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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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gensatz, ein aut -- aut. Kurz der Staat darf sich entweder
nichts mehr oder er muß sich Alles gefallen lassen und zu
Grunde gehen; er muß entweder durchaus empfindlich, oder,
wie ein gestorbener, unempfindlich sein. Mit der Toleranz ist's
aus. Reicht er erst den Finger, so nimmt man gleich die
ganze Hand. Da ist nicht mehr zu "spaßen", und aller
Spaß, wie Laune, Witz, Humor u. s. w. wird zum bit¬
tern Ernst.

Das Geschrei der "Freisinnigen" um Preßfreiheit läuft
gegen ihr eigenes Princip, ihren eigentlichen Willen. Sie
wollen, was sie nicht wollen, d.h. sie wünschen, sie möch¬
ten gern. Daher fallen sie auch so leicht ab, wenn einmal
sogenannte Preßfreiheit erscheint, dann möchten sie Censur.
Ganz natürlich. Der Staat ist auch ihnen heilig, ebenso die
Sitte u. s. w. Sie betragen sich nur als ungezogene Bälge
gegen ihn, als pfiffige Kinder, welche die Schwäche der Ael¬
tern zu benutzen suchen. Der Papa Staat soll ihnen erlau¬
ben, Manches zu sagen, was ihm nicht gefällt, aber der Papa
hat Recht, ihnen durch einen strengen Blick einen Censurstrich
in ihr vorlautes Gewäsch zu ziehen. Erkennen sie in ihm
ihren Papa, so müssen sie sich in seiner Gegenwart die Censur
der Rede gefallen lassen, wie jedes Kind.


Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt
Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben lassen; kommt
Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, so erwarte
auch seine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Un¬
recht, der Gesetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was
bist Du? -- Du bist ein -- Verbrecher!

genſatz, ein aut — aut. Kurz der Staat darf ſich entweder
nichts mehr oder er muß ſich Alles gefallen laſſen und zu
Grunde gehen; er muß entweder durchaus empfindlich, oder,
wie ein geſtorbener, unempfindlich ſein. Mit der Toleranz iſt's
aus. Reicht er erſt den Finger, ſo nimmt man gleich die
ganze Hand. Da iſt nicht mehr zu „ſpaßen“, und aller
Spaß, wie Laune, Witz, Humor u. ſ. w. wird zum bit¬
tern Ernſt.

Das Geſchrei der „Freiſinnigen“ um Preßfreiheit läuft
gegen ihr eigenes Princip, ihren eigentlichen Willen. Sie
wollen, was ſie nicht wollen, d.h. ſie wünſchen, ſie möch¬
ten gern. Daher fallen ſie auch ſo leicht ab, wenn einmal
ſogenannte Preßfreiheit erſcheint, dann möchten ſie Cenſur.
Ganz natürlich. Der Staat iſt auch ihnen heilig, ebenſo die
Sitte u. ſ. w. Sie betragen ſich nur als ungezogene Bälge
gegen ihn, als pfiffige Kinder, welche die Schwäche der Ael¬
tern zu benutzen ſuchen. Der Papa Staat ſoll ihnen erlau¬
ben, Manches zu ſagen, was ihm nicht gefällt, aber der Papa
hat Recht, ihnen durch einen ſtrengen Blick einen Cenſurſtrich
in ihr vorlautes Gewäſch zu ziehen. Erkennen ſie in ihm
ihren Papa, ſo müſſen ſie ſich in ſeiner Gegenwart die Cenſur
der Rede gefallen laſſen, wie jedes Kind.


Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, ſo mußt
Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben laſſen; kommt
Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, ſo erwarte
auch ſeine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Un¬
recht, der Geſetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was
biſt Du? — Du biſt ein — Verbrecher!

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[262/0270] genſatz, ein aut — aut. Kurz der Staat darf ſich entweder nichts mehr oder er muß ſich Alles gefallen laſſen und zu Grunde gehen; er muß entweder durchaus empfindlich, oder, wie ein geſtorbener, unempfindlich ſein. Mit der Toleranz iſt's aus. Reicht er erſt den Finger, ſo nimmt man gleich die ganze Hand. Da iſt nicht mehr zu „ſpaßen“, und aller Spaß, wie Laune, Witz, Humor u. ſ. w. wird zum bit¬ tern Ernſt. Das Geſchrei der „Freiſinnigen“ um Preßfreiheit läuft gegen ihr eigenes Princip, ihren eigentlichen Willen. Sie wollen, was ſie nicht wollen, d.h. ſie wünſchen, ſie möch¬ ten gern. Daher fallen ſie auch ſo leicht ab, wenn einmal ſogenannte Preßfreiheit erſcheint, dann möchten ſie Cenſur. Ganz natürlich. Der Staat iſt auch ihnen heilig, ebenſo die Sitte u. ſ. w. Sie betragen ſich nur als ungezogene Bälge gegen ihn, als pfiffige Kinder, welche die Schwäche der Ael¬ tern zu benutzen ſuchen. Der Papa Staat ſoll ihnen erlau¬ ben, Manches zu ſagen, was ihm nicht gefällt, aber der Papa hat Recht, ihnen durch einen ſtrengen Blick einen Cenſurſtrich in ihr vorlautes Gewäſch zu ziehen. Erkennen ſie in ihm ihren Papa, ſo müſſen ſie ſich in ſeiner Gegenwart die Cenſur der Rede gefallen laſſen, wie jedes Kind. Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, ſo mußt Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben laſſen; kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, ſo erwarte auch ſeine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Un¬ recht, der Geſetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was biſt Du? — Du biſt ein — Verbrecher!

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/270>, abgerufen am 29.03.2024.