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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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und Tugend unterscheiden sich ihrerseits wieder nur, wie ein
wilder Bursche von einem Philister) u. s. w.

Bis auf den heutigen Tag ist das Revolutionsprincip
dabei geblieben, nur gegen dieses und jenes Bestehende an¬
zukämpfen, d. h. reformatorisch zu sein. So viel auch
verbessert, so stark auch der "besonnene Fortschritt" einge¬
halten werden mag: immer wird nur ein neuer Herr an die
Stelle des alten gesetzt, und der Umsturz ist ein -- Aufbau.
Es bleibt bei dem Unterschiede des jungen von dem alten
Philister. Spießbürgerlich begann die Revolution mit der Er¬
hebung des dritten Standes, des Mittelstandes, spießbürgerlich
versiegt sie. Nicht der einzelne Mensch -- und dieser allein
ist der Mensch -- wurde frei, sondern der Bürger, der citoyen,
der politische Mensch, der eben deshalb nicht der Mensch,
sondern ein Exemplar der Menschengattung, und specieller ein
Exemplar der Bürgergattung, ein freier Bürger ist.

In der Revolution handelte nicht der Einzelne weltge¬
schichtlich, sondern ein Volk: die Nation, die souveraine,
wollte alles bewirken. Ein eingebildetes Ich, eine Idee, wie
die Nation ist, tritt handelnd auf, d. h. die Einzelnen geben
sich zu Werkzeugen dieser Idee her und handeln als "Bürger".

Seine Macht und zugleich seine Schranken hat das Bür¬
gerthum im Staatsgrundgesetze, in einer Charte, in einem
rechtlichen oder "gerechten" Fürsten, der selbst nach "vernünf¬
tigen Gesetzen" sich richtet und herrscht, kurz in der Gesetz¬
lichkeit
. Die Periode der Bourgeoisie wird von dem briti¬
schen Geiste der Gesetzlichkeit beherrscht. Eine Versammlung
von Landständen ruft sich z. B. stets ins Gedächtniß, daß
ihre Befugnisse nur so und so weit gehen, und daß sie über¬
haupt nur aus Gnaden berufen sei und aus Ungnade wieder

und Tugend unterſcheiden ſich ihrerſeits wieder nur, wie ein
wilder Burſche von einem Philiſter) u. ſ. w.

Bis auf den heutigen Tag iſt das Revolutionsprincip
dabei geblieben, nur gegen dieſes und jenes Beſtehende an¬
zukämpfen, d. h. reformatoriſch zu ſein. So viel auch
verbeſſert, ſo ſtark auch der „beſonnene Fortſchritt“ einge¬
halten werden mag: immer wird nur ein neuer Herr an die
Stelle des alten geſetzt, und der Umſturz iſt ein — Aufbau.
Es bleibt bei dem Unterſchiede des jungen von dem alten
Philiſter. Spießbürgerlich begann die Revolution mit der Er¬
hebung des dritten Standes, des Mittelſtandes, ſpießbürgerlich
verſiegt ſie. Nicht der einzelne Menſch — und dieſer allein
iſt der Menſch — wurde frei, ſondern der Bürger, der citoyen,
der politiſche Menſch, der eben deshalb nicht der Menſch,
ſondern ein Exemplar der Menſchengattung, und ſpecieller ein
Exemplar der Bürgergattung, ein freier Bürger iſt.

In der Revolution handelte nicht der Einzelne weltge¬
ſchichtlich, ſondern ein Volk: die Nation, die ſouveraine,
wollte alles bewirken. Ein eingebildetes Ich, eine Idee, wie
die Nation iſt, tritt handelnd auf, d. h. die Einzelnen geben
ſich zu Werkzeugen dieſer Idee her und handeln als „Bürger“.

Seine Macht und zugleich ſeine Schranken hat das Bür¬
gerthum im Staatsgrundgeſetze, in einer Charte, in einem
rechtlichen oder „gerechten“ Fürſten, der ſelbſt nach „vernünf¬
tigen Geſetzen“ ſich richtet und herrſcht, kurz in der Geſetz¬
lichkeit
. Die Periode der Bourgeoiſie wird von dem briti¬
ſchen Geiſte der Geſetzlichkeit beherrſcht. Eine Verſammlung
von Landſtänden ruft ſich z. B. ſtets ins Gedächtniß, daß
ihre Befugniſſe nur ſo und ſo weit gehen, und daß ſie über¬
haupt nur aus Gnaden berufen ſei und aus Ungnade wieder

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[146/0154] und Tugend unterſcheiden ſich ihrerſeits wieder nur, wie ein wilder Burſche von einem Philiſter) u. ſ. w. Bis auf den heutigen Tag iſt das Revolutionsprincip dabei geblieben, nur gegen dieſes und jenes Beſtehende an¬ zukämpfen, d. h. reformatoriſch zu ſein. So viel auch verbeſſert, ſo ſtark auch der „beſonnene Fortſchritt“ einge¬ halten werden mag: immer wird nur ein neuer Herr an die Stelle des alten geſetzt, und der Umſturz iſt ein — Aufbau. Es bleibt bei dem Unterſchiede des jungen von dem alten Philiſter. Spießbürgerlich begann die Revolution mit der Er¬ hebung des dritten Standes, des Mittelſtandes, ſpießbürgerlich verſiegt ſie. Nicht der einzelne Menſch — und dieſer allein iſt der Menſch — wurde frei, ſondern der Bürger, der citoyen, der politiſche Menſch, der eben deshalb nicht der Menſch, ſondern ein Exemplar der Menſchengattung, und ſpecieller ein Exemplar der Bürgergattung, ein freier Bürger iſt. In der Revolution handelte nicht der Einzelne weltge¬ ſchichtlich, ſondern ein Volk: die Nation, die ſouveraine, wollte alles bewirken. Ein eingebildetes Ich, eine Idee, wie die Nation iſt, tritt handelnd auf, d. h. die Einzelnen geben ſich zu Werkzeugen dieſer Idee her und handeln als „Bürger“. Seine Macht und zugleich ſeine Schranken hat das Bür¬ gerthum im Staatsgrundgeſetze, in einer Charte, in einem rechtlichen oder „gerechten“ Fürſten, der ſelbſt nach „vernünf¬ tigen Geſetzen“ ſich richtet und herrſcht, kurz in der Geſetz¬ lichkeit. Die Periode der Bourgeoiſie wird von dem briti¬ ſchen Geiſte der Geſetzlichkeit beherrſcht. Eine Verſammlung von Landſtänden ruft ſich z. B. ſtets ins Gedächtniß, daß ihre Befugniſſe nur ſo und ſo weit gehen, und daß ſie über¬ haupt nur aus Gnaden berufen ſei und aus Ungnade wieder

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/154>, abgerufen am 24.04.2024.