aber giebt es ein theoreti¬
sches Interesse. Für die reine Herzlichkeit oder die reine Theorie
sind die Menschen nur da, um kritisirt, verhöhnt und gründlichst
verachtet zu werden: sie sind für sie nicht minder, als für den
fanatischen Pfaffen, nur "Dreck" und sonst dergleichen Sauberes.

Auf diese äußerste Spitze interesseloser Herzlichkeit getrieben,
müssen Wir endlich inne werden, daß der Geist, welchen der
Christ allein liebt, nichts ist, oder daß der Geist eine -- Lüge ist.

Was hier gedrängt und wohl noch unverständlich hinge¬
worfen wurde, wird sich im weitern Verlauf hoffentlich aufklären.

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geſtorben und inhaltsleer geworden iſt. Es giebt nun keinen
Inhalt mehr, gegen welchen das Herz ſich nicht auflehnte, es
ſei denn, daß es unbewußt oder ohne „Selbſtbewußtſein“ von
ihm beſchlichen würde. Das Herz kritiſirt alles, was ſich
eindrängen will, mit ſchonungsloſer Unbarmherzigkeit zu
Tode, und iſt keiner Freundſchaft, keiner Liebe (außer eben un¬
bewußt oder überrumpelt) fähig. Was gäbe es auch an den
Menſchen zu lieben, da ſie alleſammt „Egoiſten“ ſind, keiner
der Menſch als ſolcher, d. h. keiner nur Geiſt. Der Chriſt
liebt nur den Geiſt; wo wäre aber Einer, der wirklich nichts
als Geiſt wäre?

Den leibhaftigen Menſchen mit Haut und Haaren lieb
zu haben, das wäre ja keine „geiſtige“ Herzlichkeit mehr, wäre
ein Verrath an der „reinen“ Herzlichkeit, dem „theoretiſchen
Intereſſe“. Denn man ſtelle ſich die reine Herzlichkeit nur
nicht vor wie jene Gemüthlichkeit, die Jedermann freundlich
die Hand drückt; im Gegentheil, die reine Herzlichkeit iſt gegen
Niemand herzlich, ſie iſt nur theoretiſche Theilnahme, Antheil
am Menſchen als Menſchen, nicht als Perſon. Die Perſon
iſt ihr widerlich, weil ſie „egoiſtiſch“, weil ſie nicht der Menſch,
dieſe Idee, iſt. Nur für die Idee aber giebt es ein theoreti¬
ſches Intereſſe. Für die reine Herzlichkeit oder die reine Theorie
ſind die Menſchen nur da, um kritiſirt, verhöhnt und gründlichſt
verachtet zu werden: ſie ſind für ſie nicht minder, als für den
fanatiſchen Pfaffen, nur „Dreck“ und ſonſt dergleichen Sauberes.

Auf dieſe äußerſte Spitze intereſſeloſer Herzlichkeit getrieben,
müſſen Wir endlich inne werden, daß der Geiſt, welchen der
Chriſt allein liebt, nichts iſt, oder daß der Geiſt eine — Lüge iſt.

Was hier gedrängt und wohl noch unverſtändlich hinge¬
worfen wurde, wird ſich im weitern Verlauf hoffentlich aufklären.

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[35/0043] geſtorben und inhaltsleer geworden iſt. Es giebt nun keinen Inhalt mehr, gegen welchen das Herz ſich nicht auflehnte, es ſei denn, daß es unbewußt oder ohne „Selbſtbewußtſein“ von ihm beſchlichen würde. Das Herz kritiſirt alles, was ſich eindrängen will, mit ſchonungsloſer Unbarmherzigkeit zu Tode, und iſt keiner Freundſchaft, keiner Liebe (außer eben un¬ bewußt oder überrumpelt) fähig. Was gäbe es auch an den Menſchen zu lieben, da ſie alleſammt „Egoiſten“ ſind, keiner der Menſch als ſolcher, d. h. keiner nur Geiſt. Der Chriſt liebt nur den Geiſt; wo wäre aber Einer, der wirklich nichts als Geiſt wäre? Den leibhaftigen Menſchen mit Haut und Haaren lieb zu haben, das wäre ja keine „geiſtige“ Herzlichkeit mehr, wäre ein Verrath an der „reinen“ Herzlichkeit, dem „theoretiſchen Intereſſe“. Denn man ſtelle ſich die reine Herzlichkeit nur nicht vor wie jene Gemüthlichkeit, die Jedermann freundlich die Hand drückt; im Gegentheil, die reine Herzlichkeit iſt gegen Niemand herzlich, ſie iſt nur theoretiſche Theilnahme, Antheil am Menſchen als Menſchen, nicht als Perſon. Die Perſon iſt ihr widerlich, weil ſie „egoiſtiſch“, weil ſie nicht der Menſch, dieſe Idee, iſt. Nur für die Idee aber giebt es ein theoreti¬ ſches Intereſſe. Für die reine Herzlichkeit oder die reine Theorie ſind die Menſchen nur da, um kritiſirt, verhöhnt und gründlichſt verachtet zu werden: ſie ſind für ſie nicht minder, als für den fanatiſchen Pfaffen, nur „Dreck“ und ſonſt dergleichen Sauberes. Auf dieſe äußerſte Spitze intereſſeloſer Herzlichkeit getrieben, müſſen Wir endlich inne werden, daß der Geiſt, welchen der Chriſt allein liebt, nichts iſt, oder daß der Geiſt eine — Lüge iſt. Was hier gedrängt und wohl noch unverſtändlich hinge¬ worfen wurde, wird ſich im weitern Verlauf hoffentlich aufklären. 3 *

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/43>, abgerufen am 28.03.2024.