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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Welcker aus, ist durch diese Abhängigkeit demoralisirt! Mit
dürren Worten heißt dieß nichts anders, als daß die Richter
besser ihre Rechnung dabei finden, wenn sie im ministeriellen
Sinne Urtel fällen, als wenn sie dieß nach gesetzlichem Sinne
thun. Wie soll dem abgeholfen werden? Etwa dadurch, daß
man den Richtern die Schmach ihrer Verkäuflichkeit zu Ge¬
müthe führt und dann das Vertrauen hegt, sie werden in sich
gehen und hinfort die Gerechtigkeit höher schätzen als ihren
Eigennutz? Nein, zu diesem romantischen Vertrauen versteigt
sich das Volk nicht, denn es fühlt, daß der Eigennutz gewal¬
tiger sei als jedes andere Motiv. Darum mögen dieselben
Personen Richter bleiben, die dieß seither gewesen sind, so sehr
man sich auch davon überzeugt hat, daß sie als Egoisten ver¬
fuhren; nur müssen sie ihren Eigennutz nicht länger durch die
Verkäuflichkeit des Rechtes gefördert finden, sondern so unab¬
hängig von der Regierung dastehen, daß sie durch ein sachge¬
mäßes Urtheil ihre eigene Sache, ihr "wohlverstandenes Inter¬
esse", nicht in Schatten stellen, vielmehr ein gutes Gehalt
und Achtung bei den Bürgern gemächlich mit einander ver¬
binden.

Also Welcker und die badischen Bürger halten sich erst für
gesichert, wenn sie auf den Eigennutz rechnen können. Was
soll man sich folglich von den unzähligen Uneigennützigkeits¬
phrasen denken, von denen ihr Mund sonst überströmt?

Zu einer Sache, die Ich eigennützig betreibe, habe Ich
ein anderes Verhältniß, als zu einer, welcher Ich uneigen¬
nützig diene. Man könnte folgendes Erkennungszeichen dafür
anführen: gegen jene kann Ich Mich versündigen oder eine
Sünde begehen, die andere nur verscherzen, von Mir
stoßen, Mich darum bringen, d. h. eine Unklugheit begehen.

Welcker aus, iſt durch dieſe Abhängigkeit demoraliſirt! Mit
dürren Worten heißt dieß nichts anders, als daß die Richter
beſſer ihre Rechnung dabei finden, wenn ſie im miniſteriellen
Sinne Urtel fällen, als wenn ſie dieß nach geſetzlichem Sinne
thun. Wie ſoll dem abgeholfen werden? Etwa dadurch, daß
man den Richtern die Schmach ihrer Verkäuflichkeit zu Ge¬
müthe führt und dann das Vertrauen hegt, ſie werden in ſich
gehen und hinfort die Gerechtigkeit höher ſchätzen als ihren
Eigennutz? Nein, zu dieſem romantiſchen Vertrauen verſteigt
ſich das Volk nicht, denn es fühlt, daß der Eigennutz gewal¬
tiger ſei als jedes andere Motiv. Darum mögen dieſelben
Perſonen Richter bleiben, die dieß ſeither geweſen ſind, ſo ſehr
man ſich auch davon überzeugt hat, daß ſie als Egoiſten ver¬
fuhren; nur müſſen ſie ihren Eigennutz nicht länger durch die
Verkäuflichkeit des Rechtes gefördert finden, ſondern ſo unab¬
hängig von der Regierung daſtehen, daß ſie durch ein ſachge¬
mäßes Urtheil ihre eigene Sache, ihr „wohlverſtandenes Inter¬
eſſe“, nicht in Schatten ſtellen, vielmehr ein gutes Gehalt
und Achtung bei den Bürgern gemächlich mit einander ver¬
binden.

Alſo Welcker und die badiſchen Bürger halten ſich erſt für
geſichert, wenn ſie auf den Eigennutz rechnen können. Was
ſoll man ſich folglich von den unzähligen Uneigennützigkeits¬
phraſen denken, von denen ihr Mund ſonſt überſtrömt?

Zu einer Sache, die Ich eigennützig betreibe, habe Ich
ein anderes Verhältniß, als zu einer, welcher Ich uneigen¬
nützig diene. Man könnte folgendes Erkennungszeichen dafür
anführen: gegen jene kann Ich Mich verſündigen oder eine
Sünde begehen, die andere nur verſcherzen, von Mir
ſtoßen, Mich darum bringen, d. h. eine Unklugheit begehen.

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[224/0232] Welcker aus, iſt durch dieſe Abhängigkeit demoraliſirt! Mit dürren Worten heißt dieß nichts anders, als daß die Richter beſſer ihre Rechnung dabei finden, wenn ſie im miniſteriellen Sinne Urtel fällen, als wenn ſie dieß nach geſetzlichem Sinne thun. Wie ſoll dem abgeholfen werden? Etwa dadurch, daß man den Richtern die Schmach ihrer Verkäuflichkeit zu Ge¬ müthe führt und dann das Vertrauen hegt, ſie werden in ſich gehen und hinfort die Gerechtigkeit höher ſchätzen als ihren Eigennutz? Nein, zu dieſem romantiſchen Vertrauen verſteigt ſich das Volk nicht, denn es fühlt, daß der Eigennutz gewal¬ tiger ſei als jedes andere Motiv. Darum mögen dieſelben Perſonen Richter bleiben, die dieß ſeither geweſen ſind, ſo ſehr man ſich auch davon überzeugt hat, daß ſie als Egoiſten ver¬ fuhren; nur müſſen ſie ihren Eigennutz nicht länger durch die Verkäuflichkeit des Rechtes gefördert finden, ſondern ſo unab¬ hängig von der Regierung daſtehen, daß ſie durch ein ſachge¬ mäßes Urtheil ihre eigene Sache, ihr „wohlverſtandenes Inter¬ eſſe“, nicht in Schatten ſtellen, vielmehr ein gutes Gehalt und Achtung bei den Bürgern gemächlich mit einander ver¬ binden. Alſo Welcker und die badiſchen Bürger halten ſich erſt für geſichert, wenn ſie auf den Eigennutz rechnen können. Was ſoll man ſich folglich von den unzähligen Uneigennützigkeits¬ phraſen denken, von denen ihr Mund ſonſt überſtrömt? Zu einer Sache, die Ich eigennützig betreibe, habe Ich ein anderes Verhältniß, als zu einer, welcher Ich uneigen¬ nützig diene. Man könnte folgendes Erkennungszeichen dafür anführen: gegen jene kann Ich Mich verſündigen oder eine Sünde begehen, die andere nur verſcherzen, von Mir ſtoßen, Mich darum bringen, d. h. eine Unklugheit begehen.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/232>, abgerufen am 28.03.2024.