Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

sperren, verbannen u. s. w.); hätten ihn Alle, so schafften sie
den Staat ab. Der Staat ist nicht denkbar ohne Herrschaft
und Knechtschaft (Unterthanenschaft); denn der Staat muß der
Herr sein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt diesen
Willen den "Staatswillen".

Wer, um zu bestehen, auf die Willenlosigkeit Anderer
rechnen muß, der ist ein Machwerk dieser Anderen, wie der
Herr ein Machwerk des Dieners ist. Hörte die Unterwürfig¬
keit auf, so wär's um die Herrschaft geschehen.

Der eigene Wille Meiner ist der Verderber des Staats;
er wird deshalb von letzterem als "Eigenwille" gebrandmarkt.
Der eigene Wille und der Staat sind todfeindliche Mächte,
zwischen welchen kein "ewiger Friede" möglich ist. So lange
der Staat sich behauptet, stellt er den eigenen Willen, seinen
stets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, böse u. s. w.
dar, und jener läßt sich das einreden, ja er ist es wirklich
schon deshalb, weil er sichs noch einreden läßt: er ist noch
nicht zu sich selbst und zum Bewußtsein seiner Würde gekom¬
men, mithin noch unvollkommen, noch beschwatzbar u. s. w.
Jeder Staat ist eine Despotie, sei nun Einer oder
Viele der Despot, oder seien, wie man sich's wohl von einer
Republik vorstellt, Alle die Herren, d. h. despotisire Einer den
Andern. Es ist dieß nämlich dann der Fall, wenn das jedes¬
mal gegebene Gesetz, die ausgesprochene Willensmeinung etwa
einer Volksversammlung fortan für den Einzelnen Gesetz sein
soll, dem er Gehorsam schuldig ist, oder gegen welches er
die Pflicht des Gehorsams hat. Dächte man sich auch selbst
den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen
ausgesprochen hätte und hiedurch ein vollkommener "Gesammt¬
wille" zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch

17

ſperren, verbannen u. ſ. w.); hätten ihn Alle, ſo ſchafften ſie
den Staat ab. Der Staat iſt nicht denkbar ohne Herrſchaft
und Knechtſchaft (Unterthanenſchaft); denn der Staat muß der
Herr ſein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt dieſen
Willen den „Staatswillen“.

Wer, um zu beſtehen, auf die Willenloſigkeit Anderer
rechnen muß, der iſt ein Machwerk dieſer Anderen, wie der
Herr ein Machwerk des Dieners iſt. Hörte die Unterwürfig¬
keit auf, ſo wär's um die Herrſchaft geſchehen.

Der eigene Wille Meiner iſt der Verderber des Staats;
er wird deshalb von letzterem als „Eigenwille“ gebrandmarkt.
Der eigene Wille und der Staat ſind todfeindliche Mächte,
zwiſchen welchen kein „ewiger Friede“ möglich iſt. So lange
der Staat ſich behauptet, ſtellt er den eigenen Willen, ſeinen
ſtets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, böſe u. ſ. w.
dar, und jener läßt ſich das einreden, ja er iſt es wirklich
ſchon deshalb, weil er ſichs noch einreden läßt: er iſt noch
nicht zu ſich ſelbſt und zum Bewußtſein ſeiner Würde gekom¬
men, mithin noch unvollkommen, noch beſchwatzbar u. ſ. w.
Jeder Staat iſt eine Despotie, ſei nun Einer oder
Viele der Despot, oder ſeien, wie man ſich's wohl von einer
Republik vorſtellt, Alle die Herren, d. h. despotiſire Einer den
Andern. Es iſt dieß nämlich dann der Fall, wenn das jedes¬
mal gegebene Geſetz, die ausgeſprochene Willensmeinung etwa
einer Volksverſammlung fortan für den Einzelnen Geſetz ſein
ſoll, dem er Gehorſam ſchuldig iſt, oder gegen welches er
die Pflicht des Gehorſams hat. Dächte man ſich auch ſelbſt
den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen
ausgeſprochen hätte und hiedurch ein vollkommener „Geſammt¬
wille“ zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch

17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="257"/>
&#x017F;perren, verbannen u. &#x017F;. w.); hätten ihn Alle, &#x017F;o &#x017F;chafften &#x017F;ie<lb/>
den Staat ab. Der Staat i&#x017F;t nicht denkbar ohne Herr&#x017F;chaft<lb/>
und Knecht&#x017F;chaft (Unterthanen&#x017F;chaft); denn der Staat muß der<lb/>
Herr &#x017F;ein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt die&#x017F;en<lb/>
Willen den &#x201E;Staatswillen&#x201C;.</p><lb/>
            <p>Wer, um zu be&#x017F;tehen, auf die Willenlo&#x017F;igkeit Anderer<lb/>
rechnen muß, der i&#x017F;t ein Machwerk die&#x017F;er Anderen, wie der<lb/>
Herr ein Machwerk des Dieners i&#x017F;t. Hörte die Unterwürfig¬<lb/>
keit auf, &#x017F;o wär's um die Herr&#x017F;chaft ge&#x017F;chehen.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">eigene Wille</hi> Meiner i&#x017F;t der Verderber des Staats;<lb/>
er wird deshalb von letzterem als &#x201E;Eigenwille&#x201C; gebrandmarkt.<lb/>
Der eigene Wille und der Staat &#x017F;ind todfeindliche Mächte,<lb/>
zwi&#x017F;chen welchen kein &#x201E;ewiger Friede&#x201C; möglich i&#x017F;t. So lange<lb/>
der Staat &#x017F;ich behauptet, &#x017F;tellt er den eigenen Willen, &#x017F;einen<lb/>
&#x017F;tets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, bö&#x017F;e u. &#x017F;. w.<lb/>
dar, und jener läßt &#x017F;ich das einreden, ja er i&#x017F;t es wirklich<lb/>
&#x017F;chon deshalb, weil er &#x017F;ichs noch einreden läßt: er i&#x017F;t noch<lb/>
nicht zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und zum Bewußt&#x017F;ein &#x017F;einer Würde gekom¬<lb/>
men, mithin noch unvollkommen, noch be&#x017F;chwatzbar u. &#x017F;. w.<lb/>
Jeder Staat i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">Despotie</hi>, &#x017F;ei nun Einer oder<lb/>
Viele der Despot, oder &#x017F;eien, wie man &#x017F;ich's wohl von einer<lb/>
Republik vor&#x017F;tellt, Alle die Herren, d. h. despoti&#x017F;ire Einer den<lb/>
Andern. Es i&#x017F;t dieß nämlich dann der Fall, wenn das jedes¬<lb/>
mal gegebene Ge&#x017F;etz, die ausge&#x017F;prochene Willensmeinung etwa<lb/>
einer Volksver&#x017F;ammlung fortan für den Einzelnen <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz</hi> &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;oll, dem er <hi rendition="#g">Gehor&#x017F;am &#x017F;chuldig</hi> i&#x017F;t, oder gegen welches er<lb/>
die <hi rendition="#g">Pflicht</hi> des Gehor&#x017F;ams hat. Dächte man &#x017F;ich auch &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen<lb/>
ausge&#x017F;prochen hätte und hiedurch ein vollkommener &#x201E;Ge&#x017F;ammt¬<lb/>
wille&#x201C; zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0265] ſperren, verbannen u. ſ. w.); hätten ihn Alle, ſo ſchafften ſie den Staat ab. Der Staat iſt nicht denkbar ohne Herrſchaft und Knechtſchaft (Unterthanenſchaft); denn der Staat muß der Herr ſein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt dieſen Willen den „Staatswillen“. Wer, um zu beſtehen, auf die Willenloſigkeit Anderer rechnen muß, der iſt ein Machwerk dieſer Anderen, wie der Herr ein Machwerk des Dieners iſt. Hörte die Unterwürfig¬ keit auf, ſo wär's um die Herrſchaft geſchehen. Der eigene Wille Meiner iſt der Verderber des Staats; er wird deshalb von letzterem als „Eigenwille“ gebrandmarkt. Der eigene Wille und der Staat ſind todfeindliche Mächte, zwiſchen welchen kein „ewiger Friede“ möglich iſt. So lange der Staat ſich behauptet, ſtellt er den eigenen Willen, ſeinen ſtets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, böſe u. ſ. w. dar, und jener läßt ſich das einreden, ja er iſt es wirklich ſchon deshalb, weil er ſichs noch einreden läßt: er iſt noch nicht zu ſich ſelbſt und zum Bewußtſein ſeiner Würde gekom¬ men, mithin noch unvollkommen, noch beſchwatzbar u. ſ. w. Jeder Staat iſt eine Despotie, ſei nun Einer oder Viele der Despot, oder ſeien, wie man ſich's wohl von einer Republik vorſtellt, Alle die Herren, d. h. despotiſire Einer den Andern. Es iſt dieß nämlich dann der Fall, wenn das jedes¬ mal gegebene Geſetz, die ausgeſprochene Willensmeinung etwa einer Volksverſammlung fortan für den Einzelnen Geſetz ſein ſoll, dem er Gehorſam ſchuldig iſt, oder gegen welches er die Pflicht des Gehorſams hat. Dächte man ſich auch ſelbſt den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen ausgeſprochen hätte und hiedurch ein vollkommener „Geſammt¬ wille“ zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/265
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/265>, abgerufen am 23.04.2024.