Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen
Gerichts!" *)Ich will keine Vergebung und fürchte Mich
nicht vor dem Gerichte.

Der Mensch ist der letzte böse Geist oder Spuk, der
täuschendste oder vertrauteste, der schlaueste Lügner mit ehrlicher
Miene, der Vater der Lügen.

Indem der Egoist sich gegen die Anmuthungen und Be¬
griffe der Gegenwart wendet, vollzieht er unbarmherzig die
maaßloseste -- Entheiligung. Nichts ist ihm heilig!

Es wäre thöricht zu behaupten, es gäbe keine Macht über
der meinigen. Nur die Stellung, welche Ich Mir zu derselben
gebe, wird eine durchaus andere sein, als sie im religiösen
Zeitalter war: Ich werde der Feind jeder höheren Macht sein,
während die Religion lehrt, sie Uns zur Freundin zu machen
und demüthig gegen sie zu sein.

Der Entheiliger spannt seine Kraft gegen jede Got¬
tesfurcht
, denn Gottesfurcht würde ihn in allem bestimmen,
was er als heilig bestehen ließe. Ob am Gottmenschen der
Gott oder der Mensch die heiligende Macht übe, ob also etwas
um Gottes oder um des Menschen (der Humanität) willen
heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da
der Mensch so gut als "höchstes Wesen" verehrt wird, als
auf dem speciell religiösen Standpunkte der Gott als "höchstes
Wesen" unsere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns
imponiren.

Die eigentliche Gottesfurcht hat längst eine Erschütterung
erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter "Atheismus",

*) Marc. 3, 29.

hat keine Vergebung ewiglich, ſondern iſt ſchuldig des ewigen
Gerichts!“ *)Ich will keine Vergebung und fürchte Mich
nicht vor dem Gerichte.

Der Menſch iſt der letzte böſe Geiſt oder Spuk, der
täuſchendſte oder vertrauteſte, der ſchlaueſte Lügner mit ehrlicher
Miene, der Vater der Lügen.

Indem der Egoiſt ſich gegen die Anmuthungen und Be¬
griffe der Gegenwart wendet, vollzieht er unbarmherzig die
maaßloſeſte — Entheiligung. Nichts iſt ihm heilig!

Es wäre thöricht zu behaupten, es gäbe keine Macht über
der meinigen. Nur die Stellung, welche Ich Mir zu derſelben
gebe, wird eine durchaus andere ſein, als ſie im religiöſen
Zeitalter war: Ich werde der Feind jeder höheren Macht ſein,
während die Religion lehrt, ſie Uns zur Freundin zu machen
und demüthig gegen ſie zu ſein.

Der Entheiliger ſpannt ſeine Kraft gegen jede Got¬
tesfurcht
, denn Gottesfurcht würde ihn in allem beſtimmen,
was er als heilig beſtehen ließe. Ob am Gottmenſchen der
Gott oder der Menſch die heiligende Macht übe, ob alſo etwas
um Gottes oder um des Menſchen (der Humanität) willen
heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da
der Menſch ſo gut als „höchſtes Weſen“ verehrt wird, als
auf dem ſpeciell religiöſen Standpunkte der Gott als „höchſtes
Weſen“ unſere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns
imponiren.

Die eigentliche Gottesfurcht hat längſt eine Erſchütterung
erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter „Atheismus“,

*) Marc. 3, 29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0250" n="242"/>
hat keine Vergebung ewiglich, &#x017F;ondern i&#x017F;t &#x017F;chuldig des ewigen<lb/>
Gerichts!&#x201C; <note place="foot" n="*)"><lb/>
Marc. 3, 29.</note>Ich will keine Vergebung und fürchte Mich<lb/>
nicht vor dem Gerichte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Der</hi> Men&#x017F;ch i&#x017F;t der letzte bö&#x017F;e <hi rendition="#g">Gei&#x017F;t</hi> oder Spuk, der<lb/>
täu&#x017F;chend&#x017F;te oder vertraute&#x017F;te, der &#x017F;chlaue&#x017F;te Lügner mit ehrlicher<lb/>
Miene, der Vater der Lügen.</p><lb/>
          <p>Indem der Egoi&#x017F;t &#x017F;ich gegen die Anmuthungen und Be¬<lb/>
griffe der Gegenwart wendet, vollzieht er unbarmherzig die<lb/>
maaßlo&#x017F;e&#x017F;te &#x2014; <hi rendition="#g">Entheiligung</hi>. Nichts i&#x017F;t ihm heilig!</p><lb/>
          <p>Es wäre thöricht zu behaupten, es gäbe keine Macht über<lb/>
der meinigen. Nur die Stellung, welche Ich Mir zu der&#x017F;elben<lb/>
gebe, wird eine durchaus andere &#x017F;ein, als &#x017F;ie im religiö&#x017F;en<lb/>
Zeitalter war: Ich werde der <hi rendition="#g">Feind</hi> jeder höheren Macht &#x017F;ein,<lb/>
während die Religion lehrt, &#x017F;ie Uns zur Freundin zu machen<lb/>
und demüthig gegen &#x017F;ie zu &#x017F;ein.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Entheiliger</hi> &#x017F;pannt &#x017F;eine Kraft gegen jede <hi rendition="#g">Got¬<lb/>
tesfurcht</hi>, denn Gottesfurcht würde ihn in allem be&#x017F;timmen,<lb/>
was er als heilig be&#x017F;tehen ließe. Ob am Gottmen&#x017F;chen der<lb/>
Gott oder der Men&#x017F;ch die heiligende Macht übe, ob al&#x017F;o etwas<lb/>
um Gottes oder um des Men&#x017F;chen (der Humanität) willen<lb/>
heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da<lb/>
der Men&#x017F;ch &#x017F;o gut als &#x201E;höch&#x017F;tes We&#x017F;en&#x201C; verehrt wird, als<lb/>
auf dem &#x017F;peciell religiö&#x017F;en Standpunkte der Gott als &#x201E;höch&#x017F;tes<lb/>
We&#x017F;en&#x201C; un&#x017F;ere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns<lb/>
imponiren.</p><lb/>
          <p>Die eigentliche Gottesfurcht hat läng&#x017F;t eine Er&#x017F;chütterung<lb/>
erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter &#x201E;Atheismus&#x201C;,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0250] hat keine Vergebung ewiglich, ſondern iſt ſchuldig des ewigen Gerichts!“ *)Ich will keine Vergebung und fürchte Mich nicht vor dem Gerichte. Der Menſch iſt der letzte böſe Geiſt oder Spuk, der täuſchendſte oder vertrauteſte, der ſchlaueſte Lügner mit ehrlicher Miene, der Vater der Lügen. Indem der Egoiſt ſich gegen die Anmuthungen und Be¬ griffe der Gegenwart wendet, vollzieht er unbarmherzig die maaßloſeſte — Entheiligung. Nichts iſt ihm heilig! Es wäre thöricht zu behaupten, es gäbe keine Macht über der meinigen. Nur die Stellung, welche Ich Mir zu derſelben gebe, wird eine durchaus andere ſein, als ſie im religiöſen Zeitalter war: Ich werde der Feind jeder höheren Macht ſein, während die Religion lehrt, ſie Uns zur Freundin zu machen und demüthig gegen ſie zu ſein. Der Entheiliger ſpannt ſeine Kraft gegen jede Got¬ tesfurcht, denn Gottesfurcht würde ihn in allem beſtimmen, was er als heilig beſtehen ließe. Ob am Gottmenſchen der Gott oder der Menſch die heiligende Macht übe, ob alſo etwas um Gottes oder um des Menſchen (der Humanität) willen heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da der Menſch ſo gut als „höchſtes Weſen“ verehrt wird, als auf dem ſpeciell religiöſen Standpunkte der Gott als „höchſtes Weſen“ unſere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns imponiren. Die eigentliche Gottesfurcht hat längſt eine Erſchütterung erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter „Atheismus“, *) Marc. 3, 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/250
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/250>, abgerufen am 29.03.2024.