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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr
sind als -- Deutsche; erst dann können sie einen "Deutschen
Verein" bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den
Mutterleib müssen sie zurückkehren wollen, um wiedergeboren
zu werden, sondern in sich kehre Jeder ein. Wie lächerlich¬
sentimental, wenn ein Deutscher dem andern den Hand¬
schlag giebt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil
"auch er ein Deutscher ist"! Damit ist er was Rechtes!
Aber das wird freilich so lange noch für rührend gelten, als
man für "Brüderlichkeit" schwärmt, d. h. als man eine "Fa¬
miliengesinnung
" hat. Vom Aberglauben der "Pietät",
von der "Brüderlichkeit" oder "Kindlichkeit", oder wie die
weichmüthigen Pietäts-Phrasen sonst vom Familien¬
geiste
vermögen die Nationalen, die eine große Familie
von Deutschen
haben wollen, sich nicht zu befreien.

Uebrigens müßten sich die sogenannten Nationalen nur
selbst recht verstehen, um sich aus der Verbindung mit den
gemüthlichen Deutschthümlern zu erheben. Denn die Vereini¬
gung zu materiellen Zwecken und Interessen, welche sie von
den Deutschen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen
freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeistert aus*):
"Die Eisenbahnen sind dem tieferblickenden Auge der Weg zu
einem Volksleben, wie es in solcher Bedeutung noch nir¬
gends erschienen ist." Ganz recht, es wird ein Volksleben sein,
das nirgends erschienen ist, weil es kein -- Volksleben ist. --
So bestreitet denn Carriere S. 10 sich selbst. "Die reine Mensch¬
lichkeit oder Menschheit kann nicht besser, als durch ein seine
Mission erfüllendes Volk dargestellt werden". Dadurch stellt

*) Kölner Dom. S. 4.
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alle Bienenkörbe umſtoßen; mit andern Worten: wenn ſie mehr
ſind als — Deutſche; erſt dann können ſie einen „Deutſchen
Verein“ bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den
Mutterleib müſſen ſie zurückkehren wollen, um wiedergeboren
zu werden, ſondern in ſich kehre Jeder ein. Wie lächerlich¬
ſentimental, wenn ein Deutſcher dem andern den Hand¬
ſchlag giebt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil
„auch er ein Deutſcher iſt“! Damit iſt er was Rechtes!
Aber das wird freilich ſo lange noch für rührend gelten, als
man für „Brüderlichkeit“ ſchwärmt, d. h. als man eine „Fa¬
miliengeſinnung
“ hat. Vom Aberglauben der „Pietät“,
von der „Brüderlichkeit“ oder „Kindlichkeit“, oder wie die
weichmüthigen Pietäts-Phraſen ſonſt vom Familien¬
geiſte
vermögen die Nationalen, die eine große Familie
von Deutſchen
haben wollen, ſich nicht zu befreien.

Uebrigens müßten ſich die ſogenannten Nationalen nur
ſelbſt recht verſtehen, um ſich aus der Verbindung mit den
gemüthlichen Deutſchthümlern zu erheben. Denn die Vereini¬
gung zu materiellen Zwecken und Intereſſen, welche ſie von
den Deutſchen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen
freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeiſtert aus*):
„Die Eiſenbahnen ſind dem tieferblickenden Auge der Weg zu
einem Volksleben, wie es in ſolcher Bedeutung noch nir¬
gends erſchienen iſt.“ Ganz recht, es wird ein Volksleben ſein,
das nirgends erſchienen iſt, weil es kein — Volksleben iſt. —
So beſtreitet denn Carriere S. 10 ſich ſelbſt. „Die reine Menſch¬
lichkeit oder Menſchheit kann nicht beſſer, als durch ein ſeine
Miſſion erfüllendes Volk dargeſtellt werden“. Dadurch ſtellt

*) Kölner Dom. S. 4.
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[305/0313] alle Bienenkörbe umſtoßen; mit andern Worten: wenn ſie mehr ſind als — Deutſche; erſt dann können ſie einen „Deutſchen Verein“ bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den Mutterleib müſſen ſie zurückkehren wollen, um wiedergeboren zu werden, ſondern in ſich kehre Jeder ein. Wie lächerlich¬ ſentimental, wenn ein Deutſcher dem andern den Hand¬ ſchlag giebt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil „auch er ein Deutſcher iſt“! Damit iſt er was Rechtes! Aber das wird freilich ſo lange noch für rührend gelten, als man für „Brüderlichkeit“ ſchwärmt, d. h. als man eine „Fa¬ miliengeſinnung“ hat. Vom Aberglauben der „Pietät“, von der „Brüderlichkeit“ oder „Kindlichkeit“, oder wie die weichmüthigen Pietäts-Phraſen ſonſt vom Familien¬ geiſte vermögen die Nationalen, die eine große Familie von Deutſchen haben wollen, ſich nicht zu befreien. Uebrigens müßten ſich die ſogenannten Nationalen nur ſelbſt recht verſtehen, um ſich aus der Verbindung mit den gemüthlichen Deutſchthümlern zu erheben. Denn die Vereini¬ gung zu materiellen Zwecken und Intereſſen, welche ſie von den Deutſchen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeiſtert aus *): „Die Eiſenbahnen ſind dem tieferblickenden Auge der Weg zu einem Volksleben, wie es in ſolcher Bedeutung noch nir¬ gends erſchienen iſt.“ Ganz recht, es wird ein Volksleben ſein, das nirgends erſchienen iſt, weil es kein — Volksleben iſt. — So beſtreitet denn Carriere S. 10 ſich ſelbſt. „Die reine Menſch¬ lichkeit oder Menſchheit kann nicht beſſer, als durch ein ſeine Miſſion erfüllendes Volk dargeſtellt werden“. Dadurch ſtellt *) Kölner Dom. S. 4. 20

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/313>, abgerufen am 29.03.2024.