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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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an der Brust eines Menschen, seine Liebe wiegt Uns im
Schooße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tau¬
send Banden an seine Person. Die Gesellschaft ist unser Na¬
tur-Zustand
. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen
lernen, der früher innigste Verband immer lockerer, und die
Auflösung der ursprünglichen Gesellschaft unverkennbarer. Die
Mutter muß das Kind, welches einst unter ihrem Herzen lag,
von der Straße und aus der Mitte seiner Spielgenossen ho¬
len, um es wieder einmal für sich zu haben. Es zieht das
Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht,
der Gesellschaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der
es vielmehr nur geboren ist.

Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr
oder Verein. Allerdings entsteht auch durch Verein eine Ge¬
sellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee
entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie
des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme
aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein
Verein zur Gesellschaft crystallisirt, so hat er aufgehört, eine
Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches
Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum
Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist -- todt
als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung,
d. h. er ist -- Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes
Exempel dieser Art liefert die Partei.

Daß eine Gesellschaft, z. B. die Staatsgesellschaft, Mir
die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich
Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja
von jedem Nebenmenschen die Freiheit beschränken lassen, und
wäre Ich der Selbstherrscher aller R . . . . . ., Ich genösse doch

an der Bruſt eines Menſchen, ſeine Liebe wiegt Uns im
Schooße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tau¬
ſend Banden an ſeine Perſon. Die Geſellſchaft iſt unſer Na¬
tur-Zuſtand
. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen
lernen, der früher innigſte Verband immer lockerer, und die
Auflöſung der urſprünglichen Geſellſchaft unverkennbarer. Die
Mutter muß das Kind, welches einſt unter ihrem Herzen lag,
von der Straße und aus der Mitte ſeiner Spielgenoſſen ho¬
len, um es wieder einmal für ſich zu haben. Es zieht das
Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht,
der Geſellſchaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der
es vielmehr nur geboren iſt.

Die Auflöſung der Geſellſchaft aber iſt der Verkehr
oder Verein. Allerdings entſteht auch durch Verein eine Ge¬
ſellſchaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee
entſteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie
des Gedankens, das Denken ſelbſt, dieſe raſtloſe Zurücknahme
aller ſich verfeſtigenden Gedanken, verſchwindet. Hat ſich ein
Verein zur Geſellſchaft cryſtalliſirt, ſo hat er aufgehört, eine
Vereinigung zu ſein; denn Vereinigung iſt ein unaufhörliches
Sich-Vereinigen; er iſt zu einem Vereinigtſein geworden, zum
Stillſtand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er iſt — todt
als Verein, iſt der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung,
d. h. er iſt — Geſellſchaft, Gemeinſchaft. Ein ſprechendes
Exempel dieſer Art liefert die Partei.

Daß eine Geſellſchaft, z. B. die Staatsgeſellſchaft, Mir
die Freiheit ſchmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich
Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja
von jedem Nebenmenſchen die Freiheit beſchränken laſſen, und
wäre Ich der Selbſtherrſcher aller R . . . . . ., Ich genöſſe doch

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[408/0416] an der Bruſt eines Menſchen, ſeine Liebe wiegt Uns im Schooße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tau¬ ſend Banden an ſeine Perſon. Die Geſellſchaft iſt unſer Na¬ tur-Zuſtand. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen lernen, der früher innigſte Verband immer lockerer, und die Auflöſung der urſprünglichen Geſellſchaft unverkennbarer. Die Mutter muß das Kind, welches einſt unter ihrem Herzen lag, von der Straße und aus der Mitte ſeiner Spielgenoſſen ho¬ len, um es wieder einmal für ſich zu haben. Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht, der Geſellſchaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der es vielmehr nur geboren iſt. Die Auflöſung der Geſellſchaft aber iſt der Verkehr oder Verein. Allerdings entſteht auch durch Verein eine Ge¬ ſellſchaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entſteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken ſelbſt, dieſe raſtloſe Zurücknahme aller ſich verfeſtigenden Gedanken, verſchwindet. Hat ſich ein Verein zur Geſellſchaft cryſtalliſirt, ſo hat er aufgehört, eine Vereinigung zu ſein; denn Vereinigung iſt ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er iſt zu einem Vereinigtſein geworden, zum Stillſtand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er iſt — todt als Verein, iſt der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er iſt — Geſellſchaft, Gemeinſchaft. Ein ſprechendes Exempel dieſer Art liefert die Partei. Daß eine Geſellſchaft, z. B. die Staatsgeſellſchaft, Mir die Freiheit ſchmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja von jedem Nebenmenſchen die Freiheit beſchränken laſſen, und wäre Ich der Selbſtherrſcher aller R . . . . . ., Ich genöſſe doch

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/416>, abgerufen am 23.04.2024.