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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Als die Revolution die Gleichheit zu einem "Rechte"
stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des
Heiligen, des Ideals. Daher seitdem der Kampf um die "hei¬
ligen, unveräußerlichen Menschenrechte". Gegen das "ewige
Menschenrecht" wird ganz natürlich und gleichberechtigt das
"wohlerworbene Recht des Bestehenden" geltend gemacht: Recht
gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als "Unrecht"
verschrieen wird. Das ist der Rechtsstreit seit der Revo¬
lution.

Ihr wollt gegen die Andern "im Rechte sein". Das
könnt Ihr nicht, gegen sie bleibt Ihr ewig "im Unrecht";
denn sie wären ja eure Gegner nicht, wenn sie nicht auch in
"ihrem Rechte" wären: sie werden Euch stets "Unrecht geben".
Aber euer Recht ist gegen das der Anderen ein höheres, größe¬
res, mächtigeres, nicht so? Mit Nichten! Euer Recht ist
nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger seid. Haben chine¬
sische Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt sie ihnen
doch, und seht dann zu, wie sehr Ihr Euch darin vergriffen
habt: weil sie die Freiheit nicht zu nutzen wissen, darum ha¬
ben sie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil sie die Freiheit
nicht haben, haben sie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬
ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil sie nicht mündig sind,
d. h. weil sie Kinder sind. Völker, die sich in Unmündigkeit
halten lassen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten sie auf,
unmündig zu sein, dann erst hätten sie das Recht, mündig zu
sein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu sein die
Macht hast, dazu hast Du das Recht. Ich leite alles Recht
und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬
tigt
, dessen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬
hova, Gott u. s. w. zu stürzen, wenn Ich's kann; kann

Als die Revolution die Gleichheit zu einem „Rechte“
ſtempelte, flüchtete ſie ins religiöſe Gebiet, in die Region des
Heiligen, des Ideals. Daher ſeitdem der Kampf um die „hei¬
ligen, unveräußerlichen Menſchenrechte“. Gegen das „ewige
Menſchenrecht“ wird ganz natürlich und gleichberechtigt das
„wohlerworbene Recht des Beſtehenden“ geltend gemacht: Recht
gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als „Unrecht“
verſchrieen wird. Das iſt der Rechtsſtreit ſeit der Revo¬
lution.

Ihr wollt gegen die Andern „im Rechte ſein“. Das
könnt Ihr nicht, gegen ſie bleibt Ihr ewig „im Unrecht“;
denn ſie wären ja eure Gegner nicht, wenn ſie nicht auch in
„ihrem Rechte“ wären: ſie werden Euch ſtets „Unrecht geben“.
Aber euer Recht iſt gegen das der Anderen ein höheres, größe¬
res, mächtigeres, nicht ſo? Mit Nichten! Euer Recht iſt
nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger ſeid. Haben chine¬
ſiſche Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt ſie ihnen
doch, und ſeht dann zu, wie ſehr Ihr Euch darin vergriffen
habt: weil ſie die Freiheit nicht zu nutzen wiſſen, darum ha¬
ben ſie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil ſie die Freiheit
nicht haben, haben ſie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬
ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil ſie nicht mündig ſind,
d. h. weil ſie Kinder ſind. Völker, die ſich in Unmündigkeit
halten laſſen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten ſie auf,
unmündig zu ſein, dann erſt hätten ſie das Recht, mündig zu
ſein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu ſein die
Macht haſt, dazu haſt Du das Recht. Ich leite alles Recht
und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬
tigt
, deſſen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬
hova, Gott u. ſ. w. zu ſtürzen, wenn Ich's kann; kann

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[248/0256] Als die Revolution die Gleichheit zu einem „Rechte“ ſtempelte, flüchtete ſie ins religiöſe Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher ſeitdem der Kampf um die „hei¬ ligen, unveräußerlichen Menſchenrechte“. Gegen das „ewige Menſchenrecht“ wird ganz natürlich und gleichberechtigt das „wohlerworbene Recht des Beſtehenden“ geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als „Unrecht“ verſchrieen wird. Das iſt der Rechtsſtreit ſeit der Revo¬ lution. Ihr wollt gegen die Andern „im Rechte ſein“. Das könnt Ihr nicht, gegen ſie bleibt Ihr ewig „im Unrecht“; denn ſie wären ja eure Gegner nicht, wenn ſie nicht auch in „ihrem Rechte“ wären: ſie werden Euch ſtets „Unrecht geben“. Aber euer Recht iſt gegen das der Anderen ein höheres, größe¬ res, mächtigeres, nicht ſo? Mit Nichten! Euer Recht iſt nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger ſeid. Haben chine¬ ſiſche Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt ſie ihnen doch, und ſeht dann zu, wie ſehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil ſie die Freiheit nicht zu nutzen wiſſen, darum ha¬ ben ſie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil ſie die Freiheit nicht haben, haben ſie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬ ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil ſie nicht mündig ſind, d. h. weil ſie Kinder ſind. Völker, die ſich in Unmündigkeit halten laſſen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten ſie auf, unmündig zu ſein, dann erſt hätten ſie das Recht, mündig zu ſein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu ſein die Macht haſt, dazu haſt Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬ tigt, deſſen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬ hova, Gott u. ſ. w. zu ſtürzen, wenn Ich's kann; kann

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/256>, abgerufen am 29.03.2024.