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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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andern Leidenschaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehr¬
geizige, der vom Ehrgeiz fortgerissen wird und gegen jede
Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub
bleibt, der hat diese Leidenschaft zu einer Zwingherrin an¬
wachsen lassen, wider die er jede Macht der Auflösung ver¬
loren giebt: er hat sich selbst aufgegeben, weil er sich nicht
auflösen, mithin nicht aus ihr erlösen kann: er ist besessen.

Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern
jeden. Aber Ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus;
Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe,
weil Mir das Lieben natürlich ist, weil Mir's gefällt. Ich
kenne kein "Gebot der Liebe". Ich habe Mitgefühl mit
jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung
erquickt auch Mich: tödten kann Ich sie, martern nicht. Da¬
gegen sinnt der hochherzige, tugendhafte Philisterfürst Rudolf
in den Mysterien von Paris, weil ihn die Bösen "entrüsten",
auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweist nur, daß das
Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigenthum,
ist, wogegen das erbarmungslose Verfahren des "Rechtlichen"
(z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühllosigkeit jenes
Räubers gleicht, welcher nach dem Maaße seiner Bettstelle den
Gefangenen die Beine abschnitt oder ausreckte: Rudolfs Bett¬
stelle, wonach er die Menschen zuschneidet, ist der Begriff des
"Guten". Das Gefühl für Recht, Tugend u. s. w. macht
hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar,
sondern umgekehrt, er fühlt, daß "dem Bösewicht Recht ge¬
schieht"; das ist kein Mitgefühl.

Ihr liebt den Menschen, darum peinigt Ihr den einzelnen
Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei.

Sehe Ich den Geliebten leiden, so leide Ich mit, und es

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andern Leidenſchaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehr¬
geizige, der vom Ehrgeiz fortgeriſſen wird und gegen jede
Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub
bleibt, der hat dieſe Leidenſchaft zu einer Zwingherrin an¬
wachſen laſſen, wider die er jede Macht der Auflöſung ver¬
loren giebt: er hat ſich ſelbſt aufgegeben, weil er ſich nicht
auflöſen, mithin nicht aus ihr erlöſen kann: er iſt beſeſſen.

Ich liebe die Menſchen auch, nicht bloß einzelne, ſondern
jeden. Aber Ich liebe ſie mit dem Bewußtſein des Egoismus;
Ich liebe ſie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe,
weil Mir das Lieben natürlich iſt, weil Mir's gefällt. Ich
kenne kein „Gebot der Liebe“. Ich habe Mitgefühl mit
jedem fühlenden Weſen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung
erquickt auch Mich: tödten kann Ich ſie, martern nicht. Da¬
gegen ſinnt der hochherzige, tugendhafte Philiſterfürſt Rudolf
in den Myſterien von Paris, weil ihn die Böſen „entrüſten“,
auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweiſt nur, daß das
Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigenthum,
iſt, wogegen das erbarmungsloſe Verfahren des „Rechtlichen“
(z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühlloſigkeit jenes
Räubers gleicht, welcher nach dem Maaße ſeiner Bettſtelle den
Gefangenen die Beine abſchnitt oder ausreckte: Rudolfs Bett¬
ſtelle, wonach er die Menſchen zuſchneidet, iſt der Begriff des
„Guten“. Das Gefühl für Recht, Tugend u. ſ. w. macht
hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar,
ſondern umgekehrt, er fühlt, daß „dem Böſewicht Recht ge¬
ſchieht“; das iſt kein Mitgefühl.

Ihr liebt den Menſchen, darum peinigt Ihr den einzelnen
Menſchen, den Egoiſten; eure Menſchenliebe iſt Menſchenquälerei.

Sehe Ich den Geliebten leiden, ſo leide Ich mit, und es

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[387/0395] andern Leidenſchaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehr¬ geizige, der vom Ehrgeiz fortgeriſſen wird und gegen jede Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub bleibt, der hat dieſe Leidenſchaft zu einer Zwingherrin an¬ wachſen laſſen, wider die er jede Macht der Auflöſung ver¬ loren giebt: er hat ſich ſelbſt aufgegeben, weil er ſich nicht auflöſen, mithin nicht aus ihr erlöſen kann: er iſt beſeſſen. Ich liebe die Menſchen auch, nicht bloß einzelne, ſondern jeden. Aber Ich liebe ſie mit dem Bewußtſein des Egoismus; Ich liebe ſie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich iſt, weil Mir's gefällt. Ich kenne kein „Gebot der Liebe“. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Weſen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: tödten kann Ich ſie, martern nicht. Da¬ gegen ſinnt der hochherzige, tugendhafte Philiſterfürſt Rudolf in den Myſterien von Paris, weil ihn die Böſen „entrüſten“, auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweiſt nur, daß das Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigenthum, iſt, wogegen das erbarmungsloſe Verfahren des „Rechtlichen“ (z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühlloſigkeit jenes Räubers gleicht, welcher nach dem Maaße ſeiner Bettſtelle den Gefangenen die Beine abſchnitt oder ausreckte: Rudolfs Bett¬ ſtelle, wonach er die Menſchen zuſchneidet, iſt der Begriff des „Guten“. Das Gefühl für Recht, Tugend u. ſ. w. macht hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar, ſondern umgekehrt, er fühlt, daß „dem Böſewicht Recht ge¬ ſchieht“; das iſt kein Mitgefühl. Ihr liebt den Menſchen, darum peinigt Ihr den einzelnen Menſchen, den Egoiſten; eure Menſchenliebe iſt Menſchenquälerei. Sehe Ich den Geliebten leiden, ſo leide Ich mit, und es 25 *

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/395>, abgerufen am 20.04.2024.