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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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stellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staate Geheiligte,
das Eigenthum desselben (wozu ja auch das Leben der Staats¬
angehörigen gerechnet werden muß) durch seine That entweiht
zu haben; dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er sich
besudelt habe, indem er das Fremde nicht verachtete, sondern
des Raubes werth hielt: er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe
wäre. Redet mit dem sogenannten Verbrecher als mit einem
Egoisten, und er wird sich schämen, nicht, daß er gegen eure
Gesetze und Güter sich verging, sondern daß er eure Gesetze
des Umgehens, eure Güter des Verlangens werth hielt;
wird sich schämen, daß er Euch mitsammt dem Eurigen nicht
-- verachtete, daß er zu wenig Egoist war. Aber Ihr könnt
nicht egoistisch mit ihm reden, denn Ihr seid nicht so groß wie
ein Verbrecher, Ihr -- verbrecht nichts! Ihr wißt nicht, daß
ein eigenes Ich nicht ablassen kann, ein Verbrecher zu sein, daß
das Verbrechen sein Leben ist. Und doch solltet Ihr's wissen,
da Ihr glaubt, daß "wir allzumal Sünder sind"; aber Ihr denkt
Euch über die Sünde wegzuschwindeln, Ihr begreift's nicht --
denn Ihr seid teufelsfürchtig -- daß die Schuld der Werth eines
Menschen ist. O wäret Ihr schuldig! So aber seid Ihr "Ge¬
rechte". Nun-- macht eurem Herrn nur alles hübsch gerecht!
Wenn das christliche Bewußtsein oder der Christenmensch
ein Criminalgesetzbuch verfaßt, was kann da anders der Be¬
griff des Verbrechens sein, als eben die -- Herzlosig¬
keit
. Jede Trennung und Kränkung eines herzlichen Ver¬
hältnisses
, jedes herzlose Verhalten gegen ein heiliges
Wesen ist Verbrechen. Je herzlicher das Verhältniß sein soll,
desto schreiender ist seine Verhöhnung, desto strafwürdiger das
Verbrechen. Den Herrn soll Jeder, der ihm unterthan ist,
lieben: diese Liebe zu verleugnen, ist ein todeswürdiger Hoch¬

ſtellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staate Geheiligte,
das Eigenthum deſſelben (wozu ja auch das Leben der Staats¬
angehörigen gerechnet werden muß) durch ſeine That entweiht
zu haben; dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er ſich
beſudelt habe, indem er das Fremde nicht verachtete, ſondern
des Raubes werth hielt: er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe
wäre. Redet mit dem ſogenannten Verbrecher als mit einem
Egoiſten, und er wird ſich ſchämen, nicht, daß er gegen eure
Geſetze und Güter ſich verging, ſondern daß er eure Geſetze
des Umgehens, eure Güter des Verlangens werth hielt;
wird ſich ſchämen, daß er Euch mitſammt dem Eurigen nicht
— verachtete, daß er zu wenig Egoiſt war. Aber Ihr könnt
nicht egoiſtiſch mit ihm reden, denn Ihr ſeid nicht ſo groß wie
ein Verbrecher, Ihr — verbrecht nichts! Ihr wißt nicht, daß
ein eigenes Ich nicht ablaſſen kann, ein Verbrecher zu ſein, daß
das Verbrechen ſein Leben iſt. Und doch ſolltet Ihr's wiſſen,
da Ihr glaubt, daß „wir allzumal Sünder ſind“; aber Ihr denkt
Euch über die Sünde wegzuſchwindeln, Ihr begreift's nicht —
denn Ihr ſeid teufelsfürchtig — daß die Schuld der Werth eines
Menſchen iſt. O wäret Ihr ſchuldig! So aber ſeid Ihr „Ge¬
rechte“. Nun— macht eurem Herrn nur alles hübſch gerecht!
Wenn das chriſtliche Bewußtſein oder der Chriſtenmenſch
ein Criminalgeſetzbuch verfaßt, was kann da anders der Be¬
griff des Verbrechens ſein, als eben die — Herzloſig¬
keit
. Jede Trennung und Kränkung eines herzlichen Ver¬
hältniſſes
, jedes herzloſe Verhalten gegen ein heiliges
Weſen iſt Verbrechen. Je herzlicher das Verhältniß ſein ſoll,
deſto ſchreiender iſt ſeine Verhöhnung, deſto ſtrafwürdiger das
Verbrechen. Den Herrn ſoll Jeder, der ihm unterthan iſt,
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[266/0274] ſtellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staate Geheiligte, das Eigenthum deſſelben (wozu ja auch das Leben der Staats¬ angehörigen gerechnet werden muß) durch ſeine That entweiht zu haben; dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er ſich beſudelt habe, indem er das Fremde nicht verachtete, ſondern des Raubes werth hielt: er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe wäre. Redet mit dem ſogenannten Verbrecher als mit einem Egoiſten, und er wird ſich ſchämen, nicht, daß er gegen eure Geſetze und Güter ſich verging, ſondern daß er eure Geſetze des Umgehens, eure Güter des Verlangens werth hielt; wird ſich ſchämen, daß er Euch mitſammt dem Eurigen nicht — verachtete, daß er zu wenig Egoiſt war. Aber Ihr könnt nicht egoiſtiſch mit ihm reden, denn Ihr ſeid nicht ſo groß wie ein Verbrecher, Ihr — verbrecht nichts! Ihr wißt nicht, daß ein eigenes Ich nicht ablaſſen kann, ein Verbrecher zu ſein, daß das Verbrechen ſein Leben iſt. Und doch ſolltet Ihr's wiſſen, da Ihr glaubt, daß „wir allzumal Sünder ſind“; aber Ihr denkt Euch über die Sünde wegzuſchwindeln, Ihr begreift's nicht — denn Ihr ſeid teufelsfürchtig — daß die Schuld der Werth eines Menſchen iſt. O wäret Ihr ſchuldig! So aber ſeid Ihr „Ge¬ rechte“. Nun— macht eurem Herrn nur alles hübſch gerecht! Wenn das chriſtliche Bewußtſein oder der Chriſtenmenſch ein Criminalgeſetzbuch verfaßt, was kann da anders der Be¬ griff des Verbrechens ſein, als eben die — Herzloſig¬ keit. Jede Trennung und Kränkung eines herzlichen Ver¬ hältniſſes, jedes herzloſe Verhalten gegen ein heiliges Weſen iſt Verbrechen. Je herzlicher das Verhältniß ſein ſoll, deſto ſchreiender iſt ſeine Verhöhnung, deſto ſtrafwürdiger das Verbrechen. Den Herrn ſoll Jeder, der ihm unterthan iſt, lieben: dieſe Liebe zu verleugnen, iſt ein todeswürdiger Hoch¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/274>, abgerufen am 29.03.2024.