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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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unverletzlichen erhoben wird, so verrechnet er sich bei jener
gutherzigen Meinung. Solche, die sich mit dem Munde zur
communistischen Gesellschaft bekenneten, unter der Hand hin¬
gegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei
"Heilmitteln gegen den natürlichen Rest menschlicher Krank¬
heiten und Schwächen" muß Weitling ohnehin verbleiben, und
"Heilmittel" kündigen immer schon an, daß man die Einzelnen
als zu einem bestimmten "Heil berufen" ansehen, mithin sie
nach Maaßgabe dieses "menschlichen Berufes" behandeln werde.
Das Heilmittel oder die Heilung ist nur die Kehrseite
der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straf¬
theorie
; sieht diese in einer Handlung eine Versündigung
gegen das Recht, so nimmt jene sie für eine Versündigung des
Menschen gegen sich, als einen Abfall von seiner Gesund¬
heit. Das Richtige aber ist, daß Ich sie entweder als eine
ansehe, die Mir recht oder Mir nicht recht ist, als Mir
feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich sie als Mein Eigen¬
thum
behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. "Ver¬
brechen" oder "Krankheit" ist beides keine egoistische Ansicht
der Sache, d. h. keine Beurtheilung von Mir aus, sondern
von einem Andern aus, ob sie nämlich entweder das Recht,
das allgemeine, oder die Gesundheit theils des Einzelnen
(des Kranken), theils des Allgemeinen (der Gesellschaft)
verletzt. Das "Verbrechen" wird mit Unerbittlichkeit behandelt,
die "Krankheit" mit "liebreicher Milde, Mitleid" u. dergl.

Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen,
weil das Heilige verschwindet, so muß nicht minder die Strafe
in dessen Fall hineingezogen werden; denn auch sie hat nur
einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchen¬
strafen abgeschafft. Warum? Weil, wie Jemand sich gegen

unverletzlichen erhoben wird, ſo verrechnet er ſich bei jener
gutherzigen Meinung. Solche, die ſich mit dem Munde zur
communiſtiſchen Geſellſchaft bekenneten, unter der Hand hin¬
gegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei
„Heilmitteln gegen den natürlichen Reſt menſchlicher Krank¬
heiten und Schwächen“ muß Weitling ohnehin verbleiben, und
„Heilmittel“ kündigen immer ſchon an, daß man die Einzelnen
als zu einem beſtimmten „Heil berufen“ anſehen, mithin ſie
nach Maaßgabe dieſes „menſchlichen Berufes“ behandeln werde.
Das Heilmittel oder die Heilung iſt nur die Kehrſeite
der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straf¬
theorie
; ſieht dieſe in einer Handlung eine Verſündigung
gegen das Recht, ſo nimmt jene ſie für eine Verſündigung des
Menſchen gegen ſich, als einen Abfall von ſeiner Geſund¬
heit. Das Richtige aber iſt, daß Ich ſie entweder als eine
anſehe, die Mir recht oder Mir nicht recht iſt, als Mir
feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich ſie als Mein Eigen¬
thum
behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. „Ver¬
brechen“ oder „Krankheit“ iſt beides keine egoiſtiſche Anſicht
der Sache, d. h. keine Beurtheilung von Mir aus, ſondern
von einem Andern aus, ob ſie nämlich entweder das Recht,
das allgemeine, oder die Geſundheit theils des Einzelnen
(des Kranken), theils des Allgemeinen (der Geſellſchaft)
verletzt. Das „Verbrechen“ wird mit Unerbittlichkeit behandelt,
die „Krankheit“ mit „liebreicher Milde, Mitleid“ u. dergl.

Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen,
weil das Heilige verſchwindet, ſo muß nicht minder die Strafe
in deſſen Fall hineingezogen werden; denn auch ſie hat nur
einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchen¬
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[317/0325] unverletzlichen erhoben wird, ſo verrechnet er ſich bei jener gutherzigen Meinung. Solche, die ſich mit dem Munde zur communiſtiſchen Geſellſchaft bekenneten, unter der Hand hin¬ gegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei „Heilmitteln gegen den natürlichen Reſt menſchlicher Krank¬ heiten und Schwächen“ muß Weitling ohnehin verbleiben, und „Heilmittel“ kündigen immer ſchon an, daß man die Einzelnen als zu einem beſtimmten „Heil berufen“ anſehen, mithin ſie nach Maaßgabe dieſes „menſchlichen Berufes“ behandeln werde. Das Heilmittel oder die Heilung iſt nur die Kehrſeite der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straf¬ theorie; ſieht dieſe in einer Handlung eine Verſündigung gegen das Recht, ſo nimmt jene ſie für eine Verſündigung des Menſchen gegen ſich, als einen Abfall von ſeiner Geſund¬ heit. Das Richtige aber iſt, daß Ich ſie entweder als eine anſehe, die Mir recht oder Mir nicht recht iſt, als Mir feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich ſie als Mein Eigen¬ thum behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. „Ver¬ brechen“ oder „Krankheit“ iſt beides keine egoiſtiſche Anſicht der Sache, d. h. keine Beurtheilung von Mir aus, ſondern von einem Andern aus, ob ſie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Geſundheit theils des Einzelnen (des Kranken), theils des Allgemeinen (der Geſellſchaft) verletzt. Das „Verbrechen“ wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die „Krankheit“ mit „liebreicher Milde, Mitleid“ u. dergl. Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verſchwindet, ſo muß nicht minder die Strafe in deſſen Fall hineingezogen werden; denn auch ſie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchen¬ ſtrafen abgeſchafft. Warum? Weil, wie Jemand ſich gegen

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/325>, abgerufen am 28.03.2024.