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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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begeistert sein, nicht für die Freiheit, Menschheit u. s. w.?
"O ja, das ist aber kein egoistisches Interesse, keine Inter¬
essirtheit, sondern ein menschliches, d.h. ein theore¬
tisches, nämlich ein Interesse nicht für einen Einzelnen oder
die Einzelnen ("Alle"), sondern für die Idee, für den
Menschen!"

Und Du merkst nicht, daß Du auch nur begeistert bist
für deine Idee, deine Freiheitsidee?

Und ferner merkst Du nicht, daß deine Uninteressirtheit
wieder, wie die religiöse, eine himmlische Interessirtheit ist?
Der Nutzen der Einzelnen läßt Dich allerdings kalt, und Du
könntest abstrakt ausrufen: fiat libertas, pereat mundus. Du
sorgest auch nicht für den andern Tag und hast überhaupt
keine ernstliche Sorge für die Bedürfnisse des Einzelnen, nicht
für dein eigenes Wohlleben, noch das der Andern; aber Du
machst Dir eben aus alle dem nichts, weil Du ein -- Schwär¬
mer bist.

Wird etwa der Humane so liberal sein, alles Menschen¬
mögliche für menschlich auszugeben? Im Gegentheil! Ueber
die Hure theilt er zwar das moralische Vorurtheil des Phi¬
listers nicht, aber "daß dieß Weib ihren Körper zur Geld¬
erwerb-Maschine macht"*), das macht sie ihm als "Menschen"
verächtlich. Er urtheilt: Die Hure ist nicht Mensch, oder: so
weit ein Weib Hure ist, so weit ist sie unmenschlich, entmenscht.
Ferner: der Jude, der Christ, der Privilegirte, der Theologe
u. s. w. ist nicht Mensch; so weit u. s. w. Jude bist,
bist Du nicht Mensch. Wiederum das imperatorische Postulat:
Wirf alles Aparte von Dir, kritisire es weg! Sei nicht Jude,

*) Lit. Ztg. V, 26.

begeiſtert ſein, nicht für die Freiheit, Menſchheit u. ſ. w.?
„O ja, das iſt aber kein egoiſtiſches Intereſſe, keine Inter¬
eſſirtheit, ſondern ein menſchliches, d.h. ein theore¬
tiſches, nämlich ein Intereſſe nicht für einen Einzelnen oder
die Einzelnen („Alle“), ſondern für die Idee, für den
Menſchen!“

Und Du merkſt nicht, daß Du auch nur begeiſtert biſt
für deine Idee, deine Freiheitsidee?

Und ferner merkſt Du nicht, daß deine Unintereſſirtheit
wieder, wie die religiöſe, eine himmliſche Intereſſirtheit iſt?
Der Nutzen der Einzelnen läßt Dich allerdings kalt, und Du
könnteſt abſtrakt ausrufen: fiat libertas, pereat mundus. Du
ſorgeſt auch nicht für den andern Tag und haſt überhaupt
keine ernſtliche Sorge für die Bedürfniſſe des Einzelnen, nicht
für dein eigenes Wohlleben, noch das der Andern; aber Du
machſt Dir eben aus alle dem nichts, weil Du ein — Schwär¬
mer biſt.

Wird etwa der Humane ſo liberal ſein, alles Menſchen¬
mögliche für menſchlich auszugeben? Im Gegentheil! Ueber
die Hure theilt er zwar das moraliſche Vorurtheil des Phi¬
liſters nicht, aber „daß dieß Weib ihren Körper zur Geld¬
erwerb-Maſchine macht“*), das macht ſie ihm als „Menſchen“
verächtlich. Er urtheilt: Die Hure iſt nicht Menſch, oder: ſo
weit ein Weib Hure iſt, ſo weit iſt ſie unmenſchlich, entmenſcht.
Ferner: der Jude, der Chriſt, der Privilegirte, der Theologe
u. ſ. w. iſt nicht Menſch; ſo weit u. ſ. w. Jude biſt,
biſt Du nicht Menſch. Wiederum das imperatoriſche Poſtulat:
Wirf alles Aparte von Dir, kritiſire es weg! Sei nicht Jude,

*) Lit. Ztg. V, 26.
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[166/0174] begeiſtert ſein, nicht für die Freiheit, Menſchheit u. ſ. w.? „O ja, das iſt aber kein egoiſtiſches Intereſſe, keine Inter¬ eſſirtheit, ſondern ein menſchliches, d.h. ein theore¬ tiſches, nämlich ein Intereſſe nicht für einen Einzelnen oder die Einzelnen („Alle“), ſondern für die Idee, für den Menſchen!“ Und Du merkſt nicht, daß Du auch nur begeiſtert biſt für deine Idee, deine Freiheitsidee? Und ferner merkſt Du nicht, daß deine Unintereſſirtheit wieder, wie die religiöſe, eine himmliſche Intereſſirtheit iſt? Der Nutzen der Einzelnen läßt Dich allerdings kalt, und Du könnteſt abſtrakt ausrufen: fiat libertas, pereat mundus. Du ſorgeſt auch nicht für den andern Tag und haſt überhaupt keine ernſtliche Sorge für die Bedürfniſſe des Einzelnen, nicht für dein eigenes Wohlleben, noch das der Andern; aber Du machſt Dir eben aus alle dem nichts, weil Du ein — Schwär¬ mer biſt. Wird etwa der Humane ſo liberal ſein, alles Menſchen¬ mögliche für menſchlich auszugeben? Im Gegentheil! Ueber die Hure theilt er zwar das moraliſche Vorurtheil des Phi¬ liſters nicht, aber „daß dieß Weib ihren Körper zur Geld¬ erwerb-Maſchine macht“ *), das macht ſie ihm als „Menſchen“ verächtlich. Er urtheilt: Die Hure iſt nicht Menſch, oder: ſo weit ein Weib Hure iſt, ſo weit iſt ſie unmenſchlich, entmenſcht. Ferner: der Jude, der Chriſt, der Privilegirte, der Theologe u. ſ. w. iſt nicht Menſch; ſo weit u. ſ. w. Jude biſt, biſt Du nicht Menſch. Wiederum das imperatoriſche Poſtulat: Wirf alles Aparte von Dir, kritiſire es weg! Sei nicht Jude, *) Lit. Ztg. V, 26.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/174>, abgerufen am 25.04.2024.