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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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dieselbe. Wäre Ich nicht an meinen gestrigen Willen heute
und ferner gebunden? Mein Wille in diesem Falle wäre er¬
starrt
. Die leidige Stabilität! Mein Geschöpf, nämlich
ein bestimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden.
Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in
meinem Flusse und meiner Auflösung gehemmt. Weil Ich
gestern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So
bin Ich im Staatsleben besten Falls -- Ich könnte eben so
gut sagen: schlimmsten Falls -- ein Knecht Meiner selbst.
Weil Ich gestern ein Wollender war, bin Ich heute ein Wil¬
lenloser, gestern freiwillig, heute unfreiwillig.

Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht
anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden lasse. Habe
Ich keine Pflicht, so kenne Ich auch kein Gesetz.

"Allein man wird Mich binden!" Meinen Willen kann
Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei.

"Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn
Jeder thun könnte, was er wollte!" Wer sagt denn, daß Jeder
Alles thun kann? Wozu bist Du denn da, der Du nicht
Alles Dir gefallen zu lassen brauchst? Wahre Dich, so wird
Dir Keiner was thun! Wer deinen Willen brechen will, der
hat's mit Dir zu thun und ist dein Feind. Verfahre gegen
ihn als solchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige
Millionen, so seid Ihr eine imposante Macht und werdet einen
leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als
Macht imponirt, eine geheiligte Autorität seid Ihr ihm darum
doch nicht, er müßte denn ein Schächer sein. Respect und
Achtung ist er Euch nicht schuldig, wenn er sich auch vor
eurer Gewalt in Acht nehmen wird.

dieſelbe. Wäre Ich nicht an meinen geſtrigen Willen heute
und ferner gebunden? Mein Wille in dieſem Falle wäre er¬
ſtarrt
. Die leidige Stabilität! Mein Geſchöpf, nämlich
ein beſtimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden.
Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in
meinem Fluſſe und meiner Auflöſung gehemmt. Weil Ich
geſtern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So
bin Ich im Staatsleben beſten Falls — Ich könnte eben ſo
gut ſagen: ſchlimmſten Falls — ein Knecht Meiner ſelbſt.
Weil Ich geſtern ein Wollender war, bin Ich heute ein Wil¬
lenloſer, geſtern freiwillig, heute unfreiwillig.

Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht
anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden laſſe. Habe
Ich keine Pflicht, ſo kenne Ich auch kein Geſetz.

„Allein man wird Mich binden!“ Meinen Willen kann
Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei.

„Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn
Jeder thun könnte, was er wollte!“ Wer ſagt denn, daß Jeder
Alles thun kann? Wozu biſt Du denn da, der Du nicht
Alles Dir gefallen zu laſſen brauchſt? Wahre Dich, ſo wird
Dir Keiner was thun! Wer deinen Willen brechen will, der
hat's mit Dir zu thun und iſt dein Feind. Verfahre gegen
ihn als ſolchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige
Millionen, ſo ſeid Ihr eine impoſante Macht und werdet einen
leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als
Macht imponirt, eine geheiligte Autorität ſeid Ihr ihm darum
doch nicht, er müßte denn ein Schächer ſein. Reſpect und
Achtung iſt er Euch nicht ſchuldig, wenn er ſich auch vor
eurer Gewalt in Acht nehmen wird.

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[258/0266] dieſelbe. Wäre Ich nicht an meinen geſtrigen Willen heute und ferner gebunden? Mein Wille in dieſem Falle wäre er¬ ſtarrt. Die leidige Stabilität! Mein Geſchöpf, nämlich ein beſtimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden. Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in meinem Fluſſe und meiner Auflöſung gehemmt. Weil Ich geſtern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So bin Ich im Staatsleben beſten Falls — Ich könnte eben ſo gut ſagen: ſchlimmſten Falls — ein Knecht Meiner ſelbſt. Weil Ich geſtern ein Wollender war, bin Ich heute ein Wil¬ lenloſer, geſtern freiwillig, heute unfreiwillig. Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden laſſe. Habe Ich keine Pflicht, ſo kenne Ich auch kein Geſetz. „Allein man wird Mich binden!“ Meinen Willen kann Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei. „Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn Jeder thun könnte, was er wollte!“ Wer ſagt denn, daß Jeder Alles thun kann? Wozu biſt Du denn da, der Du nicht Alles Dir gefallen zu laſſen brauchſt? Wahre Dich, ſo wird Dir Keiner was thun! Wer deinen Willen brechen will, der hat's mit Dir zu thun und iſt dein Feind. Verfahre gegen ihn als ſolchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige Millionen, ſo ſeid Ihr eine impoſante Macht und werdet einen leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponirt, eine geheiligte Autorität ſeid Ihr ihm darum doch nicht, er müßte denn ein Schächer ſein. Reſpect und Achtung iſt er Euch nicht ſchuldig, wenn er ſich auch vor eurer Gewalt in Acht nehmen wird.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/266>, abgerufen am 28.03.2024.