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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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lands gerühmt. Dem entspricht ganz jenes euripideische Wort
(Orestes, 412): "Den Göttern dienen Wir, was immer auch
die Götter sind." Gesetz überhaupt, Gott überhaupt,
so weit sind Wir heute.

Man bemüht sich, Gesetz von willkührlichem Befehl,
von einer Ordonnanz zu unterscheiden: jenes gehe von einer
berechtigten Autorität aus. Allein ein Gesetz über menschliches
Handeln (ethisches Gesetz, Staatsgesetz u. s. w.) ist immer
eine Willenserklärung, mithin Befehl. Ja, wenn Ich
das Gesetz Mir auch selbst gäbe, es wäre doch nur mein Be¬
fehl, dem Ich im nächsten Augenblick den Gehorsam verweigern
kann. Es mag Jemand wohl erklären, was er sich gefallen
lassen wolle, mithin durch ein Gesetz das Gegentheil sich ver¬
bitten, widrigenfalls er den Uebertreter als seinen Feind be¬
handeln werde; aber über meine Handlungen hat Niemand
zu gebieten. Keiner Mir mein Handeln vorzuschreiben und Mir
darin Gesetze zu geben. Ich muß Mir's gefallen lassen, daß
er Mich als seinen Feind behandelt; allein niemals, daß er
mit Mir als seiner Creatur umspringt, und daß er seine
Vernunft oder auch Unvernunft zu meiner Richtschnur macht.

Es dauern die Staaten nur so lange, als es einen herr¬
schenden Willen
giebt, und dieser herrschende Wille für
gleichbedeutend mit dem eigenen Willen angesehen wird. Des
Herrn Wille ist -- Gesetz. Was helfen Dir deine Gesetze,
wenn sie Keiner befolgt, was deine Befehle, wenn sich Nie¬
mand befehlen läßt? Es kann der Staat des Anspruches sich
nicht entschlagen, den Willen des Einzelnen zu bestimmen,
darauf zu speculiren und zu rechnen. Für ihn ist's unum¬
gänglich nöthig, daß Niemand einen eigenen Willen habe;
hätte ihn Einer, so müßte der Staat diesen ausschließen (ein¬

lands gerühmt. Dem entſpricht ganz jenes euripideiſche Wort
(Oreſtes, 412): „Den Göttern dienen Wir, was immer auch
die Götter ſind.“ Geſetz überhaupt, Gott überhaupt,
ſo weit ſind Wir heute.

Man bemüht ſich, Geſetz von willkührlichem Befehl,
von einer Ordonnanz zu unterſcheiden: jenes gehe von einer
berechtigten Autorität aus. Allein ein Geſetz über menſchliches
Handeln (ethiſches Geſetz, Staatsgeſetz u. ſ. w.) iſt immer
eine Willenserklärung, mithin Befehl. Ja, wenn Ich
das Geſetz Mir auch ſelbſt gäbe, es wäre doch nur mein Be¬
fehl, dem Ich im nächſten Augenblick den Gehorſam verweigern
kann. Es mag Jemand wohl erklären, was er ſich gefallen
laſſen wolle, mithin durch ein Geſetz das Gegentheil ſich ver¬
bitten, widrigenfalls er den Uebertreter als ſeinen Feind be¬
handeln werde; aber über meine Handlungen hat Niemand
zu gebieten. Keiner Mir mein Handeln vorzuſchreiben und Mir
darin Geſetze zu geben. Ich muß Mir's gefallen laſſen, daß
er Mich als ſeinen Feind behandelt; allein niemals, daß er
mit Mir als ſeiner Creatur umſpringt, und daß er ſeine
Vernunft oder auch Unvernunft zu meiner Richtſchnur macht.

Es dauern die Staaten nur ſo lange, als es einen herr¬
ſchenden Willen
giebt, und dieſer herrſchende Wille für
gleichbedeutend mit dem eigenen Willen angeſehen wird. Des
Herrn Wille iſt — Geſetz. Was helfen Dir deine Geſetze,
wenn ſie Keiner befolgt, was deine Befehle, wenn ſich Nie¬
mand befehlen läßt? Es kann der Staat des Anſpruches ſich
nicht entſchlagen, den Willen des Einzelnen zu beſtimmen,
darauf zu ſpeculiren und zu rechnen. Für ihn iſt's unum¬
gänglich nöthig, daß Niemand einen eigenen Willen habe;
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[256/0264] lands gerühmt. Dem entſpricht ganz jenes euripideiſche Wort (Oreſtes, 412): „Den Göttern dienen Wir, was immer auch die Götter ſind.“ Geſetz überhaupt, Gott überhaupt, ſo weit ſind Wir heute. Man bemüht ſich, Geſetz von willkührlichem Befehl, von einer Ordonnanz zu unterſcheiden: jenes gehe von einer berechtigten Autorität aus. Allein ein Geſetz über menſchliches Handeln (ethiſches Geſetz, Staatsgeſetz u. ſ. w.) iſt immer eine Willenserklärung, mithin Befehl. Ja, wenn Ich das Geſetz Mir auch ſelbſt gäbe, es wäre doch nur mein Be¬ fehl, dem Ich im nächſten Augenblick den Gehorſam verweigern kann. Es mag Jemand wohl erklären, was er ſich gefallen laſſen wolle, mithin durch ein Geſetz das Gegentheil ſich ver¬ bitten, widrigenfalls er den Uebertreter als ſeinen Feind be¬ handeln werde; aber über meine Handlungen hat Niemand zu gebieten. Keiner Mir mein Handeln vorzuſchreiben und Mir darin Geſetze zu geben. Ich muß Mir's gefallen laſſen, daß er Mich als ſeinen Feind behandelt; allein niemals, daß er mit Mir als ſeiner Creatur umſpringt, und daß er ſeine Vernunft oder auch Unvernunft zu meiner Richtſchnur macht. Es dauern die Staaten nur ſo lange, als es einen herr¬ ſchenden Willen giebt, und dieſer herrſchende Wille für gleichbedeutend mit dem eigenen Willen angeſehen wird. Des Herrn Wille iſt — Geſetz. Was helfen Dir deine Geſetze, wenn ſie Keiner befolgt, was deine Befehle, wenn ſich Nie¬ mand befehlen läßt? Es kann der Staat des Anſpruches ſich nicht entſchlagen, den Willen des Einzelnen zu beſtimmen, darauf zu ſpeculiren und zu rechnen. Für ihn iſt's unum¬ gänglich nöthig, daß Niemand einen eigenen Willen habe; hätte ihn Einer, ſo müßte der Staat dieſen ausſchließen (ein¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/264>, abgerufen am 20.04.2024.