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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Bestimmungen hinaus, und Schmul sei noch so jüdisch, Jude,
nichts als Jude, vermag er nicht zu sein, schon weil er dieser
Jude ist. Zweitens kann man allerdings als Jude nicht
Mensch sein, wenn Mensch sein heißt, nicht Besonderes sein.
Drittens aber -- und darauf kommt es an -- kann Ich als
Jude ganz sein, was ich eben sein -- kann. Von Samuel
oder Moses und andern erwartet Ihr schwerlich, daß sie über
das Judenthum sich hätten erheben sollen, obgleich Ihr sagen
müßt, daß sie noch keine "Menschen" waren. Sie waren
eben, was sie sein konnten. Ist's mit den heutigen Juden
anders? Weil Ihr die Idee der Menschheit entdeckt habt,
folgt daraus, daß jeder Jude sich zu ihr bekehren könne?
Wenn er es kann, so unterläßt er's nicht, und unterläßt er es,
so -- kann er's nicht. Was geht ihn eure Zumuthung an,
was der Beruf, Mensch zu sein, den Ihr an ihn ergehen
lasset? --


In der "menschlichen Gesellschaft", welche der Humane
verheißt, soll überhaupt nichts Anerkennung finden, was Einer
oder der Andere "Besonderes" hat, nichts Werth haben, was
den Charakter des "Privaten" trägt. Auf diese Weise rundet
sich der Kreis des Liberalismus, der an dem Menschen und
der menschlichen Freiheit sein gutes, an dem Egoisten und
allem Privaten sein böses Princip, an jenem seinen Gott, an
diesem seinen Teufel hat, vollständig ab, und verlor im "Staate"
die besondere oder private Person ihren Werth (kein persön¬
liches Vorrecht), büßt in der "Arbeiter- oder Lumpen-Gesell¬
schaft" das besondere (private) Eigenthum seine Anerkennung
ein, so wird in der "menschlichen Gesellschaft" alles Beson¬

Beſtimmungen hinaus, und Schmul ſei noch ſo jüdiſch, Jude,
nichts als Jude, vermag er nicht zu ſein, ſchon weil er dieſer
Jude iſt. Zweitens kann man allerdings als Jude nicht
Menſch ſein, wenn Menſch ſein heißt, nicht Beſonderes ſein.
Drittens aber — und darauf kommt es an — kann Ich als
Jude ganz ſein, was ich eben ſein — kann. Von Samuel
oder Moſes und andern erwartet Ihr ſchwerlich, daß ſie über
das Judenthum ſich hätten erheben ſollen, obgleich Ihr ſagen
müßt, daß ſie noch keine „Menſchen“ waren. Sie waren
eben, was ſie ſein konnten. Iſt's mit den heutigen Juden
anders? Weil Ihr die Idee der Menſchheit entdeckt habt,
folgt daraus, daß jeder Jude ſich zu ihr bekehren könne?
Wenn er es kann, ſo unterläßt er's nicht, und unterläßt er es,
ſo — kann er's nicht. Was geht ihn eure Zumuthung an,
was der Beruf, Menſch zu ſein, den Ihr an ihn ergehen
laſſet? —


In der „menſchlichen Geſellſchaft“, welche der Humane
verheißt, ſoll überhaupt nichts Anerkennung finden, was Einer
oder der Andere „Beſonderes“ hat, nichts Werth haben, was
den Charakter des „Privaten“ trägt. Auf dieſe Weiſe rundet
ſich der Kreis des Liberalismus, der an dem Menſchen und
der menſchlichen Freiheit ſein gutes, an dem Egoiſten und
allem Privaten ſein böſes Princip, an jenem ſeinen Gott, an
dieſem ſeinen Teufel hat, vollſtändig ab, und verlor im „Staate“
die beſondere oder private Perſon ihren Werth (kein perſön¬
liches Vorrecht), büßt in der „Arbeiter- oder Lumpen-Geſell¬
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ein, ſo wird in der „menſchlichen Geſellſchaft“ alles Beſon¬

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[168/0176] Beſtimmungen hinaus, und Schmul ſei noch ſo jüdiſch, Jude, nichts als Jude, vermag er nicht zu ſein, ſchon weil er dieſer Jude iſt. Zweitens kann man allerdings als Jude nicht Menſch ſein, wenn Menſch ſein heißt, nicht Beſonderes ſein. Drittens aber — und darauf kommt es an — kann Ich als Jude ganz ſein, was ich eben ſein — kann. Von Samuel oder Moſes und andern erwartet Ihr ſchwerlich, daß ſie über das Judenthum ſich hätten erheben ſollen, obgleich Ihr ſagen müßt, daß ſie noch keine „Menſchen“ waren. Sie waren eben, was ſie ſein konnten. Iſt's mit den heutigen Juden anders? Weil Ihr die Idee der Menſchheit entdeckt habt, folgt daraus, daß jeder Jude ſich zu ihr bekehren könne? Wenn er es kann, ſo unterläßt er's nicht, und unterläßt er es, ſo — kann er's nicht. Was geht ihn eure Zumuthung an, was der Beruf, Menſch zu ſein, den Ihr an ihn ergehen laſſet? — In der „menſchlichen Geſellſchaft“, welche der Humane verheißt, ſoll überhaupt nichts Anerkennung finden, was Einer oder der Andere „Beſonderes“ hat, nichts Werth haben, was den Charakter des „Privaten“ trägt. Auf dieſe Weiſe rundet ſich der Kreis des Liberalismus, der an dem Menſchen und der menſchlichen Freiheit ſein gutes, an dem Egoiſten und allem Privaten ſein böſes Princip, an jenem ſeinen Gott, an dieſem ſeinen Teufel hat, vollſtändig ab, und verlor im „Staate“ die beſondere oder private Perſon ihren Werth (kein perſön¬ liches Vorrecht), büßt in der „Arbeiter- oder Lumpen-Geſell¬ ſchaft“ das beſondere (private) Eigenthum ſeine Anerkennung ein, ſo wird in der „menſchlichen Geſellſchaft“ alles Beſon¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/176>, abgerufen am 19.04.2024.