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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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mit dieser höhern Heiligkeit in Conflict geräth. Ohne den
Conflict läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gel¬
ten; im entgegengesetzten Falle aber gebietet er sogar das Ver¬
brechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne auf¬
giebt, seinen Aeltern den Gehorsam zu verweigern, sobald sie
ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen.

Nun, der Egoist hat die Bande der Familie zerbrochen
und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den schwer
beleidigten Familiengeist. Wohin aber ist er nun gerathen?
Geradesweges in eine neue Gesellschaft, worin seines Ego¬
ismus dieselben Schlingen und Netze warten, denen er so eben
entronnen. Denn der Staat ist gleichfalls eine Gesellschaft,
nicht ein Verein, er ist die erweiterte Familie. ("Landes¬
vater -- Landesmutter -- Landeskinder.")


Was man Staat nennt, ist ein Gewebe und Geflecht von
Abhängigkeit und Anhänglichkeit, ist eine Zusammengehö¬
rigkeit
, ein Zusammenhalten, wobei die Zusammengeordneten
sich in einander schicken, kurz gegenseitig von einander abhän¬
gen: er ist die Ordnung dieser Abhängigkeit. Gesetzt,
der König, dessen Autorität Allen bis zum Büttel herunter
Autorität verleiht, verschwände, so würden dennoch Alle, in
welchen der Ordnungssinn wach wäre, die Ordnung gegen
die Unordnung der Bestialität aufrecht erhalten. Siegte die
Unordnung, so wäre der Staat erloschen.

Ist dieser Liebesgedanke aber, sich in einander zu schicken,
an einander zu hängen, und von einander abzuhängen, wirk¬
lich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die
realisirte Liebe, das Füreinandersein und Füreinanderleben

mit dieſer höhern Heiligkeit in Conflict geräth. Ohne den
Conflict läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gel¬
ten; im entgegengeſetzten Falle aber gebietet er ſogar das Ver¬
brechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne auf¬
giebt, ſeinen Aeltern den Gehorſam zu verweigern, ſobald ſie
ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen.

Nun, der Egoiſt hat die Bande der Familie zerbrochen
und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den ſchwer
beleidigten Familiengeiſt. Wohin aber iſt er nun gerathen?
Geradesweges in eine neue Geſellſchaft, worin ſeines Ego¬
ismus dieſelben Schlingen und Netze warten, denen er ſo eben
entronnen. Denn der Staat iſt gleichfalls eine Geſellſchaft,
nicht ein Verein, er iſt die erweiterte Familie. („Landes¬
vater — Landesmutter — Landeskinder.“)


Was man Staat nennt, iſt ein Gewebe und Geflecht von
Abhängigkeit und Anhänglichkeit, iſt eine Zuſammengehö¬
rigkeit
, ein Zuſammenhalten, wobei die Zuſammengeordneten
ſich in einander ſchicken, kurz gegenſeitig von einander abhän¬
gen: er iſt die Ordnung dieſer Abhängigkeit. Geſetzt,
der König, deſſen Autorität Allen bis zum Büttel herunter
Autorität verleiht, verſchwände, ſo würden dennoch Alle, in
welchen der Ordnungsſinn wach wäre, die Ordnung gegen
die Unordnung der Beſtialität aufrecht erhalten. Siegte die
Unordnung, ſo wäre der Staat erloſchen.

Iſt dieſer Liebesgedanke aber, ſich in einander zu ſchicken,
an einander zu hängen, und von einander abzuhängen, wirk¬
lich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die
realiſirte Liebe, das Füreinanderſein und Füreinanderleben

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[293/0301] mit dieſer höhern Heiligkeit in Conflict geräth. Ohne den Conflict läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gel¬ ten; im entgegengeſetzten Falle aber gebietet er ſogar das Ver¬ brechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne auf¬ giebt, ſeinen Aeltern den Gehorſam zu verweigern, ſobald ſie ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen. Nun, der Egoiſt hat die Bande der Familie zerbrochen und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den ſchwer beleidigten Familiengeiſt. Wohin aber iſt er nun gerathen? Geradesweges in eine neue Geſellſchaft, worin ſeines Ego¬ ismus dieſelben Schlingen und Netze warten, denen er ſo eben entronnen. Denn der Staat iſt gleichfalls eine Geſellſchaft, nicht ein Verein, er iſt die erweiterte Familie. („Landes¬ vater — Landesmutter — Landeskinder.“) Was man Staat nennt, iſt ein Gewebe und Geflecht von Abhängigkeit und Anhänglichkeit, iſt eine Zuſammengehö¬ rigkeit, ein Zuſammenhalten, wobei die Zuſammengeordneten ſich in einander ſchicken, kurz gegenſeitig von einander abhän¬ gen: er iſt die Ordnung dieſer Abhängigkeit. Geſetzt, der König, deſſen Autorität Allen bis zum Büttel herunter Autorität verleiht, verſchwände, ſo würden dennoch Alle, in welchen der Ordnungsſinn wach wäre, die Ordnung gegen die Unordnung der Beſtialität aufrecht erhalten. Siegte die Unordnung, ſo wäre der Staat erloſchen. Iſt dieſer Liebesgedanke aber, ſich in einander zu ſchicken, an einander zu hängen, und von einander abzuhängen, wirk¬ lich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die realiſirte Liebe, das Füreinanderſein und Füreinanderleben

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/301>, abgerufen am 24.04.2024.