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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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die Gläubigkeit ihre "Selbstbeschränkung" nennen. Unvernünf¬
tige Liebe ist weder "falsch" noch "verderblich"; sie thut als
Liebe ihre Dienste.

Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll Ich
eine bestimmte Empfindung annehmen, und ihnen von
Anfang an mit der Empfindung der Liebe, "mit Liebe entgegen¬
kommen". Freilich offenbart sich hierin weit mehr Willkühl
und Selbstbestimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt
von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den
krausesten, zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe
vielmehr an sie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichsam ei¬
nem Vorurtheil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein
Verhalten gegen sie Mir im Voraus vorgezeichnet, und fühle
und denke trotz all' ihrer Anfechtungen nur so über sie, wie
Ich zu fühlen einmal entschlossen bin. Wider die Herrschaft
der Welt sichere Ich Mich durch den Grundsatz der Liebe;
denn was auch kommen mag, Ich -- liebe. Das Häßliche z. B.
macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entschlos¬
sen zu lieben, bewältige Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie.

Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus
aus determinirt und -- verurtheilt habe, ist eben eine bor¬
nirte
Empfindung, weil sie eine prädestinirte ist, von welcher
Ich selber nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag.
Weil vorgefaßt, ist sie ein Vorurtheil. Ich zeige Mich
nicht mehr gegenüber der Welt, sondern meine Liebe zeigt sich.
Zwar beherrscht die Welt Mich nicht, desto unabwendbarer
aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die Welt
überwunden, um ein Sklave dieses Geistes zu werden.

Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt
ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich vernichte sie, wie

die Gläubigkeit ihre „Selbſtbeſchränkung“ nennen. Unvernünf¬
tige Liebe iſt weder „falſch“ noch „verderblich“; ſie thut als
Liebe ihre Dienſte.

Gegen die Welt, beſonders gegen die Menſchen, ſoll Ich
eine beſtimmte Empfindung annehmen, und ihnen von
Anfang an mit der Empfindung der Liebe, „mit Liebe entgegen¬
kommen“. Freilich offenbart ſich hierin weit mehr Willkühl
und Selbſtbeſtimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt
von allen möglichen Empfindungen beſtürmen laſſe und den
krauſeſten, zufälligſten Eindrücken ausgeſetzt bleibe. Ich gehe
vielmehr an ſie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichſam ei¬
nem Vorurtheil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein
Verhalten gegen ſie Mir im Voraus vorgezeichnet, und fühle
und denke trotz all' ihrer Anfechtungen nur ſo über ſie, wie
Ich zu fühlen einmal entſchloſſen bin. Wider die Herrſchaft
der Welt ſichere Ich Mich durch den Grundſatz der Liebe;
denn was auch kommen mag, Ich — liebe. Das Häßliche z. B.
macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entſchloſ¬
ſen zu lieben, bewältige Ich dieſen Eindruck, wie jede Antipathie.

Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus
aus determinirt und — verurtheilt habe, iſt eben eine bor¬
nirte
Empfindung, weil ſie eine prädeſtinirte iſt, von welcher
Ich ſelber nicht loskommen oder Mich loszuſagen vermag.
Weil vorgefaßt, iſt ſie ein Vorurtheil. Ich zeige Mich
nicht mehr gegenüber der Welt, ſondern meine Liebe zeigt ſich.
Zwar beherrſcht die Welt Mich nicht, deſto unabwendbarer
aber beherrſcht Mich der Geiſt der Liebe. Ich habe die Welt
überwunden, um ein Sklave dieſes Geiſtes zu werden.

Sagte Ich erſt, Ich liebe die Welt, ſo ſetze Ich jetzt
ebenſo hinzu: Ich liebe ſie nicht, denn Ich vernichte ſie, wie

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[393/0401] die Gläubigkeit ihre „Selbſtbeſchränkung“ nennen. Unvernünf¬ tige Liebe iſt weder „falſch“ noch „verderblich“; ſie thut als Liebe ihre Dienſte. Gegen die Welt, beſonders gegen die Menſchen, ſoll Ich eine beſtimmte Empfindung annehmen, und ihnen von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, „mit Liebe entgegen¬ kommen“. Freilich offenbart ſich hierin weit mehr Willkühl und Selbſtbeſtimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen beſtürmen laſſe und den krauſeſten, zufälligſten Eindrücken ausgeſetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an ſie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichſam ei¬ nem Vorurtheil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein Verhalten gegen ſie Mir im Voraus vorgezeichnet, und fühle und denke trotz all' ihrer Anfechtungen nur ſo über ſie, wie Ich zu fühlen einmal entſchloſſen bin. Wider die Herrſchaft der Welt ſichere Ich Mich durch den Grundſatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich — liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entſchloſ¬ ſen zu lieben, bewältige Ich dieſen Eindruck, wie jede Antipathie. Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determinirt und — verurtheilt habe, iſt eben eine bor¬ nirte Empfindung, weil ſie eine prädeſtinirte iſt, von welcher Ich ſelber nicht loskommen oder Mich loszuſagen vermag. Weil vorgefaßt, iſt ſie ein Vorurtheil. Ich zeige Mich nicht mehr gegenüber der Welt, ſondern meine Liebe zeigt ſich. Zwar beherrſcht die Welt Mich nicht, deſto unabwendbarer aber beherrſcht Mich der Geiſt der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieſes Geiſtes zu werden. Sagte Ich erſt, Ich liebe die Welt, ſo ſetze Ich jetzt ebenſo hinzu: Ich liebe ſie nicht, denn Ich vernichte ſie, wie

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/401>, abgerufen am 28.03.2024.