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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sorgen, wenn sie sich mit Andern zu diesem Zwecke verbin¬
den
, d. h. "einen Theil ihrer Freiheit opfern", aber nicht
dem Wohle Aller, sondern ihrem eigenen. Eine Appellation
an die aufopfernde Gesinnung und die selbstverleugnende Liebe
der Menschen sollte endlich ihren verführerischen Schein ver¬
loren haben, nachdem sie hinter einer Wirksamkeit von Jahr¬
tausenden nichts zurückgelassen als die heutige -- Misere.
Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Auf¬
opferung Uns bessere Zeiten bringen soll; warum nicht lieber
von der Usurpation sie hoffen? Nicht mehr von den Ge¬
benden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, sondern von
den Nehmenden, den Aneignenden (Usurpatoren), den Eig¬
nern. Der Communismus und, bewußt oder unbewußt, der
den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf
die Liebe.

Ist einmal die Gemeinschaft dem Menschen Bedürfniß
und findet er sich durch sie in seinen Absichten gefördert, so
schreibt sie ihm auch, weil sein Princip geworden, sehr bald
ihre Gesetze vor, die Gesetze der -- Gesellschaft. Das Prin¬
cip der Menschen erhebt sich zur souverainen Macht über sie,
wird ihr höchstes Wesen, ihr Gott, und als solcher -- Gesetz¬
geber. Der Communismus giebt diesem Princip die strengste
Folge, und das Christenthum ist die Religion der Gesellschaft,
denn Liebe ist, wie Feuerbach richtig sagt, obgleich er's nicht
richtig meint, das Wesen des Menschen, d. h. das Wesen der
Gesellschaft oder des gesellschaftlichen (communistischen) Men¬
schen. Alle Religion ist ein Cultus der Gesellschaft, dieses
Principes, von welchem der gesellschaftliche (cultivirte) Mensch
beherrscht wird; auch ist kein Gott der ausschließliche Gott
eines Ich's, sondern immer der einer Gesellschaft oder Gemein¬

ſorgen, wenn ſie ſich mit Andern zu dieſem Zwecke verbin¬
den
, d. h. „einen Theil ihrer Freiheit opfern“, aber nicht
dem Wohle Aller, ſondern ihrem eigenen. Eine Appellation
an die aufopfernde Geſinnung und die ſelbſtverleugnende Liebe
der Menſchen ſollte endlich ihren verführeriſchen Schein ver¬
loren haben, nachdem ſie hinter einer Wirkſamkeit von Jahr¬
tauſenden nichts zurückgelaſſen als die heutige — Miſere.
Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Auf¬
opferung Uns beſſere Zeiten bringen ſoll; warum nicht lieber
von der Uſurpation ſie hoffen? Nicht mehr von den Ge¬
benden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, ſondern von
den Nehmenden, den Aneignenden (Uſurpatoren), den Eig¬
nern. Der Communismus und, bewußt oder unbewußt, der
den Egoismus läſternde Humanismus zählt immer noch auf
die Liebe.

Iſt einmal die Gemeinſchaft dem Menſchen Bedürfniß
und findet er ſich durch ſie in ſeinen Abſichten gefördert, ſo
ſchreibt ſie ihm auch, weil ſein Princip geworden, ſehr bald
ihre Geſetze vor, die Geſetze der — Geſellſchaft. Das Prin¬
cip der Menſchen erhebt ſich zur ſouverainen Macht über ſie,
wird ihr höchſtes Weſen, ihr Gott, und als ſolcher — Geſetz¬
geber. Der Communismus giebt dieſem Princip die ſtrengſte
Folge, und das Chriſtenthum iſt die Religion der Geſellſchaft,
denn Liebe iſt, wie Feuerbach richtig ſagt, obgleich er's nicht
richtig meint, das Weſen des Menſchen, d. h. das Weſen der
Geſellſchaft oder des geſellſchaftlichen (communiſtiſchen) Men¬
ſchen. Alle Religion iſt ein Cultus der Geſellſchaft, dieſes
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[413/0421] ſorgen, wenn ſie ſich mit Andern zu dieſem Zwecke verbin¬ den, d. h. „einen Theil ihrer Freiheit opfern“, aber nicht dem Wohle Aller, ſondern ihrem eigenen. Eine Appellation an die aufopfernde Geſinnung und die ſelbſtverleugnende Liebe der Menſchen ſollte endlich ihren verführeriſchen Schein ver¬ loren haben, nachdem ſie hinter einer Wirkſamkeit von Jahr¬ tauſenden nichts zurückgelaſſen als die heutige — Miſere. Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Auf¬ opferung Uns beſſere Zeiten bringen ſoll; warum nicht lieber von der Uſurpation ſie hoffen? Nicht mehr von den Ge¬ benden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, ſondern von den Nehmenden, den Aneignenden (Uſurpatoren), den Eig¬ nern. Der Communismus und, bewußt oder unbewußt, der den Egoismus läſternde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe. Iſt einmal die Gemeinſchaft dem Menſchen Bedürfniß und findet er ſich durch ſie in ſeinen Abſichten gefördert, ſo ſchreibt ſie ihm auch, weil ſein Princip geworden, ſehr bald ihre Geſetze vor, die Geſetze der — Geſellſchaft. Das Prin¬ cip der Menſchen erhebt ſich zur ſouverainen Macht über ſie, wird ihr höchſtes Weſen, ihr Gott, und als ſolcher — Geſetz¬ geber. Der Communismus giebt dieſem Princip die ſtrengſte Folge, und das Chriſtenthum iſt die Religion der Geſellſchaft, denn Liebe iſt, wie Feuerbach richtig ſagt, obgleich er's nicht richtig meint, das Weſen des Menſchen, d. h. das Weſen der Geſellſchaft oder des geſellſchaftlichen (communiſtiſchen) Men¬ ſchen. Alle Religion iſt ein Cultus der Geſellſchaft, dieſes Principes, von welchem der geſellſchaftliche (cultivirte) Menſch beherrſcht wird; auch iſt kein Gott der ausſchließliche Gott eines Ich's, ſondern immer der einer Geſellſchaft oder Gemein¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/421>, abgerufen am 25.04.2024.