Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite
I.
Die Eigenheit.

"Lechzt der Geist nicht nach Freiheit?" -- Ach, mein
Geist nicht allein, auch mein Leib lechzt stündlich danach!
Wenn meine Nase vor der duftenden Schloßküche meinem
Gaumen von den schmackhaften Gerichten erzählt, die darin
zubereitet werden, da fühlt er bei seinem trockenen Brote ein
fürchterliches Schmachten; wenn meine Augen dem schwieligen
Rücken von weichen Dunen sagen, auf denen sich's lieblicher
liegt, als auf seinem zusammengedrückten Stroh, da faßt ihn
ein verbissener Grimm; wenn -- doch verfolgen Wir die Schmer¬
zen nicht weiter. -- Und das nennst Du eine Freiheitssehn¬
sucht? Wovon willst Du denn frei werden? Von deinem
Kommisbrot und deinem Strohlager? So wirf es weg! --
Damit aber scheint Dir nicht gedient zu sein; Du willst viel¬
mehr die Freiheit haben, köstliche Speisen und schwellende Bet¬
ten zu genießen. Sollen die Menschen Dir diese "Freiheit"
geben --, sollen sie Dir's erlauben? Du hoffst das nicht von
ihrer Menschenliebe, weil Du weißt, sie denken alle wie --

I.
Die Eigenheit.

Lechzt der Geiſt nicht nach Freiheit?“ — Ach, mein
Geiſt nicht allein, auch mein Leib lechzt ſtündlich danach!
Wenn meine Naſe vor der duftenden Schloßküche meinem
Gaumen von den ſchmackhaften Gerichten erzählt, die darin
zubereitet werden, da fühlt er bei ſeinem trockenen Brote ein
fürchterliches Schmachten; wenn meine Augen dem ſchwieligen
Rücken von weichen Dunen ſagen, auf denen ſich's lieblicher
liegt, als auf ſeinem zuſammengedrückten Stroh, da faßt ihn
ein verbiſſener Grimm; wenn — doch verfolgen Wir die Schmer¬
zen nicht weiter. — Und das nennſt Du eine Freiheitsſehn¬
ſucht? Wovon willſt Du denn frei werden? Von deinem
Kommisbrot und deinem Strohlager? So wirf es weg! —
Damit aber ſcheint Dir nicht gedient zu ſein; Du willſt viel¬
mehr die Freiheit haben, köſtliche Speiſen und ſchwellende Bet¬
ten zu genießen. Sollen die Menſchen Dir dieſe „Freiheit“
geben —, ſollen ſie Dir's erlauben? Du hoffſt das nicht von
ihrer Menſchenliebe, weil Du weißt, ſie denken alle wie —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0212" n="[204]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">I</hi>.<lb/><hi rendition="#b #g">Die Eigenheit.</hi><lb/></head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>&#x201E;<hi rendition="#in">L</hi>echzt der Gei&#x017F;t nicht nach Freiheit?&#x201C; &#x2014; Ach, mein<lb/>
Gei&#x017F;t nicht allein, auch mein Leib lechzt &#x017F;tündlich danach!<lb/>
Wenn meine Na&#x017F;e vor der duftenden Schloßküche meinem<lb/>
Gaumen von den &#x017F;chmackhaften Gerichten erzählt, die darin<lb/>
zubereitet werden, da fühlt er bei &#x017F;einem trockenen Brote ein<lb/>
fürchterliches Schmachten; wenn meine Augen dem &#x017F;chwieligen<lb/>
Rücken von weichen Dunen &#x017F;agen, auf denen &#x017F;ich's lieblicher<lb/>
liegt, als auf &#x017F;einem zu&#x017F;ammengedrückten Stroh, da faßt ihn<lb/>
ein verbi&#x017F;&#x017F;ener Grimm; wenn &#x2014; doch verfolgen Wir die Schmer¬<lb/>
zen nicht weiter. &#x2014; Und das nenn&#x017F;t Du eine Freiheits&#x017F;ehn¬<lb/>
&#x017F;ucht? Wovon will&#x017F;t Du denn frei werden? Von deinem<lb/>
Kommisbrot und deinem Strohlager? So wirf es weg! &#x2014;<lb/>
Damit aber &#x017F;cheint Dir nicht gedient zu &#x017F;ein; Du will&#x017F;t viel¬<lb/>
mehr die Freiheit haben, kö&#x017F;tliche Spei&#x017F;en und &#x017F;chwellende Bet¬<lb/>
ten zu genießen. Sollen die Men&#x017F;chen Dir die&#x017F;e &#x201E;Freiheit&#x201C;<lb/>
geben &#x2014;, &#x017F;ollen &#x017F;ie Dir's erlauben? Du hoff&#x017F;t das nicht von<lb/>
ihrer Men&#x017F;chenliebe, weil Du weißt, &#x017F;ie denken alle wie &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[204]/0212] I. Die Eigenheit. „Lechzt der Geiſt nicht nach Freiheit?“ — Ach, mein Geiſt nicht allein, auch mein Leib lechzt ſtündlich danach! Wenn meine Naſe vor der duftenden Schloßküche meinem Gaumen von den ſchmackhaften Gerichten erzählt, die darin zubereitet werden, da fühlt er bei ſeinem trockenen Brote ein fürchterliches Schmachten; wenn meine Augen dem ſchwieligen Rücken von weichen Dunen ſagen, auf denen ſich's lieblicher liegt, als auf ſeinem zuſammengedrückten Stroh, da faßt ihn ein verbiſſener Grimm; wenn — doch verfolgen Wir die Schmer¬ zen nicht weiter. — Und das nennſt Du eine Freiheitsſehn¬ ſucht? Wovon willſt Du denn frei werden? Von deinem Kommisbrot und deinem Strohlager? So wirf es weg! — Damit aber ſcheint Dir nicht gedient zu ſein; Du willſt viel¬ mehr die Freiheit haben, köſtliche Speiſen und ſchwellende Bet¬ ten zu genießen. Sollen die Menſchen Dir dieſe „Freiheit“ geben —, ſollen ſie Dir's erlauben? Du hoffſt das nicht von ihrer Menſchenliebe, weil Du weißt, ſie denken alle wie —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/212
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. [204]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/212>, abgerufen am 19.04.2024.