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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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"Nur wenn Ihr menschlich seid, könnt Ihr als Menschen
mit einander umgehen, wie Ihr nur, wenn Ihr patriotisch
seid, als Patrioten Euch verstehen könnt!"

Wohlan, so entgegne Ich: Nur wenn Ihr einzig seid,
könnt Ihr als das, was Ihr seid, mit einander verkehren.

Gerade der schärfste Kritiker wird am schwersten von dem
Fluche seines Princips getroffen werden. Indem er ein Aus¬
schließliches nach dem andern von sich thut, Kirchlichkeit, Pa¬
triotismus u. s. w. abschüttelt, löst er ein Band nach dem
andern auf und sondert sich vom Kirchlichen, vom Patrioten
u. s. w. ab, bis er zuletzt, nachdem alle Bande gesprengt
sind, -- allein steht. Er gerade muß Alle ausschließen, die
etwas Ausschließliches oder Privates haben, und was kann
am Ende ausschließlicher sein, als die ausschließliche, einzige
Person selber!

Oder meint er etwa, daß es besser stände, wenn Alle
"Menschen" würden und die Ausschließlichkeit aufgäben? Eben
darum, weil "Alle" bedeutet "jeder Einzelne", bleibt ja der
grellste Widerspruch erhalten, denn der "Einzelne" ist die Aus¬
schließlichkeit selber. Läßt der Humane dem Einzelnen nichts
Privates oder Ausschließliches, keinen Privatgedanken, keine
Privatnarrheit mehr gelten, kritisirt er ihm Alles vor der
Nase weg, da sein Haß gegen das Private ein absoluter und
ein fanatischer ist, kennt er keine Toleranz gegen Privates,
weil alles Private unmenschlich ist: so kann er doch die
Privatperson selbst nicht wegkritisiren, da die Härte der einzel¬
nen Person seiner Kritik widersteht, und er muß sich damit
begnügen, diese Person für eine "Privatperson" zu erklären,
und ihr wirklich alles Private wieder überlassen.

Was wird die Gesellschaft, die sich um nichts Privates

„Nur wenn Ihr menſchlich ſeid, könnt Ihr als Menſchen
mit einander umgehen, wie Ihr nur, wenn Ihr patriotiſch
ſeid, als Patrioten Euch verſtehen könnt!“

Wohlan, ſo entgegne Ich: Nur wenn Ihr einzig ſeid,
könnt Ihr als das, was Ihr ſeid, mit einander verkehren.

Gerade der ſchärfſte Kritiker wird am ſchwerſten von dem
Fluche ſeines Princips getroffen werden. Indem er ein Aus¬
ſchließliches nach dem andern von ſich thut, Kirchlichkeit, Pa¬
triotismus u. ſ. w. abſchüttelt, löſt er ein Band nach dem
andern auf und ſondert ſich vom Kirchlichen, vom Patrioten
u. ſ. w. ab, bis er zuletzt, nachdem alle Bande geſprengt
ſind, — allein ſteht. Er gerade muß Alle ausſchließen, die
etwas Ausſchließliches oder Privates haben, und was kann
am Ende ausſchließlicher ſein, als die ausſchließliche, einzige
Perſon ſelber!

Oder meint er etwa, daß es beſſer ſtände, wenn Alle
„Menſchen“ würden und die Ausſchließlichkeit aufgäben? Eben
darum, weil „Alle“ bedeutet „jeder Einzelne“, bleibt ja der
grellſte Widerſpruch erhalten, denn der „Einzelne“ iſt die Aus¬
ſchließlichkeit ſelber. Läßt der Humane dem Einzelnen nichts
Privates oder Ausſchließliches, keinen Privatgedanken, keine
Privatnarrheit mehr gelten, kritiſirt er ihm Alles vor der
Naſe weg, da ſein Haß gegen das Private ein abſoluter und
ein fanatiſcher iſt, kennt er keine Toleranz gegen Privates,
weil alles Private unmenſchlich iſt: ſo kann er doch die
Privatperſon ſelbſt nicht wegkritiſiren, da die Härte der einzel¬
nen Perſon ſeiner Kritik widerſteht, und er muß ſich damit
begnügen, dieſe Perſon für eine „Privatperſon“ zu erklären,
und ihr wirklich alles Private wieder überlaſſen.

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[178/0186] „Nur wenn Ihr menſchlich ſeid, könnt Ihr als Menſchen mit einander umgehen, wie Ihr nur, wenn Ihr patriotiſch ſeid, als Patrioten Euch verſtehen könnt!“ Wohlan, ſo entgegne Ich: Nur wenn Ihr einzig ſeid, könnt Ihr als das, was Ihr ſeid, mit einander verkehren. Gerade der ſchärfſte Kritiker wird am ſchwerſten von dem Fluche ſeines Princips getroffen werden. Indem er ein Aus¬ ſchließliches nach dem andern von ſich thut, Kirchlichkeit, Pa¬ triotismus u. ſ. w. abſchüttelt, löſt er ein Band nach dem andern auf und ſondert ſich vom Kirchlichen, vom Patrioten u. ſ. w. ab, bis er zuletzt, nachdem alle Bande geſprengt ſind, — allein ſteht. Er gerade muß Alle ausſchließen, die etwas Ausſchließliches oder Privates haben, und was kann am Ende ausſchließlicher ſein, als die ausſchließliche, einzige Perſon ſelber! Oder meint er etwa, daß es beſſer ſtände, wenn Alle „Menſchen“ würden und die Ausſchließlichkeit aufgäben? Eben darum, weil „Alle“ bedeutet „jeder Einzelne“, bleibt ja der grellſte Widerſpruch erhalten, denn der „Einzelne“ iſt die Aus¬ ſchließlichkeit ſelber. Läßt der Humane dem Einzelnen nichts Privates oder Ausſchließliches, keinen Privatgedanken, keine Privatnarrheit mehr gelten, kritiſirt er ihm Alles vor der Naſe weg, da ſein Haß gegen das Private ein abſoluter und ein fanatiſcher iſt, kennt er keine Toleranz gegen Privates, weil alles Private unmenſchlich iſt: ſo kann er doch die Privatperſon ſelbſt nicht wegkritiſiren, da die Härte der einzel¬ nen Perſon ſeiner Kritik widerſteht, und er muß ſich damit begnügen, dieſe Perſon für eine „Privatperſon“ zu erklären, und ihr wirklich alles Private wieder überlaſſen. Was wird die Geſellſchaft, die ſich um nichts Privates

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/186>, abgerufen am 24.04.2024.