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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Zweitens: Der Einzelne hat nichts Menschliches, darum
gilt kein Mein und Dein oder Eigenthum.

Drittens: Da der Einzelne weder Mensch ist noch Mensch¬
liches hat, so soll er überhaupt nicht sein, soll als ein Egoist
mit seinem Egoistischen durch die Kritik vernichtet werden, um
dem Menschen, "dem jetzt erst gefundenen Menschen" Platz zu
machen.

Obgleich aber der Einzelne nicht Mensch ist, so ist der
Mensch in dem Einzelnen doch vorhanden und hat, wie jeder
Spuk und alles Göttliche, an ihm seine Existenz. Daher
spricht der politische Liberalismus dem Einzelnen Alles zu,
was ihm als "Menschen von Geburt", als geborenem Men¬
schen zukommt, wohin denn Gewissensfreiheit, Besitz u. s. w.,
kurz die "Menschenrechte" gerechnet werden; der Socialismus
vergönnt dem Einzelnen, was ihm als thätigem Menschen,
als "arbeitendem" Menschen zukommt; endlich der humane
Liberalismus giebt dem Einzelnen, was er als "Mensch" hat,
d. h. Alles, was der Menschheit gehört. Mithin hat der
Einzige gar nichts, die Menschheit Alles, und es wird die
Nothwendigkeit der im Christenthum gepredigten "Wiedergeburt"
unzweideutig und im vollkommensten Maaße gefordert. Werde
eine neue Creatur, werde "Mensch"!

Sogar an den Schluß des Vaterunsers könnte man sich
erinnert glauben. Dem Menschen gehört die Herrschaft
(die "Kraft" oder Dynamis); darum darf kein Einzelner Herr
sein, sondern der Mensch ist der Herr der Einzelnen -- ; des
Menschen ist das Reich, d. h. die Welt, deshalb soll der
Einzelne nicht Eigenthümer sein, sondern der Mensch, "Alle",
gebietet über die Welt als Eigenthum -- ; dem Menschen
gebührt von Allem der Ruhm, die Verherrlichung oder

Zweitens: Der Einzelne hat nichts Menſchliches, darum
gilt kein Mein und Dein oder Eigenthum.

Drittens: Da der Einzelne weder Menſch iſt noch Menſch¬
liches hat, ſo ſoll er überhaupt nicht ſein, ſoll als ein Egoiſt
mit ſeinem Egoiſtiſchen durch die Kritik vernichtet werden, um
dem Menſchen, „dem jetzt erſt gefundenen Menſchen“ Platz zu
machen.

Obgleich aber der Einzelne nicht Menſch iſt, ſo iſt der
Menſch in dem Einzelnen doch vorhanden und hat, wie jeder
Spuk und alles Göttliche, an ihm ſeine Exiſtenz. Daher
ſpricht der politiſche Liberalismus dem Einzelnen Alles zu,
was ihm als „Menſchen von Geburt“, als geborenem Men¬
ſchen zukommt, wohin denn Gewiſſensfreiheit, Beſitz u. ſ. w.,
kurz die „Menſchenrechte“ gerechnet werden; der Socialismus
vergönnt dem Einzelnen, was ihm als thätigem Menſchen,
als „arbeitendem“ Menſchen zukommt; endlich der humane
Liberalismus giebt dem Einzelnen, was er als „Menſch“ hat,
d. h. Alles, was der Menſchheit gehört. Mithin hat der
Einzige gar nichts, die Menſchheit Alles, und es wird die
Nothwendigkeit der im Chriſtenthum gepredigten „Wiedergeburt“
unzweideutig und im vollkommenſten Maaße gefordert. Werde
eine neue Creatur, werde „Menſch“!

Sogar an den Schluß des Vaterunſers könnte man ſich
erinnert glauben. Dem Menſchen gehört die Herrſchaft
(die „Kraft“ oder Dynamis); darum darf kein Einzelner Herr
ſein, ſondern der Menſch iſt der Herr der Einzelnen — ; des
Menſchen iſt das Reich, d. h. die Welt, deshalb ſoll der
Einzelne nicht Eigenthümer ſein, ſondern der Menſch, „Alle“,
gebietet über die Welt als Eigenthum — ; dem Menſchen
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[181/0189] Zweitens: Der Einzelne hat nichts Menſchliches, darum gilt kein Mein und Dein oder Eigenthum. Drittens: Da der Einzelne weder Menſch iſt noch Menſch¬ liches hat, ſo ſoll er überhaupt nicht ſein, ſoll als ein Egoiſt mit ſeinem Egoiſtiſchen durch die Kritik vernichtet werden, um dem Menſchen, „dem jetzt erſt gefundenen Menſchen“ Platz zu machen. Obgleich aber der Einzelne nicht Menſch iſt, ſo iſt der Menſch in dem Einzelnen doch vorhanden und hat, wie jeder Spuk und alles Göttliche, an ihm ſeine Exiſtenz. Daher ſpricht der politiſche Liberalismus dem Einzelnen Alles zu, was ihm als „Menſchen von Geburt“, als geborenem Men¬ ſchen zukommt, wohin denn Gewiſſensfreiheit, Beſitz u. ſ. w., kurz die „Menſchenrechte“ gerechnet werden; der Socialismus vergönnt dem Einzelnen, was ihm als thätigem Menſchen, als „arbeitendem“ Menſchen zukommt; endlich der humane Liberalismus giebt dem Einzelnen, was er als „Menſch“ hat, d. h. Alles, was der Menſchheit gehört. Mithin hat der Einzige gar nichts, die Menſchheit Alles, und es wird die Nothwendigkeit der im Chriſtenthum gepredigten „Wiedergeburt“ unzweideutig und im vollkommenſten Maaße gefordert. Werde eine neue Creatur, werde „Menſch“! Sogar an den Schluß des Vaterunſers könnte man ſich erinnert glauben. Dem Menſchen gehört die Herrſchaft (die „Kraft“ oder Dynamis); darum darf kein Einzelner Herr ſein, ſondern der Menſch iſt der Herr der Einzelnen — ; des Menſchen iſt das Reich, d. h. die Welt, deshalb ſoll der Einzelne nicht Eigenthümer ſein, ſondern der Menſch, „Alle“, gebietet über die Welt als Eigenthum — ; dem Menſchen gebührt von Allem der Ruhm, die Verherrlichung oder

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/189>, abgerufen am 19.04.2024.