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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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allein wahren und geltenden erhob. Daher beginnt sie mit
dem absoluten Zweifel, dem dubitare, mit der "Zerknirschung"
des gemeinen Bewußtseins, mit der Abwendung von Allem,
was nicht durch den "Geist", das "Denken" legitimirt wird.
Nichts gilt ihr die Natur, nichts die Meinung der Menschen,
ihre "Menschensatzungen", und sie ruht nicht, bis sie in Alles
Vernunft gebracht hat und sagen kann "das Wirkliche ist das
Vernünftige und nur das Vernünftige ist das Wirkliche". So
hat sie endlich den Geist, die Vernunft zum Siege geführt,
und Alles ist Geist, weil Alles vernünftig ist, die ganze Na¬
tur so gut als selbst die verkehrtesten Meinungen der Menschen
Vernunft enthalten: denn "es muß ja Alles zum Besten die¬
nen", d. h. zum Siege der Vernunft führen.

Das dubitare des Cartesius enthält den entschiedenen
Ausspruch, daß nur das cogitare, das Denken, der Geist --
sei. Ein vollkommener Bruch mit dem "gemeinen" Bewußt¬
sein, welches den unvernünftigen Dingen Wirklichkeit zu¬
schreibt! Nur das Vernünftige ist, nur der Geist ist! Dieß
ist das Princip der neueren Philosophie, das ächt christliche.
Scharf schied schon Cartesius den Körper vom Geiste, und
"der Geist ist's, der sich den Körper baut" sagt Goethe.

Aber diese Philosophie selbst, die christliche, wird doch das
Vernünftige nicht los, und eifert darum gegen das "bloß
Subjective", gegen die "Einfälle, Zufälligkeiten, Willkühr"
u. s. w. Sie will ja, daß das Göttliche in Allem sichtbar
werden soll, und alles Bewußtsein ein Wissen des Göttlichen
werde und der Mensch Gott überall schaue; aber Gott ist
eben nie ohne den Teufel.

Ein Philosoph ist eben darum Derjenige nicht zu nennen,
welcher zwar offene Augen für die Dinge der Welt, einen

allein wahren und geltenden erhob. Daher beginnt ſie mit
dem abſoluten Zweifel, dem dubitare, mit der „Zerknirſchung“
des gemeinen Bewußtſeins, mit der Abwendung von Allem,
was nicht durch den „Geiſt“, das „Denken“ legitimirt wird.
Nichts gilt ihr die Natur, nichts die Meinung der Menſchen,
ihre „Menſchenſatzungen“, und ſie ruht nicht, bis ſie in Alles
Vernunft gebracht hat und ſagen kann „das Wirkliche iſt das
Vernünftige und nur das Vernünftige iſt das Wirkliche“. So
hat ſie endlich den Geiſt, die Vernunft zum Siege geführt,
und Alles iſt Geiſt, weil Alles vernünftig iſt, die ganze Na¬
tur ſo gut als ſelbſt die verkehrteſten Meinungen der Menſchen
Vernunft enthalten: denn „es muß ja Alles zum Beſten die¬
nen“, d. h. zum Siege der Vernunft führen.

Das dubitare des Carteſius enthält den entſchiedenen
Ausſpruch, daß nur das cogitare, das Denken, der Geiſt —
ſei. Ein vollkommener Bruch mit dem „gemeinen“ Bewußt¬
ſein, welches den unvernünftigen Dingen Wirklichkeit zu¬
ſchreibt! Nur das Vernünftige iſt, nur der Geiſt iſt! Dieß
iſt das Princip der neueren Philoſophie, das ächt chriſtliche.
Scharf ſchied ſchon Carteſius den Körper vom Geiſte, und
„der Geiſt iſt's, der ſich den Körper baut“ ſagt Goethe.

Aber dieſe Philoſophie ſelbſt, die chriſtliche, wird doch das
Vernünftige nicht los, und eifert darum gegen das „bloß
Subjective“, gegen die „Einfälle, Zufälligkeiten, Willkühr“
u. ſ. w. Sie will ja, daß das Göttliche in Allem ſichtbar
werden ſoll, und alles Bewußtſein ein Wiſſen des Göttlichen
werde und der Menſch Gott überall ſchaue; aber Gott iſt
eben nie ohne den Teufel.

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welcher zwar offene Augen für die Dinge der Welt, einen

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[112/0120] allein wahren und geltenden erhob. Daher beginnt ſie mit dem abſoluten Zweifel, dem dubitare, mit der „Zerknirſchung“ des gemeinen Bewußtſeins, mit der Abwendung von Allem, was nicht durch den „Geiſt“, das „Denken“ legitimirt wird. Nichts gilt ihr die Natur, nichts die Meinung der Menſchen, ihre „Menſchenſatzungen“, und ſie ruht nicht, bis ſie in Alles Vernunft gebracht hat und ſagen kann „das Wirkliche iſt das Vernünftige und nur das Vernünftige iſt das Wirkliche“. So hat ſie endlich den Geiſt, die Vernunft zum Siege geführt, und Alles iſt Geiſt, weil Alles vernünftig iſt, die ganze Na¬ tur ſo gut als ſelbſt die verkehrteſten Meinungen der Menſchen Vernunft enthalten: denn „es muß ja Alles zum Beſten die¬ nen“, d. h. zum Siege der Vernunft führen. Das dubitare des Carteſius enthält den entſchiedenen Ausſpruch, daß nur das cogitare, das Denken, der Geiſt — ſei. Ein vollkommener Bruch mit dem „gemeinen“ Bewußt¬ ſein, welches den unvernünftigen Dingen Wirklichkeit zu¬ ſchreibt! Nur das Vernünftige iſt, nur der Geiſt iſt! Dieß iſt das Princip der neueren Philoſophie, das ächt chriſtliche. Scharf ſchied ſchon Carteſius den Körper vom Geiſte, und „der Geiſt iſt's, der ſich den Körper baut“ ſagt Goethe. Aber dieſe Philoſophie ſelbſt, die chriſtliche, wird doch das Vernünftige nicht los, und eifert darum gegen das „bloß Subjective“, gegen die „Einfälle, Zufälligkeiten, Willkühr“ u. ſ. w. Sie will ja, daß das Göttliche in Allem ſichtbar werden ſoll, und alles Bewußtſein ein Wiſſen des Göttlichen werde und der Menſch Gott überall ſchaue; aber Gott iſt eben nie ohne den Teufel. Ein Philoſoph iſt eben darum Derjenige nicht zu nennen, welcher zwar offene Augen für die Dinge der Welt, einen

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/120>, abgerufen am 28.03.2024.