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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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schaft, sei es der Gesellschaft "Familie" (Lar, Penaten) oder
eines "Volkes" ("Nationalgott") oder "aller Menschen" ("er
ist ein Vater aller Menschen").

Somit hat man allein dann Aussicht, die Religion bis
auf den Grund zu tilgen, wenn man die Gesellschaft und
alles, was aus diesem Principe fließt, antiquirt. Gerade
aber im Communismus sucht dieß Princip zu culminiren, da
in ihm Alles gemeinschaftlich werden soll, zur Herstellung
der -- "Gleichheit". Ist diese "Gleichheit" gewonnen, so
fehlt auch die "Freiheit" nicht. Aber wessen Freiheit? die der
Gesellschaft! Die Gesellschaft ist dann Alles in Allem,
und die Menschen sind nur "für einander". Es wäre die
Glorie des -- Liebes-Staates.

Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menschen an¬
gewiesen sein, als auf ihre "Liebesdienste", ihre Barmherzig¬
keit, Erbarmen u. s. w. Jener fordert Gegenseitigkeit
(wie Du Mir, so Ich Dir), thut nichts "umsonst", und läßt
sich gewinnen und -- erkaufen. Womit aber erwerbe Ich
Mir den Liebesdienst? Es kommt auf den Zufall an, ob
Ich's gerade mit einem "Liebevollen" zu thun habe. Der
Dienst des Liebreichen läßt sich nur -- erbetteln, sei es
durch meine ganze beklagenswerthe Erscheinung, durch meine
Hülfsbedürftigkeit, mein Elend, mein -- Leiden. Was kann
Ich ihm für seine Hülfleistung bieten? Nichts! Ich muß sie
als -- Geschenk annehmen. Liebe ist unbezahlbar, oder
vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch
Gegenliebe ("Eine Gefälligkeit ist der andern werth"). Welche
Armseligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus
Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienst, wie sie z. B.
vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was

ſchaft, ſei es der Geſellſchaft „Familie“ (Lar, Penaten) oder
eines „Volkes“ („Nationalgott“) oder „aller Menſchen“ („er
iſt ein Vater aller Menſchen“).

Somit hat man allein dann Ausſicht, die Religion bis
auf den Grund zu tilgen, wenn man die Geſellſchaft und
alles, was aus dieſem Principe fließt, antiquirt. Gerade
aber im Communismus ſucht dieß Princip zu culminiren, da
in ihm Alles gemeinſchaftlich werden ſoll, zur Herſtellung
der — „Gleichheit“. Iſt dieſe „Gleichheit“ gewonnen, ſo
fehlt auch die „Freiheit“ nicht. Aber weſſen Freiheit? die der
Geſellſchaft! Die Geſellſchaft iſt dann Alles in Allem,
und die Menſchen ſind nur „für einander“. Es wäre die
Glorie des — Liebes-Staates.

Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menſchen an¬
gewieſen ſein, als auf ihre „Liebesdienſte“, ihre Barmherzig¬
keit, Erbarmen u. ſ. w. Jener fordert Gegenſeitigkeit
(wie Du Mir, ſo Ich Dir), thut nichts „umſonſt“, und läßt
ſich gewinnen und — erkaufen. Womit aber erwerbe Ich
Mir den Liebesdienſt? Es kommt auf den Zufall an, ob
Ich's gerade mit einem „Liebevollen“ zu thun habe. Der
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durch meine ganze beklagenswerthe Erſcheinung, durch meine
Hülfsbedürftigkeit, mein Elend, mein — Leiden. Was kann
Ich ihm für ſeine Hülfleiſtung bieten? Nichts! Ich muß ſie
als — Geſchenk annehmen. Liebe iſt unbezahlbar, oder
vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch
Gegenliebe („Eine Gefälligkeit iſt der andern werth“). Welche
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Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienſt, wie ſie z. B.
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[414/0422] ſchaft, ſei es der Geſellſchaft „Familie“ (Lar, Penaten) oder eines „Volkes“ („Nationalgott“) oder „aller Menſchen“ („er iſt ein Vater aller Menſchen“). Somit hat man allein dann Ausſicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Geſellſchaft und alles, was aus dieſem Principe fließt, antiquirt. Gerade aber im Communismus ſucht dieß Princip zu culminiren, da in ihm Alles gemeinſchaftlich werden ſoll, zur Herſtellung der — „Gleichheit“. Iſt dieſe „Gleichheit“ gewonnen, ſo fehlt auch die „Freiheit“ nicht. Aber weſſen Freiheit? die der Geſellſchaft! Die Geſellſchaft iſt dann Alles in Allem, und die Menſchen ſind nur „für einander“. Es wäre die Glorie des — Liebes-Staates. Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menſchen an¬ gewieſen ſein, als auf ihre „Liebesdienſte“, ihre Barmherzig¬ keit, Erbarmen u. ſ. w. Jener fordert Gegenſeitigkeit (wie Du Mir, ſo Ich Dir), thut nichts „umſonſt“, und läßt ſich gewinnen und — erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienſt? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich's gerade mit einem „Liebevollen“ zu thun habe. Der Dienſt des Liebreichen läßt ſich nur — erbetteln, ſei es durch meine ganze beklagenswerthe Erſcheinung, durch meine Hülfsbedürftigkeit, mein Elend, mein — Leiden. Was kann Ich ihm für ſeine Hülfleiſtung bieten? Nichts! Ich muß ſie als — Geſchenk annehmen. Liebe iſt unbezahlbar, oder vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch Gegenliebe („Eine Gefälligkeit iſt der andern werth“). Welche Armſeligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienſt, wie ſie z. B. vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/422>, abgerufen am 24.04.2024.