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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Wir längst, das sind die -- Uneigennützigen. Für sie, diese
ihre schwachen Glieder, sorgt die Familie, weil sie der Familie
angehören, Familienangehörige sind, nicht sich angehören
und für sich sorgen. Diese Schwachheit lobt z. B. Hegel,
wenn er der Wahl der Aeltern die Heirathspartie der Kinder
anheimgestellt wissen will.

Als einer heiligen Gemeinschaft, welcher der Einzelne
auch Gehorsam schuldig ist, kommt der Familie auch die rich¬
terliche Function zu, wie ein solches "Familiengericht" z. B.
im Cabanis von Wilibald Alexis beschrieben wird. Da steckt
der Vater im Namen des "Familienrathes" den unfolgsamen
Sohn unter die Soldaten und stößt ihn aus der Familie aus,
um mittelst dieses Strafactes die befleckte Familie wieder zu
reinigen. -- Die consequenteste Ausbildung der Familien-Ver¬
antwortlichkeit enthält das chinesische Recht, nach welchem für
die Schuld des Einzelnen die ganze Familie zu büßen hat.

Heutigen Tages indessen reicht der Arm der Familienge¬
walt selten weit genug, um den Abtrünnigen ernstlich in Strafe
zu nehmen (selbst gegen Enterbung schützt der Staat in den
meisten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien-
Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und ist frei,
wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von
den Strafen seines Staates nicht mehr erreicht wird. Er,
der seine Familie geschändet hat, der ungerathene Sohn, wird
gegen die Strafe der Familie geschützt, weil der Staat, dieser
Schutzherr, der Familienstrafe ihre "Heiligkeit" benimmt und
sie profanirt, indem er decretirt, sie sei nur -- "Rache": er
verhindert die Strafe, dieß heilige Familienrecht, weil vor sei¬
ner, des Staates, "Heiligkeit" die untergeordnete Heiligkeit
der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, sobald sie

Wir längſt, das ſind die — Uneigennützigen. Für ſie, dieſe
ihre ſchwachen Glieder, ſorgt die Familie, weil ſie der Familie
angehören, Familienangehörige ſind, nicht ſich angehören
und für ſich ſorgen. Dieſe Schwachheit lobt z. B. Hegel,
wenn er der Wahl der Aeltern die Heirathspartie der Kinder
anheimgeſtellt wiſſen will.

Als einer heiligen Gemeinſchaft, welcher der Einzelne
auch Gehorſam ſchuldig iſt, kommt der Familie auch die rich¬
terliche Function zu, wie ein ſolches „Familiengericht“ z. B.
im Cabanis von Wilibald Alexis beſchrieben wird. Da ſteckt
der Vater im Namen des „Familienrathes“ den unfolgſamen
Sohn unter die Soldaten und ſtößt ihn aus der Familie aus,
um mittelſt dieſes Strafactes die befleckte Familie wieder zu
reinigen. — Die conſequenteſte Ausbildung der Familien-Ver¬
antwortlichkeit enthält das chineſiſche Recht, nach welchem für
die Schuld des Einzelnen die ganze Familie zu büßen hat.

Heutigen Tages indeſſen reicht der Arm der Familienge¬
walt ſelten weit genug, um den Abtrünnigen ernſtlich in Strafe
zu nehmen (ſelbſt gegen Enterbung ſchützt der Staat in den
meiſten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien-
Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und iſt frei,
wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von
den Strafen ſeines Staates nicht mehr erreicht wird. Er,
der ſeine Familie geſchändet hat, der ungerathene Sohn, wird
gegen die Strafe der Familie geſchützt, weil der Staat, dieſer
Schutzherr, der Familienſtrafe ihre „Heiligkeit“ benimmt und
ſie profanirt, indem er decretirt, ſie ſei nur — „Rache“: er
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[292/0300] Wir längſt, das ſind die — Uneigennützigen. Für ſie, dieſe ihre ſchwachen Glieder, ſorgt die Familie, weil ſie der Familie angehören, Familienangehörige ſind, nicht ſich angehören und für ſich ſorgen. Dieſe Schwachheit lobt z. B. Hegel, wenn er der Wahl der Aeltern die Heirathspartie der Kinder anheimgeſtellt wiſſen will. Als einer heiligen Gemeinſchaft, welcher der Einzelne auch Gehorſam ſchuldig iſt, kommt der Familie auch die rich¬ terliche Function zu, wie ein ſolches „Familiengericht“ z. B. im Cabanis von Wilibald Alexis beſchrieben wird. Da ſteckt der Vater im Namen des „Familienrathes“ den unfolgſamen Sohn unter die Soldaten und ſtößt ihn aus der Familie aus, um mittelſt dieſes Strafactes die befleckte Familie wieder zu reinigen. — Die conſequenteſte Ausbildung der Familien-Ver¬ antwortlichkeit enthält das chineſiſche Recht, nach welchem für die Schuld des Einzelnen die ganze Familie zu büßen hat. Heutigen Tages indeſſen reicht der Arm der Familienge¬ walt ſelten weit genug, um den Abtrünnigen ernſtlich in Strafe zu nehmen (ſelbſt gegen Enterbung ſchützt der Staat in den meiſten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien- Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und iſt frei, wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von den Strafen ſeines Staates nicht mehr erreicht wird. Er, der ſeine Familie geſchändet hat, der ungerathene Sohn, wird gegen die Strafe der Familie geſchützt, weil der Staat, dieſer Schutzherr, der Familienſtrafe ihre „Heiligkeit“ benimmt und ſie profanirt, indem er decretirt, ſie ſei nur — „Rache“: er verhindert die Strafe, dieß heilige Familienrecht, weil vor ſei¬ ner, des Staates, „Heiligkeit“ die untergeordnete Heiligkeit der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, ſobald ſie

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/300>, abgerufen am 28.03.2024.