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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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seinen Gläubigen mit den besten Demagogen, Volksführern,
versehen. Nach Bettina soll *)"der Staat den Freiheits¬
keim der Menschheit entwickeln, sonst ist er Rabenmutter und
sorgt auch für Rabenfutter!" Er kann nicht anders, denn
eben indem er für die "Menschheit" sorgt (was übrigens
schon der "humane" oder "freie" Staat sein müßte), ist der
"Einzelne" für ihn Rabenfutter. Wie richtig spricht dagegen
der Bürgermeister**): "Wie? der Staat habe keine andere Ver¬
pflichtung, als bloß der Verpfleger rettungsloser Kranker zu
sein? -- Das klappt nicht. Von jeher hat der gesunde Staat
des kranken Stoffes sich entledigt, aber nicht sich damit ge¬
mischt. So ökonomisch braucht er nicht mit seinen Säften zu
sein. Die Räuberäste ohne Zagen abgeschnitten, damit die
andern blühen. -- Man erbebe nicht über des Staates Härte,
seine Moral, seine Politik und Religion weisen ihn darauf an;
man beschuldige ihn keiner Gefühllosigkeit, sein Mitgefühl
sträubt sich dagegen, aber seine Erfahrung findet nur in dieser
Strenge Heil! -- Es giebt Krankheiten, in welchen nur drasti¬
sche Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als solche
erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krank¬
heit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder län¬
gerem Siechthum unterliegen machen!" Die Frage der Frau
Rath: "Wenn Sie den Tod als drastisches Mittel anwenden,
wie ist da zu heilen?" klappt nicht. Der Staat wendet den
Tod ja nicht gegen sich an, sondern gegen ein ärgerliches Glied;
er reißt ein Auge aus, das ihn ärgert u. s. w.

"Für den maladen Staat ist's der einzige Weg der Ret¬

*) S. 374.
**) S. 381.

ſeinen Gläubigen mit den beſten Demagogen, Volksführern,
verſehen. Nach Bettina ſoll *)„der Staat den Freiheits¬
keim der Menſchheit entwickeln, ſonſt iſt er Rabenmutter und
ſorgt auch für Rabenfutter!“ Er kann nicht anders, denn
eben indem er für die „Menſchheit“ ſorgt (was übrigens
ſchon der „humane“ oder „freie“ Staat ſein müßte), iſt der
„Einzelne“ für ihn Rabenfutter. Wie richtig ſpricht dagegen
der Bürgermeiſter**): „Wie? der Staat habe keine andere Ver¬
pflichtung, als bloß der Verpfleger rettungsloſer Kranker zu
ſein? — Das klappt nicht. Von jeher hat der geſunde Staat
des kranken Stoffes ſich entledigt, aber nicht ſich damit ge¬
miſcht. So ökonomiſch braucht er nicht mit ſeinen Säften zu
ſein. Die Räuberäſte ohne Zagen abgeſchnitten, damit die
andern blühen. — Man erbebe nicht über des Staates Härte,
ſeine Moral, ſeine Politik und Religion weiſen ihn darauf an;
man beſchuldige ihn keiner Gefühlloſigkeit, ſein Mitgefühl
ſträubt ſich dagegen, aber ſeine Erfahrung findet nur in dieſer
Strenge Heil! — Es giebt Krankheiten, in welchen nur draſti¬
ſche Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als ſolche
erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krank¬
heit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder län¬
gerem Siechthum unterliegen machen!“ Die Frage der Frau
Rath: „Wenn Sie den Tod als draſtiſches Mittel anwenden,
wie iſt da zu heilen?“ klappt nicht. Der Staat wendet den
Tod ja nicht gegen ſich an, ſondern gegen ein ärgerliches Glied;
er reißt ein Auge aus, das ihn ärgert u. ſ. w.

„Für den maladen Staat iſt's der einzige Weg der Ret¬

*) S. 374.
**) S. 381.
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[264/0272] ſeinen Gläubigen mit den beſten Demagogen, Volksführern, verſehen. Nach Bettina ſoll *)„der Staat den Freiheits¬ keim der Menſchheit entwickeln, ſonſt iſt er Rabenmutter und ſorgt auch für Rabenfutter!“ Er kann nicht anders, denn eben indem er für die „Menſchheit“ ſorgt (was übrigens ſchon der „humane“ oder „freie“ Staat ſein müßte), iſt der „Einzelne“ für ihn Rabenfutter. Wie richtig ſpricht dagegen der Bürgermeiſter **): „Wie? der Staat habe keine andere Ver¬ pflichtung, als bloß der Verpfleger rettungsloſer Kranker zu ſein? — Das klappt nicht. Von jeher hat der geſunde Staat des kranken Stoffes ſich entledigt, aber nicht ſich damit ge¬ miſcht. So ökonomiſch braucht er nicht mit ſeinen Säften zu ſein. Die Räuberäſte ohne Zagen abgeſchnitten, damit die andern blühen. — Man erbebe nicht über des Staates Härte, ſeine Moral, ſeine Politik und Religion weiſen ihn darauf an; man beſchuldige ihn keiner Gefühlloſigkeit, ſein Mitgefühl ſträubt ſich dagegen, aber ſeine Erfahrung findet nur in dieſer Strenge Heil! — Es giebt Krankheiten, in welchen nur draſti¬ ſche Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als ſolche erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krank¬ heit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder län¬ gerem Siechthum unterliegen machen!“ Die Frage der Frau Rath: „Wenn Sie den Tod als draſtiſches Mittel anwenden, wie iſt da zu heilen?“ klappt nicht. Der Staat wendet den Tod ja nicht gegen ſich an, ſondern gegen ein ärgerliches Glied; er reißt ein Auge aus, das ihn ärgert u. ſ. w. „Für den maladen Staat iſt's der einzige Weg der Ret¬ *) S. 374. **) S. 381.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/272>, abgerufen am 23.04.2024.