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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Aller. Geht über den Ordnungssinn nicht der Eigensinn ver¬
loren? Wird man sich nicht begnügen, wenn durch Gewalt
für Ordnung gesorgt ist, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern
"zu nahe trete", mithin, wenn die Heerde verständig dislo¬
cirt oder geordnet ist? Es ist ja dann Alles in "bester Ord¬
nung", und diese beste Ordnung heißt eben -- Staat!

Unsere Gesellschaften und Staaten sind, ohne daß Wir
sie machen, sind vereinigt ohne unsere Vereinigung, sind prä¬
destinirt und bestehen oder haben einen eigenen, unabhängigen
Bestand, sind gegen Uns Egoisten das unauflösliche Beste¬
hende. Der heurige Weltkampf ist, wie man sagt, gegen das
"Bestehende" gerichtet. Man pflegt dieß jedoch so zu mi߬
verstehen, als sollte nur, was jetzt besteht, mit anderem, bes¬
serem Bestehenden vertauscht werden. Allein der Krieg dürfte
vielmehr dem Bestehen selbst erklärt sein, d. h. dem Staate
(status), nicht einem bestimmten Staate, nicht etwa nur dem
derzeitigen Zustande des Staates; nicht einen andern Staat
(etwa "Volksstaat") bezweckt man, sondern seinen Verein, die
Vereinigung, diese stets flüssige Vereinigung alles Bestandes. --
Ein Staat ist vorhanden, auch ohne mein Zuthun: Ich werde
in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm
"huldigen". Er nimmt Mich auf in seine "Huld", und Ich
lebe von seiner "Gnade". So begründet das selbständige
Bestehen des Staates meine Unselbständigkeit, seine "Natur¬
wüchsigkeit", sein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht
frei wachse, sondern für ihn zugeschnitten werde. Damit er
naturwüchsig sich entfalten könne, legt er an Mich die Scheere
der "Cultur"; er giebt Mir eine ihm, nicht Mir, angemessene
Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Gesetze
respectiren, der Verletzung des Staatseigenthums (d. h. Pri¬

Aller. Geht über den Ordnungsſinn nicht der Eigenſinn ver¬
loren? Wird man ſich nicht begnügen, wenn durch Gewalt
für Ordnung geſorgt iſt, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern
„zu nahe trete“, mithin, wenn die Heerde verſtändig dislo¬
cirt oder geordnet iſt? Es iſt ja dann Alles in „beſter Ord¬
nung“, und dieſe beſte Ordnung heißt eben — Staat!

Unſere Geſellſchaften und Staaten ſind, ohne daß Wir
ſie machen, ſind vereinigt ohne unſere Vereinigung, ſind prä¬
deſtinirt und beſtehen oder haben einen eigenen, unabhängigen
Beſtand, ſind gegen Uns Egoiſten das unauflösliche Beſte¬
hende. Der heurige Weltkampf iſt, wie man ſagt, gegen das
„Beſtehende“ gerichtet. Man pflegt dieß jedoch ſo zu mi߬
verſtehen, als ſollte nur, was jetzt beſteht, mit anderem, beſ¬
ſerem Beſtehenden vertauſcht werden. Allein der Krieg dürfte
vielmehr dem Beſtehen ſelbſt erklärt ſein, d. h. dem Staate
(status), nicht einem beſtimmten Staate, nicht etwa nur dem
derzeitigen Zuſtande des Staates; nicht einen andern Staat
(etwa „Volksſtaat“) bezweckt man, ſondern ſeinen Verein, die
Vereinigung, dieſe ſtets flüſſige Vereinigung alles Beſtandes. —
Ein Staat iſt vorhanden, auch ohne mein Zuthun: Ich werde
in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm
„huldigen“. Er nimmt Mich auf in ſeine „Huld“, und Ich
lebe von ſeiner „Gnade“. So begründet das ſelbſtändige
Beſtehen des Staates meine Unſelbſtändigkeit, ſeine „Natur¬
wüchſigkeit“, ſein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht
frei wachſe, ſondern für ihn zugeſchnitten werde. Damit er
naturwüchſig ſich entfalten könne, legt er an Mich die Scheere
der „Cultur“; er giebt Mir eine ihm, nicht Mir, angemeſſene
Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Geſetze
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[294/0302] Aller. Geht über den Ordnungsſinn nicht der Eigenſinn ver¬ loren? Wird man ſich nicht begnügen, wenn durch Gewalt für Ordnung geſorgt iſt, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern „zu nahe trete“, mithin, wenn die Heerde verſtändig dislo¬ cirt oder geordnet iſt? Es iſt ja dann Alles in „beſter Ord¬ nung“, und dieſe beſte Ordnung heißt eben — Staat! Unſere Geſellſchaften und Staaten ſind, ohne daß Wir ſie machen, ſind vereinigt ohne unſere Vereinigung, ſind prä¬ deſtinirt und beſtehen oder haben einen eigenen, unabhängigen Beſtand, ſind gegen Uns Egoiſten das unauflösliche Beſte¬ hende. Der heurige Weltkampf iſt, wie man ſagt, gegen das „Beſtehende“ gerichtet. Man pflegt dieß jedoch ſo zu mi߬ verſtehen, als ſollte nur, was jetzt beſteht, mit anderem, beſ¬ ſerem Beſtehenden vertauſcht werden. Allein der Krieg dürfte vielmehr dem Beſtehen ſelbſt erklärt ſein, d. h. dem Staate (status), nicht einem beſtimmten Staate, nicht etwa nur dem derzeitigen Zuſtande des Staates; nicht einen andern Staat (etwa „Volksſtaat“) bezweckt man, ſondern ſeinen Verein, die Vereinigung, dieſe ſtets flüſſige Vereinigung alles Beſtandes. — Ein Staat iſt vorhanden, auch ohne mein Zuthun: Ich werde in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm „huldigen“. Er nimmt Mich auf in ſeine „Huld“, und Ich lebe von ſeiner „Gnade“. So begründet das ſelbſtändige Beſtehen des Staates meine Unſelbſtändigkeit, ſeine „Natur¬ wüchſigkeit“, ſein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht frei wachſe, ſondern für ihn zugeſchnitten werde. Damit er naturwüchſig ſich entfalten könne, legt er an Mich die Scheere der „Cultur“; er giebt Mir eine ihm, nicht Mir, angemeſſene Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Geſetze reſpectiren, der Verletzung des Staatseigenthums (d. h. Pri¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/302>, abgerufen am 19.04.2024.