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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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reichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respec¬
tiren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar des¬
halb nicht kann, weil Ich resignire. Sie besteht durch meine
Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Muth¬
losigkeit, genannt -- Demuth. Meine Demuth macht ihr
Muth, meine Unterwürfigkeit giebt ihr die Herrschaft.

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und
Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der Letztere kann
eben so wenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit
auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemes¬
sener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall
unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man
kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so flie¬
gen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht
frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Wasser
leben, wie ein Fisch, weil man der Luft nicht entrathen und
von diesem nothwendigen Bedürfniß nicht frei werden kann
u. dgl. Wie die Religion und am entschiedensten das Chri¬
stenthum den Menschen mit der Forderung quälte, das Unna¬
türliche und Widersinnige zu realisiren, so ist es nur als die
ächte Consequenz jener religiösen Ueberspanntheit und Ueber¬
schwenglichkeit anzusehen, daß endlich die Freiheit selbst,
die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so
der Unsinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. --
Allerdings wird der Verein sowohl ein größeres Maaß von
Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für "eine neue
Freiheit" gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem
dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwange entgeht;
aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl
noch genug enthalten. Denn sein Zweck ist eben nicht -- die

reichbares, das Ich zwar anſtaunen, anbeten, verehren, reſpec¬
tiren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar des¬
halb nicht kann, weil Ich reſignire. Sie beſteht durch meine
Reſignation, meine Selbſtverleugnung, meine Muth¬
loſigkeit, genannt — Demuth. Meine Demuth macht ihr
Muth, meine Unterwürfigkeit giebt ihr die Herrſchaft.

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und
Verein keiner weſentlichen Verſchiedenheit. Der Letztere kann
eben ſo wenig entſtehen oder beſtehen, ohne daß die Freiheit
auf allerlei Art beſchränkt werde, als der Staat mit ungemeſ¬
ſener Freiheit ſich verträgt. Beſchränkung der Freiheit iſt überall
unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man
kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man ſo flie¬
gen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht
frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Waſſer
leben, wie ein Fiſch, weil man der Luft nicht entrathen und
von dieſem nothwendigen Bedürfniß nicht frei werden kann
u. dgl. Wie die Religion und am entſchiedenſten das Chri¬
ſtenthum den Menſchen mit der Forderung quälte, das Unna¬
türliche und Widerſinnige zu realiſiren, ſo iſt es nur als die
ächte Conſequenz jener religiöſen Ueberſpanntheit und Ueber¬
ſchwenglichkeit anzuſehen, daß endlich die Freiheit ſelbſt,
die abſolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und ſo
der Unſinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. —
Allerdings wird der Verein ſowohl ein größeres Maaß von
Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für „eine neue
Freiheit“ gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem
dem Staats- und Geſellſchaftsleben eigenen Zwange entgeht;
aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl
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[410/0418] reichbares, das Ich zwar anſtaunen, anbeten, verehren, reſpec¬ tiren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar des¬ halb nicht kann, weil Ich reſignire. Sie beſteht durch meine Reſignation, meine Selbſtverleugnung, meine Muth¬ loſigkeit, genannt — Demuth. Meine Demuth macht ihr Muth, meine Unterwürfigkeit giebt ihr die Herrſchaft. In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner weſentlichen Verſchiedenheit. Der Letztere kann eben ſo wenig entſtehen oder beſtehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beſchränkt werde, als der Staat mit ungemeſ¬ ſener Freiheit ſich verträgt. Beſchränkung der Freiheit iſt überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man ſo flie¬ gen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Waſſer leben, wie ein Fiſch, weil man der Luft nicht entrathen und von dieſem nothwendigen Bedürfniß nicht frei werden kann u. dgl. Wie die Religion und am entſchiedenſten das Chri¬ ſtenthum den Menſchen mit der Forderung quälte, das Unna¬ türliche und Widerſinnige zu realiſiren, ſo iſt es nur als die ächte Conſequenz jener religiöſen Ueberſpanntheit und Ueber¬ ſchwenglichkeit anzuſehen, daß endlich die Freiheit ſelbſt, die abſolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und ſo der Unſinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. — Allerdings wird der Verein ſowohl ein größeres Maaß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für „eine neue Freiheit“ gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Geſellſchaftsleben eigenen Zwange entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn ſein Zweck iſt eben nicht — die

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/418>, abgerufen am 19.04.2024.