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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Freiheit, die er im Gegentheil der Eigenheit opfert, aber auch
nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied
zwischen Staat und Verein groß genug. Jener ist ein Feind
und Mörder der Eigenheit, dieser ein Sohn und Mitarbeiter
derselben, jener ein Geist, der im Geist und in der Wahrheit
angebetet sein will, dieser mein Werk, mein Erzeugniß; der
Staat ist der Herr meines Geistes, der Glauben fordert und
Mir Glaubensartikel vorschreibt, die Glaubensartikel der Ge¬
setzlichkeit; er übt moralischen Einfluß, beherrscht meinen Geist,
vertreibt mein Ich, um sich als "mein wahres Ich" an dessen
Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich,
den einzelnen Menschen, ist er der wahre Mensch, der Geist,
das Gespenst; der Verein aber ist meine eigene Schöpfung,
mein Geschöpf, nicht heilig, nicht eine geistige Macht über
meinen Geist, so wenig als irgend eine Association, welcher
Art sie auch sei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen
sein mag, sondern sie ohne alle Garantie meiner steten Kri¬
tik blosstelle und gar keine Bürgschaft für ihren Bestand zu¬
lasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine
Zukunft dem Vereine und verschwöre ihm meine Seele, wie
es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geistigen
Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe
Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch
unendlich mehr als der Verein.

Jene Gesellschaft, welche der Communismus gründen will,
scheint der Vereinigung am nächsten zu stehen. Sie soll
nämlich das "Wohl Aller" bezwecken, aber Aller, ruft Weitling
unzählige Male aus, Aller! Das sieht doch wirklich so aus,
als brauchte dabei Keiner zurückzustehen. Welches wird denn
aber dieses Wohl sein? Haben Alle ein und dasselbe Wohl,

Freiheit, die er im Gegentheil der Eigenheit opfert, aber auch
nur der Eigenheit. Auf dieſe bezogen iſt der Unterſchied
zwiſchen Staat und Verein groß genug. Jener iſt ein Feind
und Mörder der Eigenheit, dieſer ein Sohn und Mitarbeiter
derſelben, jener ein Geiſt, der im Geiſt und in der Wahrheit
angebetet ſein will, dieſer mein Werk, mein Erzeugniß; der
Staat iſt der Herr meines Geiſtes, der Glauben fordert und
Mir Glaubensartikel vorſchreibt, die Glaubensartikel der Ge¬
ſetzlichkeit; er übt moraliſchen Einfluß, beherrſcht meinen Geiſt,
vertreibt mein Ich, um ſich als „mein wahres Ich“ an deſſen
Stelle zu ſetzen, kurz der Staat iſt heilig und gegen Mich,
den einzelnen Menſchen, iſt er der wahre Menſch, der Geiſt,
das Geſpenſt; der Verein aber iſt meine eigene Schöpfung,
mein Geſchöpf, nicht heilig, nicht eine geiſtige Macht über
meinen Geiſt, ſo wenig als irgend eine Aſſociation, welcher
Art ſie auch ſei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen
ſein mag, ſondern ſie ohne alle Garantie meiner ſteten Kri¬
tik blosſtelle und gar keine Bürgſchaft für ihren Beſtand zu¬
laſſe, ſo und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine
Zukunft dem Vereine und verſchwöre ihm meine Seele, wie
es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geiſtigen
Autorität wirklich der Fall iſt, ſondern Ich bin und bleibe
Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch
unendlich mehr als der Verein.

Jene Geſellſchaft, welche der Communismus gründen will,
ſcheint der Vereinigung am nächſten zu ſtehen. Sie ſoll
nämlich das „Wohl Aller“ bezwecken, aber Aller, ruft Weitling
unzählige Male aus, Aller! Das ſieht doch wirklich ſo aus,
als brauchte dabei Keiner zurückzuſtehen. Welches wird denn
aber dieſes Wohl ſein? Haben Alle ein und daſſelbe Wohl,

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[411/0419] Freiheit, die er im Gegentheil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf dieſe bezogen iſt der Unterſchied zwiſchen Staat und Verein groß genug. Jener iſt ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieſer ein Sohn und Mitarbeiter derſelben, jener ein Geiſt, der im Geiſt und in der Wahrheit angebetet ſein will, dieſer mein Werk, mein Erzeugniß; der Staat iſt der Herr meines Geiſtes, der Glauben fordert und Mir Glaubensartikel vorſchreibt, die Glaubensartikel der Ge¬ ſetzlichkeit; er übt moraliſchen Einfluß, beherrſcht meinen Geiſt, vertreibt mein Ich, um ſich als „mein wahres Ich“ an deſſen Stelle zu ſetzen, kurz der Staat iſt heilig und gegen Mich, den einzelnen Menſchen, iſt er der wahre Menſch, der Geiſt, das Geſpenſt; der Verein aber iſt meine eigene Schöpfung, mein Geſchöpf, nicht heilig, nicht eine geiſtige Macht über meinen Geiſt, ſo wenig als irgend eine Aſſociation, welcher Art ſie auch ſei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen ſein mag, ſondern ſie ohne alle Garantie meiner ſteten Kri¬ tik blosſtelle und gar keine Bürgſchaft für ihren Beſtand zu¬ laſſe, ſo und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verſchwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geiſtigen Autorität wirklich der Fall iſt, ſondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein. Jene Geſellſchaft, welche der Communismus gründen will, ſcheint der Vereinigung am nächſten zu ſtehen. Sie ſoll nämlich das „Wohl Aller“ bezwecken, aber Aller, ruft Weitling unzählige Male aus, Aller! Das ſieht doch wirklich ſo aus, als brauchte dabei Keiner zurückzuſtehen. Welches wird denn aber dieſes Wohl ſein? Haben Alle ein und daſſelbe Wohl,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/419>, abgerufen am 29.03.2024.