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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich
nicht auf Eine Empfindung für die Menschen, sondern gebe
allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie sollte Ich's
nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich be¬
nutze
die Welt und die Menschen! Dabei kann Ich Mich
jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derselben Mir
selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele
lieben und die verzehrendste Gluth der Leidenschaft in meinem
Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes
zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenschaft, an der
sie immer von Neuem sich erfrischt. All meine Sorge um ihn
gilt nur dem Gegenstande meiner Liebe, nur ihm, den
meine Liebe braucht, nur ihm, dem "Heißgeliebten". Wie
gleichgültig wäre er Mir ohne diese -- meine Liebe. Nur
meine Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn:
Ich genieße ihn.

Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Ich
sehe, wie die Menschen von einem Schwarm Gespenster in
finsterem Aberglauben geängstigt werden. Lasse Ich etwa darum
nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk ein¬
fallen, weil Mir's die Liebe zu Euch so eingiebt? Schreibe
Ich aus Liebe zu den Menschen? Nein, Ich schreibe, weil
Ich meinen Gedanken ein Dasein in der Welt verschaffen
will, und sähe Ich auch voraus, daß diese Gedanken Euch
um eure Ruhe und euren Frieden brächten, sähe Ich auch
die blutigsten Kriege und den Untergang vieler Generationen
aus dieser Gedankensaat aufkeimen: -- Ich streute sie dennoch
aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das ist eure
Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur
Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigsten ziehen

Ich Mich vernichte: Ich löſe ſie auf. Ich beſchränke Mich
nicht auf Eine Empfindung für die Menſchen, ſondern gebe
allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie ſollte Ich's
nicht in aller Grellheit auszuſprechen wagen? Ja, Ich be¬
nutze
die Welt und die Menſchen! Dabei kann Ich Mich
jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derſelben Mir
ſelber entriſſen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele
lieben und die verzehrendſte Gluth der Leidenſchaft in meinem
Herzen brennen laſſen, ohne den Geliebten für etwas Anderes
zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenſchaft, an der
ſie immer von Neuem ſich erfriſcht. All meine Sorge um ihn
gilt nur dem Gegenſtande meiner Liebe, nur ihm, den
meine Liebe braucht, nur ihm, dem „Heißgeliebten“. Wie
gleichgültig wäre er Mir ohne dieſe — meine Liebe. Nur
meine Liebe ſpeiſe Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn:
Ich genieße ihn.

Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beiſpiel. Ich
ſehe, wie die Menſchen von einem Schwarm Geſpenſter in
finſterem Aberglauben geängſtigt werden. Laſſe Ich etwa darum
nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk ein¬
fallen, weil Mir's die Liebe zu Euch ſo eingiebt? Schreibe
Ich aus Liebe zu den Menſchen? Nein, Ich ſchreibe, weil
Ich meinen Gedanken ein Daſein in der Welt verſchaffen
will, und ſähe Ich auch voraus, daß dieſe Gedanken Euch
um eure Ruhe und euren Frieden brächten, ſähe Ich auch
die blutigſten Kriege und den Untergang vieler Generationen
aus dieſer Gedankenſaat aufkeimen: — Ich ſtreute ſie dennoch
aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das iſt eure
Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur
Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigſten ziehen

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[394/0402] Ich Mich vernichte: Ich löſe ſie auf. Ich beſchränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menſchen, ſondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie ſollte Ich's nicht in aller Grellheit auszuſprechen wagen? Ja, Ich be¬ nutze die Welt und die Menſchen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derſelben Mir ſelber entriſſen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendſte Gluth der Leidenſchaft in meinem Herzen brennen laſſen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenſchaft, an der ſie immer von Neuem ſich erfriſcht. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenſtande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem „Heißgeliebten“. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne dieſe — meine Liebe. Nur meine Liebe ſpeiſe Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn. Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beiſpiel. Ich ſehe, wie die Menſchen von einem Schwarm Geſpenſter in finſterem Aberglauben geängſtigt werden. Laſſe Ich etwa darum nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk ein¬ fallen, weil Mir's die Liebe zu Euch ſo eingiebt? Schreibe Ich aus Liebe zu den Menſchen? Nein, Ich ſchreibe, weil Ich meinen Gedanken ein Daſein in der Welt verſchaffen will, und ſähe Ich auch voraus, daß dieſe Gedanken Euch um eure Ruhe und euren Frieden brächten, ſähe Ich auch die blutigſten Kriege und den Untergang vieler Generationen aus dieſer Gedankenſaat aufkeimen: — Ich ſtreute ſie dennoch aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das iſt eure Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigſten ziehen

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/402>, abgerufen am 29.03.2024.