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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Weiter als zu dieser Lebensweisheit brachten es auch
die Römer nicht (Horaz, Cicero u. s. w.).

Das Wohlergehen (Hedone) der Epicuräer ist die¬
selbe Lebensweisheit wie die der Stoiker, nur listiger,
betrügerischer. Sie lehren nur ein anderes Verhalten gegen
die Welt, ermahnen nur eine kluge Haltung gegen die Welt sich zu
geben: die Welt muß betrogen werden, denn sie ist meine Feindin.

Vollständig wird der Bruch mit der Welt von den Skep¬
tikern
vollführt. Meine ganze Beziehung zur Welt ist "werth-
und wahrheitslos". Timon sagt: "die Empfindungen und
Gedanken, welche wir aus der Welt schöpfen, enthalten keine
Wahrheit." "Was ist Wahrheit!" ruft Pilatus aus. Die
Welt ist nach Pyrrhon's Lehre weder gut noch schlecht, weder
schön noch häßlich u. s. w., sondern dieß sind Prädicate,
welche Ich ihr gebe. Timon sagt: "An sich sei weder etwas
gut noch sei es schlecht, sondern der Mensch denke sich's nur
so oder so;" der Welt gegenüber bleibe nur die Atararie (die
Ungerührtheit) und Aphasie (das Verstummen -- oder mit
andern Worten: die isolirte Innerlichkeit) übrig. In der
Welt sei "keine Wahrheit mehr zu erkennen", die Dinge wider¬
sprechen sich, die Gedanken über die Dinge seien unterschieds¬
los (gut und schlecht seien einerlei, so daß, was der Eine gut
nennt, ein Anderer schlecht findet); da sei es mit der Erkennt¬
niß der "Wahrheit" aus, und nur der erkenntnißlose
Mensch
, der Mensch, welcher an der Welt nichts zu erken¬
nen findet, bleibe übrig, und dieser Mensch lasse die wahrheits¬
leere Welt eben stehen und mache sich nichts aus ihr.

So wird das Alterthum mit der Welt der Dinge, der
Weltordnung, dem Weltganzen fertig; zur Weltordnung oder
den Dingen dieser Welt gehört aber nicht etwa nur die Natur,

Weiter als zu dieſer Lebensweisheit brachten es auch
die Römer nicht (Horaz, Cicero u. ſ. w.).

Das Wohlergehen (Hedone) der Epicuräer iſt die¬
ſelbe Lebensweisheit wie die der Stoiker, nur liſtiger,
betrügeriſcher. Sie lehren nur ein anderes Verhalten gegen
die Welt, ermahnen nur eine kluge Haltung gegen die Welt ſich zu
geben: die Welt muß betrogen werden, denn ſie iſt meine Feindin.

Vollſtändig wird der Bruch mit der Welt von den Skep¬
tikern
vollführt. Meine ganze Beziehung zur Welt iſt „werth-
und wahrheitslos“. Timon ſagt: „die Empfindungen und
Gedanken, welche wir aus der Welt ſchöpfen, enthalten keine
Wahrheit.“ „Was iſt Wahrheit!“ ruft Pilatus aus. Die
Welt iſt nach Pyrrhon's Lehre weder gut noch ſchlecht, weder
ſchön noch häßlich u. ſ. w., ſondern dieß ſind Prädicate,
welche Ich ihr gebe. Timon ſagt: „An ſich ſei weder etwas
gut noch ſei es ſchlecht, ſondern der Menſch denke ſich's nur
ſo oder ſo;“ der Welt gegenüber bleibe nur die Atararie (die
Ungerührtheit) und Aphaſie (das Verſtummen — oder mit
andern Worten: die iſolirte Innerlichkeit) übrig. In der
Welt ſei „keine Wahrheit mehr zu erkennen“, die Dinge wider¬
ſprechen ſich, die Gedanken über die Dinge ſeien unterſchieds¬
los (gut und ſchlecht ſeien einerlei, ſo daß, was der Eine gut
nennt, ein Anderer ſchlecht findet); da ſei es mit der Erkennt¬
niß der „Wahrheit“ aus, und nur der erkenntnißloſe
Menſch
, der Menſch, welcher an der Welt nichts zu erken¬
nen findet, bleibe übrig, und dieſer Menſch laſſe die wahrheits¬
leere Welt eben ſtehen und mache ſich nichts aus ihr.

So wird das Alterthum mit der Welt der Dinge, der
Weltordnung, dem Weltganzen fertig; zur Weltordnung oder
den Dingen dieſer Welt gehört aber nicht etwa nur die Natur,

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[32/0040] Weiter als zu dieſer Lebensweisheit brachten es auch die Römer nicht (Horaz, Cicero u. ſ. w.). Das Wohlergehen (Hedone) der Epicuräer iſt die¬ ſelbe Lebensweisheit wie die der Stoiker, nur liſtiger, betrügeriſcher. Sie lehren nur ein anderes Verhalten gegen die Welt, ermahnen nur eine kluge Haltung gegen die Welt ſich zu geben: die Welt muß betrogen werden, denn ſie iſt meine Feindin. Vollſtändig wird der Bruch mit der Welt von den Skep¬ tikern vollführt. Meine ganze Beziehung zur Welt iſt „werth- und wahrheitslos“. Timon ſagt: „die Empfindungen und Gedanken, welche wir aus der Welt ſchöpfen, enthalten keine Wahrheit.“ „Was iſt Wahrheit!“ ruft Pilatus aus. Die Welt iſt nach Pyrrhon's Lehre weder gut noch ſchlecht, weder ſchön noch häßlich u. ſ. w., ſondern dieß ſind Prädicate, welche Ich ihr gebe. Timon ſagt: „An ſich ſei weder etwas gut noch ſei es ſchlecht, ſondern der Menſch denke ſich's nur ſo oder ſo;“ der Welt gegenüber bleibe nur die Atararie (die Ungerührtheit) und Aphaſie (das Verſtummen — oder mit andern Worten: die iſolirte Innerlichkeit) übrig. In der Welt ſei „keine Wahrheit mehr zu erkennen“, die Dinge wider¬ ſprechen ſich, die Gedanken über die Dinge ſeien unterſchieds¬ los (gut und ſchlecht ſeien einerlei, ſo daß, was der Eine gut nennt, ein Anderer ſchlecht findet); da ſei es mit der Erkennt¬ niß der „Wahrheit“ aus, und nur der erkenntnißloſe Menſch, der Menſch, welcher an der Welt nichts zu erken¬ nen findet, bleibe übrig, und dieſer Menſch laſſe die wahrheits¬ leere Welt eben ſtehen und mache ſich nichts aus ihr. So wird das Alterthum mit der Welt der Dinge, der Weltordnung, dem Weltganzen fertig; zur Weltordnung oder den Dingen dieſer Welt gehört aber nicht etwa nur die Natur,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/40>, abgerufen am 28.03.2024.