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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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entscheidet er nach dieser Meinung, so ist das keine Amts¬
handlung mehr; er darf als Richter nur nach dem Gesetze
entscheiden. Da lobe Ich Mir noch die alten französischen
Parlamente, die, was Rechtens sein sollte, selbst prüfen und
nach eigener Zustimmung erst registriren wollten. Die richteten
wenigstens nach eigenem Rechte und mochten sich nicht zu
Maschinen des Gesetzgebers hergeben, wenn gleich sie als
Richter freilich ihre eigenen Maschinen werden mußten.

Man sagt, die Strafe sei das Recht des Verbrechers.
Allein die Straflosigkeit ist ebenso sein Recht. Gelingt ihm
sein Unternehmen, so geschieht ihm Recht, und gelingt's nicht,
so geschieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich bettest, so
schläfst Du. Begiebt sich Jemand tollkühn in Gefahren und
kommt dann um, so sagen Wir wohl: es geschieht ihm Recht,
er hat's nicht besser gewollt. Besiegte er aber die Gefahren,
d. h. siegte seine Macht, so hätte er auch Recht. Spielt
ein Kind mit dem Messer und schneidet sich, so geschieht ihm
Recht; aber schneidet sich's nicht, so geschieht ihm auch Recht.
Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet,
was er riskirte; warum riskirte er's auch, da er die möglichen
Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn ver¬
hängen, ist nur unser Recht, nicht das seine. Unser Recht
reagirt gegen das seinige, und er "behält Unrecht", weil --
Wir die Oberhand gewinnen.


Was aber Recht, was in einer Gesellschaft Rechtens ist,
das kommt auch zu Worte -- im Gesetze.

Wie auch das Gesetz sei, es muß respectirt werden vom
-- loyalen Bürger. So wird der gesetzliche Sinn Old Eng¬

entſcheidet er nach dieſer Meinung, ſo iſt das keine Amts¬
handlung mehr; er darf als Richter nur nach dem Geſetze
entſcheiden. Da lobe Ich Mir noch die alten franzöſiſchen
Parlamente, die, was Rechtens ſein ſollte, ſelbſt prüfen und
nach eigener Zuſtimmung erſt regiſtriren wollten. Die richteten
wenigſtens nach eigenem Rechte und mochten ſich nicht zu
Maſchinen des Geſetzgebers hergeben, wenn gleich ſie als
Richter freilich ihre eigenen Maſchinen werden mußten.

Man ſagt, die Strafe ſei das Recht des Verbrechers.
Allein die Strafloſigkeit iſt ebenſo ſein Recht. Gelingt ihm
ſein Unternehmen, ſo geſchieht ihm Recht, und gelingt's nicht,
ſo geſchieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich betteſt, ſo
ſchläfſt Du. Begiebt ſich Jemand tollkühn in Gefahren und
kommt dann um, ſo ſagen Wir wohl: es geſchieht ihm Recht,
er hat's nicht beſſer gewollt. Beſiegte er aber die Gefahren,
d. h. ſiegte ſeine Macht, ſo hätte er auch Recht. Spielt
ein Kind mit dem Meſſer und ſchneidet ſich, ſo geſchieht ihm
Recht; aber ſchneidet ſich's nicht, ſo geſchieht ihm auch Recht.
Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet,
was er riskirte; warum riskirte er's auch, da er die möglichen
Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn ver¬
hängen, iſt nur unſer Recht, nicht das ſeine. Unſer Recht
reagirt gegen das ſeinige, und er „behält Unrecht“, weil —
Wir die Oberhand gewinnen.


Was aber Recht, was in einer Geſellſchaft Rechtens iſt,
das kommt auch zu Worte — im Geſetze.

Wie auch das Geſetz ſei, es muß reſpectirt werden vom
— loyalen Bürger. So wird der geſetzliche Sinn Old Eng¬

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[255/0263] entſcheidet er nach dieſer Meinung, ſo iſt das keine Amts¬ handlung mehr; er darf als Richter nur nach dem Geſetze entſcheiden. Da lobe Ich Mir noch die alten franzöſiſchen Parlamente, die, was Rechtens ſein ſollte, ſelbſt prüfen und nach eigener Zuſtimmung erſt regiſtriren wollten. Die richteten wenigſtens nach eigenem Rechte und mochten ſich nicht zu Maſchinen des Geſetzgebers hergeben, wenn gleich ſie als Richter freilich ihre eigenen Maſchinen werden mußten. Man ſagt, die Strafe ſei das Recht des Verbrechers. Allein die Strafloſigkeit iſt ebenſo ſein Recht. Gelingt ihm ſein Unternehmen, ſo geſchieht ihm Recht, und gelingt's nicht, ſo geſchieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich betteſt, ſo ſchläfſt Du. Begiebt ſich Jemand tollkühn in Gefahren und kommt dann um, ſo ſagen Wir wohl: es geſchieht ihm Recht, er hat's nicht beſſer gewollt. Beſiegte er aber die Gefahren, d. h. ſiegte ſeine Macht, ſo hätte er auch Recht. Spielt ein Kind mit dem Meſſer und ſchneidet ſich, ſo geſchieht ihm Recht; aber ſchneidet ſich's nicht, ſo geſchieht ihm auch Recht. Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet, was er riskirte; warum riskirte er's auch, da er die möglichen Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn ver¬ hängen, iſt nur unſer Recht, nicht das ſeine. Unſer Recht reagirt gegen das ſeinige, und er „behält Unrecht“, weil — Wir die Oberhand gewinnen. Was aber Recht, was in einer Geſellſchaft Rechtens iſt, das kommt auch zu Worte — im Geſetze. Wie auch das Geſetz ſei, es muß reſpectirt werden vom — loyalen Bürger. So wird der geſetzliche Sinn Old Eng¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/263>, abgerufen am 28.03.2024.