Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner
Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein
Eigenthum, dann lasse Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk,
ein Vaterland, eine Familie u. s. w., die sich meine Liebe nicht
zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich stelle
den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.

Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen,
mystischen oder romantischen ab. Lieben kann man alles Mög¬
liche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen "Gegen¬
stand" (den Wein, sein Vaterland u. s. w.). Blind und toll
wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt
entzieht (Vernarrtheit), romantisch dadurch, daß ein Sollen
in sie eintritt, d. h. daß der "Gegenstand" Mir heilig wird,
oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde.
Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sondern Ich bin
für ihn da.

Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessen¬
heit -- als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigen¬
thum --, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die
religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬
ten einen "Heiligen" zu lieben oder an einem Heiligen zu
hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es absolut lie¬
benswürdige
Gegenstände, für welche mein Herz schlagen
soll, z. B. die Mitmenschen, oder den Ehegatten, die Ver¬
wandten u. s. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬
liebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer
mehr einen Heiligen (z. B. einen "Menschen") zu machen.

Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt
werden soll. Er ist nicht Gegenstand meiner Liebe darum,
weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, sondern ist Gegenstand

Aber die Liebe iſt kein Gebot, ſondern, wie jedes meiner
Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein
Eigenthum, dann laſſe Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk,
ein Vaterland, eine Familie u. ſ. w., die ſich meine Liebe nicht
zu erwerben wiſſen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich ſtelle
den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.

Die eigennützige Liebe ſteht weit von der uneigennützigen,
myſtiſchen oder romantiſchen ab. Lieben kann man alles Mög¬
liche, nicht bloß Menſchen, ſondern überhaupt einen „Gegen¬
ſtand“ (den Wein, ſein Vaterland u. ſ. w.). Blind und toll
wird die Liebe dadurch, daß ein Müſſen ſie meiner Gewalt
entzieht (Vernarrtheit), romantiſch dadurch, daß ein Sollen
in ſie eintritt, d. h. daß der „Gegenſtand“ Mir heilig wird,
oder Ich durch Pflicht, Gewiſſen, Eid an ihn gebunden werde.
Nun iſt der Gegenſtand nicht mehr für Mich, ſondern Ich bin
für ihn da.

Nicht als meine Empfindung iſt die Liebe eine Beſeſſen¬
heit — als jene behalte Ich ſie vielmehr im Beſitz als Eigen¬
thum —, ſondern durch die Fremdheit des Gegenſtandes. Die
religiöſe Liebe beſteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬
ten einen „Heiligen“ zu lieben oder an einem Heiligen zu
hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es abſolut lie¬
benswürdige
Gegenſtände, für welche mein Herz ſchlagen
ſoll, z. B. die Mitmenſchen, oder den Ehegatten, die Ver¬
wandten u. ſ. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬
liebten, und bemüht ſich darum auch, aus dem Geliebten immer
mehr einen Heiligen (z. B. einen „Menſchen“) zu machen.

Der Geliebte iſt ein Gegenſtand, der von Mir geliebt
werden ſoll. Er iſt nicht Gegenſtand meiner Liebe darum,
weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, ſondern iſt Gegenſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0397" n="389"/>
            <p>Aber die Liebe i&#x017F;t kein Gebot, &#x017F;ondern, wie jedes meiner<lb/>
Gefühle, <hi rendition="#g">mein Eigenthum</hi>. <hi rendition="#g">Erwerbt</hi>, d. h. erkauft mein<lb/>
Eigenthum, dann la&#x017F;&#x017F;e Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk,<lb/>
ein Vaterland, eine Familie u. &#x017F;. w., die &#x017F;ich meine Liebe nicht<lb/>
zu erwerben wi&#x017F;&#x017F;en, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich &#x017F;telle<lb/>
den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.</p><lb/>
            <p>Die eigennützige Liebe &#x017F;teht weit von der uneigennützigen,<lb/>
my&#x017F;ti&#x017F;chen oder romanti&#x017F;chen ab. Lieben kann man alles Mög¬<lb/>
liche, nicht bloß Men&#x017F;chen, &#x017F;ondern überhaupt einen &#x201E;Gegen¬<lb/>
&#x017F;tand&#x201C; (den Wein, &#x017F;ein Vaterland u. &#x017F;. w.). Blind und toll<lb/>
wird die Liebe dadurch, daß ein <hi rendition="#g">&#x017F;&#x017F;en</hi> &#x017F;ie meiner Gewalt<lb/>
entzieht (Vernarrtheit), romanti&#x017F;ch dadurch, daß ein <hi rendition="#g">Sollen</hi><lb/>
in &#x017F;ie eintritt, d. h. daß der &#x201E;Gegen&#x017F;tand&#x201C; Mir heilig wird,<lb/>
oder Ich durch Pflicht, Gewi&#x017F;&#x017F;en, Eid an ihn gebunden werde.<lb/>
Nun i&#x017F;t der Gegen&#x017F;tand nicht mehr für Mich, &#x017F;ondern Ich bin<lb/>
für ihn da.</p><lb/>
            <p>Nicht als meine Empfindung i&#x017F;t die Liebe eine Be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en¬<lb/>
heit &#x2014; als jene behalte Ich &#x017F;ie vielmehr im Be&#x017F;itz als Eigen¬<lb/>
thum &#x2014;, &#x017F;ondern durch die Fremdheit des Gegen&#x017F;tandes. Die<lb/>
religiö&#x017F;e Liebe be&#x017F;teht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬<lb/>
ten einen &#x201E;Heiligen&#x201C; zu lieben oder an einem Heiligen zu<lb/>
hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut lie¬<lb/>
benswürdige</hi> Gegen&#x017F;tände, für welche mein Herz &#x017F;chlagen<lb/>
&#x017F;oll, z. B. die Mitmen&#x017F;chen, oder den Ehegatten, die Ver¬<lb/>
wandten u. &#x017F;. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬<lb/>
liebten, und bemüht &#x017F;ich darum auch, aus dem Geliebten immer<lb/>
mehr einen Heiligen (z. B. einen &#x201E;Men&#x017F;chen&#x201C;) zu machen.</p><lb/>
            <p>Der Geliebte i&#x017F;t ein Gegen&#x017F;tand, der von Mir geliebt<lb/>
werden <hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi>. Er i&#x017F;t nicht Gegen&#x017F;tand meiner Liebe darum,<lb/>
weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, &#x017F;ondern i&#x017F;t Gegen&#x017F;tand<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0397] Aber die Liebe iſt kein Gebot, ſondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigenthum, dann laſſe Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie u. ſ. w., die ſich meine Liebe nicht zu erwerben wiſſen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich ſtelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen. Die eigennützige Liebe ſteht weit von der uneigennützigen, myſtiſchen oder romantiſchen ab. Lieben kann man alles Mög¬ liche, nicht bloß Menſchen, ſondern überhaupt einen „Gegen¬ ſtand“ (den Wein, ſein Vaterland u. ſ. w.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müſſen ſie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantiſch dadurch, daß ein Sollen in ſie eintritt, d. h. daß der „Gegenſtand“ Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewiſſen, Eid an ihn gebunden werde. Nun iſt der Gegenſtand nicht mehr für Mich, ſondern Ich bin für ihn da. Nicht als meine Empfindung iſt die Liebe eine Beſeſſen¬ heit — als jene behalte Ich ſie vielmehr im Beſitz als Eigen¬ thum —, ſondern durch die Fremdheit des Gegenſtandes. Die religiöſe Liebe beſteht nämlich in dem Gebote, in dem Gelieb¬ ten einen „Heiligen“ zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es abſolut lie¬ benswürdige Gegenſtände, für welche mein Herz ſchlagen ſoll, z. B. die Mitmenſchen, oder den Ehegatten, die Ver¬ wandten u. ſ. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Ge¬ liebten, und bemüht ſich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen „Menſchen“) zu machen. Der Geliebte iſt ein Gegenſtand, der von Mir geliebt werden ſoll. Er iſt nicht Gegenſtand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, ſondern iſt Gegenſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/397
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/397>, abgerufen am 24.04.2024.