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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen,
daß er handeln müsse, wie Ich's für gut finde? Und dieses
Handeln nenne Ich das rechte, gute u. s. w.; das abweichende
ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf
dasselbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele sie
nicht als Einzige, die ihr Gesetz in sich selbst tragen und dar¬
nach leben, sondern als Wesen, die irgend einem "vernünfti¬
gen" Gesetze gehorchen sollen. Ich stelle auf, was "der
Mensch" sei, und was "wahrhaft menschlich" handeln heiße,
und fordere von Jedem, daß ihm dieß Gesetz Norm und Ideal
werde, widrigenfalls er sich als "Sünder und Verbrecher" aus¬
weise. Den "Schuldigen" aber trifft die "Strafe des Gesetzes"!
Man sieht hier, wie es wieder "der Mensch" ist, der auch
den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des
Rechts zu Wege bringt. Ein Mensch, in welchem Ich nicht
"den Menschen" erkenne, ist "ein Sünder, ein Schuldiger".

Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen
Mich kannst nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner.
Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht hassen, ist schon ein
Verbrechen, wie St. Just gegen Danton ausruft: "Bist Du
nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die
Feinde des Vaterlandes gehaßt hast?" --

Wird, wie in der Revolution, das, was "der Mensch" sei,
als "guter Bürger" gefaßt, so giebt es von diesem Begriffe "des
Menschen" die bekannten "politischen Vergehen und Verbrechen".
In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Mensch, als
Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Mensch, "der
Mensch" honorirt. Je nachdem nun dieß Gespenst benannt
wird, wie Christ, Jude, Muselmann, guter Bürger, loyaler
Unterthan, Freier, Patriot u. s. w., je nachdem fallen sowohl

Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen,
daß er handeln müſſe, wie Ich's für gut finde? Und dieſes
Handeln nenne Ich das rechte, gute u. ſ. w.; das abweichende
ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf
daſſelbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele ſie
nicht als Einzige, die ihr Geſetz in ſich ſelbſt tragen und dar¬
nach leben, ſondern als Weſen, die irgend einem „vernünfti¬
gen“ Geſetze gehorchen ſollen. Ich ſtelle auf, was „der
Menſch“ ſei, und was „wahrhaft menſchlich“ handeln heiße,
und fordere von Jedem, daß ihm dieß Geſetz Norm und Ideal
werde, widrigenfalls er ſich als „Sünder und Verbrecher“ aus¬
weiſe. Den „Schuldigen“ aber trifft die „Strafe des Geſetzes“!
Man ſieht hier, wie es wieder „der Menſch“ iſt, der auch
den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des
Rechts zu Wege bringt. Ein Menſch, in welchem Ich nicht
„den Menſchen“ erkenne, iſt „ein Sünder, ein Schuldiger“.

Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen
Mich kannſt nie ein Verbrecher ſein, ſondern nur ein Gegner.
Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht haſſen, iſt ſchon ein
Verbrechen, wie St. Juſt gegen Danton ausruft: „Biſt Du
nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die
Feinde des Vaterlandes gehaßt haſt?“ —

Wird, wie in der Revolution, das, was „der Menſch“ ſei,
als „guter Bürger“ gefaßt, ſo giebt es von dieſem Begriffe „des
Menſchen“ die bekannten „politiſchen Vergehen und Verbrechen“.
In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Menſch, als
Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Menſch, „der
Menſch“ honorirt. Je nachdem nun dieß Geſpenſt benannt
wird, wie Chriſt, Jude, Muſelmann, guter Bürger, loyaler
Unterthan, Freier, Patriot u. ſ. w., je nachdem fallen ſowohl

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[268/0276] Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen, daß er handeln müſſe, wie Ich's für gut finde? Und dieſes Handeln nenne Ich das rechte, gute u. ſ. w.; das abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf daſſelbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele ſie nicht als Einzige, die ihr Geſetz in ſich ſelbſt tragen und dar¬ nach leben, ſondern als Weſen, die irgend einem „vernünfti¬ gen“ Geſetze gehorchen ſollen. Ich ſtelle auf, was „der Menſch“ ſei, und was „wahrhaft menſchlich“ handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dieß Geſetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er ſich als „Sünder und Verbrecher“ aus¬ weiſe. Den „Schuldigen“ aber trifft die „Strafe des Geſetzes“! Man ſieht hier, wie es wieder „der Menſch“ iſt, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Menſch, in welchem Ich nicht „den Menſchen“ erkenne, iſt „ein Sünder, ein Schuldiger“. Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen Mich kannſt nie ein Verbrecher ſein, ſondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht haſſen, iſt ſchon ein Verbrechen, wie St. Juſt gegen Danton ausruft: „Biſt Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehaßt haſt?“ — Wird, wie in der Revolution, das, was „der Menſch“ ſei, als „guter Bürger“ gefaßt, ſo giebt es von dieſem Begriffe „des Menſchen“ die bekannten „politiſchen Vergehen und Verbrechen“. In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Menſch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Menſch, „der Menſch“ honorirt. Je nachdem nun dieß Geſpenſt benannt wird, wie Chriſt, Jude, Muſelmann, guter Bürger, loyaler Unterthan, Freier, Patriot u. ſ. w., je nachdem fallen ſowohl

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/276>, abgerufen am 28.03.2024.