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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Da Christ und Jude deshalb von Br. Bauer niedrig
gestellt werden, weil sie Vorrechte behaupten, müßten sie durch
Selbstverleugnung oder Uneigennützigkeit aus ihrem beschränk¬
ten Standpunkte sich befreien können und sollen. Streiften sie
ihren " Egoismus" ab, so hörte das gegenseitige Unrecht und
mit ihm überhaupt die christliche und jüdische Religiosität auf:
es brauchte nur keiner von ihnen etwas Apartes mehr sein zu
wollen.

Gäben sie aber diese Ausschließlichkeit auf, so wäre da¬
mit wahrlich der Boden, auf dem ihre Feindschaft geführt
wurde, noch nicht verlassen. Sie fänden allenfalls ein Drit¬
tes, worin sie sich vereinigen könnten, eine " allgemeine Religion",
eine "Religion der Menschlichkeit" u. dergl., kurz eine Aus¬
gleichung, die nicht besser zu sein brauchte als jene, wenn alle
Juden Christen würden, wodurch gleichfalls das "Vorrecht"
des Einen vor dem Andern ein Ende nähme. Es wäre zwar
die Spannung beseitigt, allein in dieser bestand nicht das
Wesen der beiden, sondern nur ihre Nachbarschaft. Als Un¬
terschiedene mußten sie nothwendig gespannt sein, und die Un¬
gleichheit wird immer bleiben. Das ist wahrhaftig nicht dein
Fehler, daß Du gegen Mich Dich spannst und deine Abson¬
derlichkeit oder Eigenthümlichkeit behauptest: Du brauchst nicht
nachzugeben oder Dich selbst zu verleugnen.

Man faßt die Bedeutung des Gegensatzes zu formell
und schwächlich auf, wenn man ihn nur "auflösen" will, um
für ein Drittes "Vereinigendes" Raum zu machen. Der Ge¬
gensatz verdient vielmehr verschärft zu werden. Als Jude
und Christ seid Ihr in einem zu geringen Gegensatz und strei¬
tet Euch bloß um die Religion, gleichsam um Kaisers Bart,
um eine Lappalie. In der Religion zwar Feinde, bleibt Ihr

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Da Chriſt und Jude deshalb von Br. Bauer niedrig
geſtellt werden, weil ſie Vorrechte behaupten, müßten ſie durch
Selbſtverleugnung oder Uneigennützigkeit aus ihrem beſchränk¬
ten Standpunkte ſich befreien können und ſollen. Streiften ſie
ihren „ Egoismus“ ab, ſo hörte das gegenſeitige Unrecht und
mit ihm überhaupt die chriſtliche und jüdiſche Religioſität auf:
es brauchte nur keiner von ihnen etwas Apartes mehr ſein zu
wollen.

Gäben ſie aber dieſe Ausſchließlichkeit auf, ſo wäre da¬
mit wahrlich der Boden, auf dem ihre Feindſchaft geführt
wurde, noch nicht verlaſſen. Sie fänden allenfalls ein Drit¬
tes, worin ſie ſich vereinigen könnten, eine „ allgemeine Religion“,
eine „Religion der Menſchlichkeit“ u. dergl., kurz eine Aus¬
gleichung, die nicht beſſer zu ſein brauchte als jene, wenn alle
Juden Chriſten würden, wodurch gleichfalls das „Vorrecht“
des Einen vor dem Andern ein Ende nähme. Es wäre zwar
die Spannung beſeitigt, allein in dieſer beſtand nicht das
Weſen der beiden, ſondern nur ihre Nachbarſchaft. Als Un¬
terſchiedene mußten ſie nothwendig geſpannt ſein, und die Un¬
gleichheit wird immer bleiben. Das iſt wahrhaftig nicht dein
Fehler, daß Du gegen Mich Dich ſpannſt und deine Abſon¬
derlichkeit oder Eigenthümlichkeit behaupteſt: Du brauchſt nicht
nachzugeben oder Dich ſelbſt zu verleugnen.

Man faßt die Bedeutung des Gegenſatzes zu formell
und ſchwächlich auf, wenn man ihn nur „auflöſenwill, um
für ein Drittes „VereinigendesRaum zu machen. Der Ge¬
genſatz verdient vielmehr verſchärft zu werden. Als Jude
und Chriſt ſeid Ihr in einem zu geringen Gegenſatz und ſtrei¬
tet Euch bloß um die Religion, gleichſam um Kaiſers Bart,
um eine Lappalie. In der Religion zwar Feinde, bleibt Ihr

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[273/0281] Da Chriſt und Jude deshalb von Br. Bauer niedrig geſtellt werden, weil ſie Vorrechte behaupten, müßten ſie durch Selbſtverleugnung oder Uneigennützigkeit aus ihrem beſchränk¬ ten Standpunkte ſich befreien können und ſollen. Streiften ſie ihren „ Egoismus“ ab, ſo hörte das gegenſeitige Unrecht und mit ihm überhaupt die chriſtliche und jüdiſche Religioſität auf: es brauchte nur keiner von ihnen etwas Apartes mehr ſein zu wollen. Gäben ſie aber dieſe Ausſchließlichkeit auf, ſo wäre da¬ mit wahrlich der Boden, auf dem ihre Feindſchaft geführt wurde, noch nicht verlaſſen. Sie fänden allenfalls ein Drit¬ tes, worin ſie ſich vereinigen könnten, eine „ allgemeine Religion“, eine „Religion der Menſchlichkeit“ u. dergl., kurz eine Aus¬ gleichung, die nicht beſſer zu ſein brauchte als jene, wenn alle Juden Chriſten würden, wodurch gleichfalls das „Vorrecht“ des Einen vor dem Andern ein Ende nähme. Es wäre zwar die Spannung beſeitigt, allein in dieſer beſtand nicht das Weſen der beiden, ſondern nur ihre Nachbarſchaft. Als Un¬ terſchiedene mußten ſie nothwendig geſpannt ſein, und die Un¬ gleichheit wird immer bleiben. Das iſt wahrhaftig nicht dein Fehler, daß Du gegen Mich Dich ſpannſt und deine Abſon¬ derlichkeit oder Eigenthümlichkeit behaupteſt: Du brauchſt nicht nachzugeben oder Dich ſelbſt zu verleugnen. Man faßt die Bedeutung des Gegenſatzes zu formell und ſchwächlich auf, wenn man ihn nur „auflöſen“ will, um für ein Drittes „Vereinigendes“ Raum zu machen. Der Ge¬ genſatz verdient vielmehr verſchärft zu werden. Als Jude und Chriſt ſeid Ihr in einem zu geringen Gegenſatz und ſtrei¬ tet Euch bloß um die Religion, gleichſam um Kaiſers Bart, um eine Lappalie. In der Religion zwar Feinde, bleibt Ihr 18

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/281>, abgerufen am 25.04.2024.