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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Eide? Dann wäre Ich von vorn herein zum Lügner und
Spion verdorben gewesen; denn Ich gäbe ja dem Feinde frei¬
willig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. -- Auch
fürchtet der Staat den Notheid und läßt deshalb den Ange¬
klagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die
Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber schwört nicht falsch.
Erweiset Ihr z. B. Einem eine Wohlthat, ohne daß er's wissen
soll, er aber vermuthet's und sagt's Euch auf den Kopf zu,
so leugnet Ihr; beharrt er, so sagt Ihr: "wahrhaftig nicht!"
Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn
Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen stets auf halbem
Wege stehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen
Willen
. Ihr lügt mit -- Maaß, wie Ihr frei seid "mit
Maaß", religiös "mit Maaß" (die Geistlichkeit soll nicht
"übergreifen", wie jetzt hierfür der fadeste Streit von Sei¬
ten der Universität gegen die Kirche geführt wird), monar¬
chisch gesinnt "mit Maaß" (Ihr wollt einen durch die Ver¬
fassung, ein Staatsgrundgesetz, beschränkten Monarchen), Alles
hübsch temperirt, lau und flau, halb Gottes, halb des
Teufels.

Es herrschte auf einer Universität der Comment, daß von
den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Universitäts-
Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angesehen
wurde. Die Studenten sahen nämlich in der Abforderung
desselben nichts als einen Fallstrick, dem sie nicht anders ent¬
gehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutsamkeit dessel¬
ben. Wer ebendaselbst einem Commilitonen sein Ehrenwort
brach, war infam; wer es dem Universitäts-Richter gab, lachte
im Verein mit eben diesen Commilitonen den Getäuschten aus,
der sich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter

Eide? Dann wäre Ich von vorn herein zum Lügner und
Spion verdorben geweſen; denn Ich gäbe ja dem Feinde frei¬
willig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. — Auch
fürchtet der Staat den Notheid und läßt deshalb den Ange¬
klagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die
Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber ſchwört nicht falſch.
Erweiſet Ihr z. B. Einem eine Wohlthat, ohne daß er's wiſſen
ſoll, er aber vermuthet's und ſagt's Euch auf den Kopf zu,
ſo leugnet Ihr; beharrt er, ſo ſagt Ihr: „wahrhaftig nicht!“
Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn
Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen ſtets auf halbem
Wege ſtehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen
Willen
. Ihr lügt mit — Maaß, wie Ihr frei ſeid „mit
Maaß“, religiös „mit Maaß“ (die Geiſtlichkeit ſoll nicht
„übergreifen“, wie jetzt hierfür der fadeſte Streit von Sei¬
ten der Univerſität gegen die Kirche geführt wird), monar¬
chiſch geſinnt „mit Maaß“ (Ihr wollt einen durch die Ver¬
faſſung, ein Staatsgrundgeſetz, beſchränkten Monarchen), Alles
hübſch temperirt, lau und flau, halb Gottes, halb des
Teufels.

Es herrſchte auf einer Univerſität der Comment, daß von
den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Univerſitäts-
Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angeſehen
wurde. Die Studenten ſahen nämlich in der Abforderung
deſſelben nichts als einen Fallſtrick, dem ſie nicht anders ent¬
gehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutſamkeit deſſel¬
ben. Wer ebendaſelbſt einem Commilitonen ſein Ehrenwort
brach, war infam; wer es dem Univerſitäts-Richter gab, lachte
im Verein mit eben dieſen Commilitonen den Getäuſchten aus,
der ſich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter

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[404/0412] Eide? Dann wäre Ich von vorn herein zum Lügner und Spion verdorben geweſen; denn Ich gäbe ja dem Feinde frei¬ willig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. — Auch fürchtet der Staat den Notheid und läßt deshalb den Ange¬ klagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber ſchwört nicht falſch. Erweiſet Ihr z. B. Einem eine Wohlthat, ohne daß er's wiſſen ſoll, er aber vermuthet's und ſagt's Euch auf den Kopf zu, ſo leugnet Ihr; beharrt er, ſo ſagt Ihr: „wahrhaftig nicht!“ Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen ſtets auf halbem Wege ſtehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit — Maaß, wie Ihr frei ſeid „mit Maaß“, religiös „mit Maaß“ (die Geiſtlichkeit ſoll nicht „übergreifen“, wie jetzt hierfür der fadeſte Streit von Sei¬ ten der Univerſität gegen die Kirche geführt wird), monar¬ chiſch geſinnt „mit Maaß“ (Ihr wollt einen durch die Ver¬ faſſung, ein Staatsgrundgeſetz, beſchränkten Monarchen), Alles hübſch temperirt, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels. Es herrſchte auf einer Univerſität der Comment, daß von den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Univerſitäts- Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angeſehen wurde. Die Studenten ſahen nämlich in der Abforderung deſſelben nichts als einen Fallſtrick, dem ſie nicht anders ent¬ gehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutſamkeit deſſel¬ ben. Wer ebendaſelbſt einem Commilitonen ſein Ehrenwort brach, war infam; wer es dem Univerſitäts-Richter gab, lachte im Verein mit eben dieſen Commilitonen den Getäuſchten aus, der ſich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/412>, abgerufen am 29.03.2024.